Trotz überraschend harter Arbeit gegen den FCK: Bayer Leverkusen hat seiner historischen Saison mit dem Triumph im DFB-Pokal nochmal eine neue Dimension verliehen

Von Oliver Maywurm
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Vielleicht mit der Angst vor der zumindest öffentlichen Rückkehr von "Vizekusen" im Hinterkopf, hatte Bayer Leverkusen im DFB-Pokalfinale gegen den krassen Außenseiter aus Kaiserslautern unerwartet viel Mühe. Am Ende bestand die Werkself aber auch diese Prüfung mit Bravour.

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Fast ein bisschen ungläubig lachte Kaiserslauterns Stürmer Daniel Hanslik in der 4. Minute auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions. So ein bisschen wirkte es, als wunderte er sich: Haben wir hier vielleicht wirklich eine Chance? Gerade hatte Hanslik mit einem satten Schuss aus rund 20 Metern Leverkusen-Keeper Lukas Hradecky gefährlich geprüft.

Und was die forsche Anfangsphase des Underdogs aus der 2. Bundesliga aus neutraler Sicht hoffen ließ, bewahrheitete sich. Der FCK hatte tatsächlich eine realistische Chance, das DFB-Pokalfinale gegen den schier übermächtigen deutschen Meister aus dem Rheinland zu gewinnen. Letztlich fehlte dann doch ein Stück, das sich rein zahlenmäßig in einem überraschend knappen 1:0-Sieg für den haushohen Favoriten ausdrückte. Granit Xhaka war es dabei vorbehalten, mit einem sehenswerten Schlenzer in der 16. Minute für das goldene Tor zu sorgen.

Ob Leverkusens Trainer Xabi Alonso wirklich ehrlich befürchtet hatte, dass es gegen den FCK so eng wird? Zumindest ließ der Spanier es vermuten, als er auf der Pressekonferenz am Freitag warnte: "Es ist ein Finale, 2. Bundesliga bedeutet nichts, Favoritenrolle bedeutet nichts. Wir müssen Respekt vor ihnen haben."

Unter anderem Alonso war spürbar anzumerken, wie sehr er diesen Pott gewinnen wollte. Wie hart Bayer letztlich dafür kämpfen musste, spiegelte sich auch in einer der Szenen des Spiels nach gut einer Stunde wider. Florian Wirtz wollte einen Einwurf schnell ausführen, doch sein Coach bremste ihn mit einer herzlichen und ungewohnt ausgedehnten Umarmung. Er ermahnte ihn damit innig, das Spiel doch lieber zu beruhigen und der Mannschaft einen Moment zum Durchschnaufen zu gönnen. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, zu dem viele das Spiel im Vorfeld wahrscheinlich schon für entschieden gehalten hätten.

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Xabi Alonso: "Das Spiel nicht wild werden lassen"

"Flo will immer Spaß haben, er will immer schnell spielen. Aber wir mussten ruhig bleiben, das Tempo kontrollieren und das Spiel nicht wild werden lassen", sagte Alonso hinterher bei der ARD zu der Szene.

Auch Simon Rolfes, Geschäftsführer Sport, sah man die extreme Anspannung, die an diesem Samstagabend auf Leverkusen lastete, an der Seitenlinie immer wieder deutlich an. Vielleicht auch ein bisschen deshalb, weil aus neutraler Sicht alles andere als ein klarer Sieg von Bayer ziemlich unvorstellbar erschien und eine so deutlich spürbare Nervosität bei den Protagonisten dazu im Kontrast stand.

Und möglicherweise war der vergangene Mittwoch ein Katalysator für die Tiefe der Anspannung bei der Werkself. 0:3 hatte man das Europa-League-Finale gegen Atalanta Bergamo nach der wahrscheinlich schlechtesten Leistung dieser Spielzeit verloren. Auch das zweite Endspiel zu verlieren, wollte sich niemand ausmalen.

