U 21: Das Ende der Lobhudelei

Von Stefan Rommel
Ein Bild mit Symbolcharakter: Island feiert, Julian Schieber (vorne) trabt mit gesenktem Haupt davon
© Getty

Das Aus der U 21 in der EM-Qualifikation ist ein weiterer Tiefpunkt der Jugendbewegung beim DFB. Das Desaster hat viele Gründe, jetzt droht ein frisch ausgehandelter Kompromiss schon wieder auf der Kippe zu stehen - wie Trainer Rainer Adrion.

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Im Grunde hatte sich Manuel Neuer vor gut einem Jahr schon ganz nahe an seinen Stammplatz bei der Weltmeisterschaft herangerobbt.

Die deutsche U 21 war gerade in Schweden zum ersten Mal überhaupt Europameister geworden und Neuer mit nur einem Gegentor zum besten Torhüter des Turniers erkoren.

Neuer hatte bis dahin auf Schalke seinen Dienst verrichtet, in der Bundesliga, im UEFA-Cup und paar ausgewählte Male sogar in der Champions League.

Als es aber plötzlich darum ging, für den verletzten Rene Adler eine neue Nummer eins in der A-Nationalmannschaft zu finden, waren die Meriten aus Bundesliga, UEFA-Cup oder Champions League vergessen.

Dann zählte vor allem die Leistung im DFB-Dress. Und da konnte der damals 24-Jährige kaum mehr erreicht haben als den Titel bei den U-21-Junioren.

Höhepunkt im letzten Sommer

Die Lobeshymnen auf den deutschen Nachwuchs erreichten im Sommer letzten Jahres ihren Höhepunkt. Alle waren erstaunt über die Konsequenz, mit der der DFB plötzlich sein kostbarstes Gut umgarnte und zu Spitzenleistung treiben konnte.

Aus dem sehr üppigen Fundus der U 21 schafften nur ein Jahr später sechs Spieler den Sprung in den Kader der WM-Fahrer. Die Erfahrungen der EM 2009 auf Junioreneben waren ein grundsolide Basis für das, was später im Seniorenbereich gefragt sein würde.

Andernfalls hätten Spieler wie Neuer, Mesut Özil, Jerome Boateng oder Sami Khedira den Übergang wohl niemals so schnell geschafft.

In die neue EM-Kampagne der U 21 ist der DFB als Titelverteidiger gestartet. Sportdirektor Matthias Sammer, dessen Name und Schaffen quasi stellvertretend mit dem Aufschwung der deutschen Junioren steht, wurde nicht müde, den enormen Stellenwert des wichtigsten Unterbaus der Nationalmannschaft herauszustreichen und vor den großen Risiken zu waren, die nach einem derart erfolgreichen Jahr lauern würden.

Von Momentaufnahmen war dann gerne die Rede. Aber kaum jemand wollte ihm glauben. Und ganz offenbar wurde er nicht erhört.

Keine EM, nicht zu Olympia

Nach einem indiskutablen 1:4 gegen Island hat die deutsche U 21 die Qualifikation für die kommende EM in Dänemark im nächsten Jahr und die Teilnahme an Olympia 2012 in London nicht nur verpasst. Sie hat sie sorglos weggeworfen mit läppischen zwei Siegen aus sechs Spielen - beide gegen die viertklassigen Kicker aus San Marino.

Das Island-Spiel zum Nachlesen

Es gab früher wirkliche Dramen um die U 21, die entweder in einer unverschämt schweren Gruppe gescheitert war oder aber in den Playoffs zum WM-Turnier mehr oder weniger an sich selbst.

Dass Deutschland in einer verhältnismäßig machbaren Staffel mit Tschechien, Nordirland, Island und San Marino nach sechs Spielen mit acht Pünktchen da steht, ist kaum zu akzeptieren.

"Schlicht enttäuschend"

"Es ist schade, dass eine deutsche Mannschaft die Gruppe nicht übersteht. Das ist schlicht enttäuschend", sagte Toni Kroos im Gespräch mit SPOX.

Der Münchener wäre mit seinen 20 Jahren selbst noch für die U 21 spielberechtigt gewesen und verpasst jetzt - nachdem er im vergangenen Jahr nicht nominiert wurde - seine zweite und letzte Chance, am Endturnier teilzunehmen.

Auch die anderen "alten Haudegen" der Europameistermannschaft von 2009 reagierten erstaunt bis konsterniert auf das Ergebnis aus Island.

"Als Europameister nicht dabei zu sein, ist schon ärgerlich. Aber ich bin nicht der richtige Mann, um von außen jetzt etwas Negatives zu sagen. Das können die Spieler und die Verantwortlichen am besten beurteilen", sagte Manuel Neuer.

Zurückhaltung statt Kritik

Ähnlich diplomatisch äußerte sich Jerome Boateng, auch wenn ihm die Überraschung über die klare Niederlage in Island und das frühzeitige Aus deutlich ins Gesicht geschrieben waren.

