Es trieft vor Trotz! Thomas Tuchel wirkt nicht wie ein Trainer des FC Bayern München

Von Oliver Maywurm
FC Bayern München
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Nach dem 2:3 in Bochum ist der Meistertitel für den FC Bayern in weite Ferne gerückt, acht Punkte Rückstand sind es nun schon auf Bayer Leverkusen. Bayerns Bosse scheinen dennoch fest gewillt, mit Trainer Thomas Tuchel bis zum Ende der Saison weiterzumachen. Richtig so. Ein Kommentar.

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Natürlich ist es nicht einfach, sich als Trainer des FC Bayern München immer so zu präsentieren, wie es das Selbstverständnis des Rekordmeisters verlangt. Viel zu viele wollen einen nur zu gern scheitern sehen, allein mit diesem permanenten Argwohn muss man erst mal umgehen. Doch wie sich Thomas Tuchel nach den jüngsten Bundesliga-Niederlagen in Leverkusen (0:3) und am Sonntag in Bochum (2:3) der Öffentlichkeit stellte, wirkte schon ziemlich befremdlich - und das nicht zum ersten Mal.

Beide Male berief er sich auf den Expected-Goals-Wert, der doch aussage, dass Bayern entweder viel zu hoch (in Leverkusen) oder vollkommen zu Unrecht (in Bochum) verloren habe. "Ich finde die Niederlage nicht gerecht, es ist extrem viel gegen uns gelaufen", sagte Tuchel nach dem 2:3 in Bochum bei DAZN. Natürlich hatte sich seine Mannschaft in Bochum einige hochkarätige Chancen herausgespielt, die unter anderem Harry Kane recht fahrlässig nicht verwertet hatte. Natürlich war in Bochum einiges gegen den FCB gelaufen. Auch die Spielunterbrechung wegen des Fanprotests gegen den geplanten Investoreneinstieg in der Bundesliga hatte Bayern mehr aus dem Rhythmus gebracht als Bochum (wobei das auch einiges über den momentanen mentalen Zustand der Münchner erzählt).

Und doch: Es triefte irgendwie vor Trotz. Man habe ja schließlich auch "lange in Unterzahl" gespielt, führte Tuchel zum Beispiel an - was angesichts von rund 20 Minuten, die der FCB nur zu zehnt agierte gegen die bis vor Kurzem noch im Abstiegskampf stehenden Bochumer doch etwas übertrieben daherkam. Abschließend resümierte Tuchel: "Wenn wir das gleiche Spiel so nochmal spielen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir gewinnen."

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Dass Thomas Tuchel und der FC Bayern noch zueinander finden, scheint unvorstellbar

Man hatte bei Tuchels Auftritt nicht den Eindruck, dass dort ein Bayern-Trainer steht, dessen Mannschaft nun acht Punkte Rückstand auf die Tabellenspitze hat, im DFB-Pokal längst blamabel ausgeschieden ist und der in der Champions League das Aus im Achtelfinale droht. Es wirkte nicht so, als sei ihm bewusst, wie prekär die aktuelle Situation für einen Verein wie den FC Bayern ist.

Dass Tuchel, Bayern und diese Mannschaft noch einmal so richtig zueinanderfinden können, scheint spätestens nach der nächsten herben Enttäuschung in Bochum unvorstellbar. Die Verantwortung dafür liegt natürlich nicht nur beim Trainer, sondern auch bei der Mannschaft, die nach elf Meistertiteln in Serie dann doch etwas arg satt wirkt. Oder nach dem eigentlich unmöglichen letzten Triumph im Mai 2023 womöglich auch unterbewusst irgendwie denkt, dass es auch diesmal schon irgendwie wieder gutgehen wird. Eine zutiefst menschliche Reaktion, die dem Klub und seinem Trainer aber momentan natürlich kein bisschen weiterhilft. Ein Umbruch auf den Schlüsselpositionen scheint angebracht.

Auch die Vereinsführung, die Tuchel vor allem im Sommer bekanntlich nicht jeden seiner Transferwünsche erfüllte, trägt logischerweise eine Mitschuld an der Misere. Andererseits zeichnet es einen guten Trainer auch aus, aus dem vorhandenen Spielern das Beste herauszuholen und sich von seinen festgefahrenen Vorstellungen auch mal zu verabschieden. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, welche Teilschuld hier die größte ist.

Fakt ist, dass Tuchel eine Mannschaft, in die er "schockverliebt" war und die in einem seiner ersten Spiele als Bayern-Trainer gegen den späteren Triple-Sieger Manchester City lange nicht nur mithielt, in rund einem Jahr nicht dorthin bringen konnte, wo er sie selbst gerne sehen würde. Und da Tuchel zudem offenbar weder zum Klub noch zu den Spielern eine wirklich innige Beziehung aufbauen konnte, kann Bayern einen Trainer nach einer immer wahrscheinlicheren titellosen Saison eigentlich nicht weiter beschäftigen.

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Dennoch sollte der FC Bayern Thomas Tuchel jetzt noch nicht entlassen

Tuchel schon jetzt zu entlassen, wäre aber auch nicht sinnvoll. Denn was hat man in dieser Spielzeit überhaupt noch zu gewinnen? Der DFB-Pokal ist futsch. Dass ein bisher ungeschlagenes Bayer Leverkusen im letzten Saisondrittel noch drei Spiele verliert und Bayern gleichzeitig alles gewinnt, erscheint sehr unwahrscheinlich. Und in der aktuellen Situation vom Champions-League-Triumph zu träumen, ist ohnehin unrealistisch.

Zudem dürfte das absolute Minimalziel in der Bundesliga, sich also für die Champions League zu qualifizieren, angesichts von zehn Punkten Vorsprung auf Platz fünf nicht mehr in Gefahr geraten. Warum dann also voreilig Tuchel den Laufpass geben und dann einen neuen (Interims-) Trainer oder einen alten Bekannten installieren, von dem man womöglich nicht ganz überzeugt ist?

Sinnvoller wäre, bis zum Sommer zu warten und sich um einen Trainer zu bemühen, der in München langfristig erfolgreich sein kann, der möglicherweise endlich mal wieder eine Ära prägt. Die zuletzt von der Öffentlichkeit diskutierte Notlösung, im Falle einer Tuchel-Entlassung Hansi Flick zurückzuholen, käme durchaus übereilt daher. Zumal die Trennung zwischen Flick und den Bayern vor gut zweieinhalb Jahren keineswegs ohne Nebengeräusche vonstatten ging - und offen ist, wie viel Autorität er auch bei seinen früheren Spielern verloren hat durch seine äußerst glücklose Episode als Bundestrainer.

Die Aussicht, im Sommer möglicherweise dem dann wahrscheinlichen Meister aus Leverkusen Xabi Alonso wegzuschnappen, ist da schon deutlich attraktiver. Zumal: Ein bisschen Unruhe in Leverkusen, die durch ein anhaltendes Baggern der Bayern unwillkürlich aufkommen würde, käme den Münchnern ganz sicher nicht ungelegen. Ob Alonso dann tatsächlich kommen würde, ist aktuell selbstverständlich reine Spekulation. Aber Bayern sollte die Saison noch irgendwie mit Tuchel zu Ende bringen, um sich dann von Grund auf für die Zukunft neu aufzustellen.

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