Natürlich wäre Bayers Saison selbst bei einer weiteren Niederlage im DFB-Pokalfinale noch historisch gut gewesen. Sehr wahrscheinlich wird es sehr lange dauern, bis es noch einmal eine Mannschaft schafft, eine ganze Bundesliga-Spielzeit über ungeschlagen zu bleiben. Wenn das denn überhaupt irgendwann einmal nochmal irgendjemandem gelingt.

Aber dennoch wäre bei einer neuerlichen Enttäuschung an dieser Fabel-Saison ein nicht zu verneinender Makel kleben geblieben, hatte man das Stigma "Vizekusen" doch mit dem erstmaligen Gewinn der Meisterschaft gerade erst endlich zu den Akten legen können. Ziemlich sicher wäre der Begriff im öffentlichen Echo nach zwei verlorenen Finals innerhalb von drei Tagen sehr schnell wieder hervorgekramt worden. Und der Hohn wäre zurück gewesen.

Durch den Triumph im Pokal hat man diesen Hohn nun für immer verbannt. Und das unter diesem enormen Druck geschafft zu haben, verleiht der ohnehin so unfassbaren Saison der Leverkusener nochmal eine neue Dimension. Zumal man sich im Finale eben deutlich mehr Widerständen erwehren musste als es zu erwarten war.

Nicht nur die Verantwortlichen spürten den Druck, natürlich setzte er auch den Spielern zu. Von Beginn an war zu spüren, dass Bayer sehr viel verlieren konnte - und Lautern eigentlich nur gewinnen.

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Xabi Alonso: "Ich brauche ein bisschen Zeit"

Der FCK zeigte ein herausragendes Spiel und hatte hier und da immer wieder sehr gute Chancen, es auf die Anzeigetafel zu schaffen. Tobias Raschl kurz vor der Halbzeitpause zum Beispiel. Oder Ragnar Ache in Durchgang zwei mit einem strammen Distanzschuss.

Von Leverkusen kam derweil nicht die Wucht, die man in dieser Saison so häufig von der Werkself gesehen hat. Dennoch war man über die gesamte Spieldauer die bessere, fast immer auch die spielbestimmende Mannschaft. Was angesichts der langen Unterzahl durchaus hoch zu bewerten ist. "Wir haben großen Teamgeist gezeigt, waren die ganze zweite Halbzeit einen Spieler weniger. Es ist ein großer Erfolg, diese Saison das Double zu erreichen", lobte Alonso.

Odilon Kossounou hatte in der 44. Minute die Gelb-Rote Karte gesehen. Die komplette zweite Halbzeit lang musste Leverkusen also zu zehnt bestreiten. Vor allem im allerletzten Spiel einer extrem langen und unglaublich intensiven Saison natürlich kein Zuckerschlecken.

Wie aufopferungsvoll und auch clever Bayer diese Situation löste, war stark. Klar, wie gesagt, Lautern hatte auch nach der Pause noch die eine oder andere Chance. Doch Leverkusen schaffte es letztlich, den ganz großen Sturmlauf des irgendwann eben auch sehr müden FCK nicht zuzulassen.

Als Schiedsrichter Bastian Dankert das Spiel dann schließlich abpfiff, war die Erlösung bei Bayer mindestens genau so groß wie die Anspannung zuvor. Dem ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte ließ man auch das erste Double folgen, die Hälfte seiner insgesamt vier Trophäen hat Leverkusen in dieser Saison eingefahren. Eine Saison mit wettbewerbsübergreifend nur einer einzigen Niederlage, mit 18 Punkten Vorsprung auf den FC Bayern, dessen Serie von elf Meisterschalen am Stück man in nie für möglich gehaltener Manier beendet hat.

"Ich brauche ein bisschen Zeit, um zu realisieren, was wir diese Saison geschafft haben", sagte Alonso nach der Partie. Wie man auf diese irre Leistung noch einen draufsetzen kann, damit wollte sich der 42-Jährige ganz sicher noch nicht beschäftigen. "Ich denke nicht an nächste Saison", winkte er auf eine entsprechende Frage hin lachend ab. "Pause jetzt, Urlaub."