"Was jetzt nach so einem Erfolg passiert ist, ist schade und traurig. Das waren auch keine guten Spiele, ich habe ja bei zwei davon selbst noch mitgespielt. Aber man sollte jetzt auch nicht alles schlecht reden. Vor einem Jahr hieß es noch: Deutschland ist super, also kann man jetzt auch nicht sagen, dass plötzlich alles wieder schlecht sein soll."

Boateng selbst spielte eine Stunde nach dem Aus seiner Kollegen eine Etage höher mit der A-Nationalmannschaft gegen Dänemark. Sein U-21-Nachfolger Mats Hummels war da "natürlich schon fassungslos. Wir haben in der gesamten Qualifikationsrunde nicht überzeugen können."

Vor zwölf Monaten war der DFB der erfolgreichste Verband Europas auf Juniorenebene und wurde mit ehrlichem Lob nur so überschüttet. Jetzt werden drei Generationen auf einen Schlag ohne die wichtigen Erfahrungen einer Endrundenteilnahme eine Altersklasse höher rutschen.

Neben der U 21 sind auch die U 19, die zumindest noch die erste Qualifikationsrunde, danach aber nicht mehr die so genannte Eliterunde überstanden hatte und die U 17 in der Qualifikation zur EM gescheitert. Die U 17 dabei ebenso wie auch die U 21 als amtierender Titelträger.

Adrions Stuhl wackelt

"Das sollte heute eine Art Neuanfang werden, aber durch eigene Nachlässigkeiten ist dieses Horror-Ergebnis zustande gekommen", sagte Trainer Rainer Adrion nach dem Desaster von Hafnarfjördur.

Für Adrion wird es jetzt eng. Die U 21 ist das Vorzeige- und Prestigeobjekt des DFB in Sachen Nachwuchsförderung und wichtigster Zulieferer für die A-Nationalmannschaft.

Einer seiner größten Gegner war Sammer, der damals Heiko Herrlich als U-21-Trainer favorisierte und sich jetzt als halb-autorisierter Sportdirektor ebenfalls in der Verantwortung sieht.

"Für eine detaillierte sachliche Analyse ist es derzeit noch zu früh, aber wir werden natürlich dieses Ergebnis und den Verlauf der Qualifikation seriös aufarbeiten. Denn so wie es für den Erfolg viele Gründe gibt, gibt es auch für den Misserfolg verschiedene Ursachen."

Neuer Konflikt zwischen Sammer und Löw?

Es ist noch gar nicht so lange her, da hat ein mühselig gefundener Kompromiss erst die Kompetenzen für den U-21-Bereich innerhalb des DFB geregelt. Löw soll der Entscheidungsträger sein, die U 21 ist quasi ihm unterstellt. Sammer begleitet lediglich.

Jetzt gerät der Konsens schnell wieder gehörig ins Wanken. Auf der einen Seite Sammer, der mit einer einheitlichen Philosophie und dem propagierten Leistungsgedanken angetreten ist und auf der anderen Seite Löw, der sich bisher zwar gerne bedient, aber ungerne mitgearbeitet hat an der U 21. Und auf dessen Vorschlag hin Adrion erst verpflichtet wurde.

Es war eine grundsätzliche Entscheidung der DFB-Führung, die U 21 letztlich Löw zu unterstellen. Obwohl der doch bei den Spielen nie selbst vor Ort sein kann, weil im Regelfall 24 Stunden nach einem Spiel der U 21 auch ein Länderspiel der A-Nationalmannschaft auf dem Plan steht.

Etliche Trainerwechsel

Und es war der Verband, der seine Trainer innerhalb der Junioren-Familie munter durcheinander mixte.

Auf Horst Hrubesch folgte Adrion (U 21). Auf Marco Pezzaiuoli folgte bei der U 15 Frank Engel, mit seiner "Zweitmannschaft", der U 17, wurde zeitgleich Pezzaiuoli Europameister. Er folgte dem Jahrgang eine Stufe höher und wurde bei den 17-Jährigen durch Steffen Freund ersetzt.

Die U 19 trainiert derzeit Horst Hrubesch, der im Herbst 2009 den Job von Heiko Herrlich übernahm. Herrlich war nach dem geplatzten Engagement bei der U 21 in die Bundesliga zum VfL Bochum gewechselt. Und die U 20, ehemals Hrubeschs Ressort, leitet seit erst seit fünf Monaten Ralf Minge.

Ein fröhliches Wechselspielchen, das teilweise Sinn macht, weil ein Trainer einfach seiner Mannschaft auf die nächste Altersstufe folgen soll. Anderseits aber auch einen wenig durchdachten Eindruck hinterlässt.

Am Mittwochabend wollte sich Löw nicht groß zum vorläufigen Tiefpunkt mit dem Aus der U 21 äußern. Nur so viel: "Wir werden das alles aufarbeiten." Es gibt wieder einmal eine Menge zu tun. Der DFB steht an nackten Zahlen gemessen wieder an einem längst in Vergessenheit geglaubten Punkt.

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