Bundesliga: Darum sind Geisterspiele bis ins Frühjahr das geringere Übel

Die Allianz Arena blieb seit März leer.
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Trotz der dramatischen Verschlechterung der Corona-Lage hoffen manche Bundesliga-Bosse noch immer auf mehr Zuschauer. Doch das Gegenteil ist realistischer. Und selbst Geisterspiele bis zum nächsten Frühjahr wären das deutlich kleinere Übel. Die Fußball-Kolumne.

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Dass die Rechnung ohne den Wirt gemacht wird, ist im Profi-Fußball wahrlich keine neue Erkenntnis. Schon lange vor dem Corona-Ausbruch lebten die meisten Klubs auf Pump, entsprechend hart haben sie die Folgen der Pandemie getroffen.

Es sieht allerdings nicht danach aus, als ob die Mehrzahl der Verantwortlichen etwas daraus gelernt hätte. So hat der 1. FC Köln zum Beispiel nur vier der 17 Heimspiele in dieser Saison als Geisterspiele einkalkuliert, bei den restlichen 13 Partien wurde mit 10.000 Zuschauern gerechnet.

Gleichwohl behauptet Kölns Finanz-Geschäftsführer Alexander Wehrle, immerhin Mitglied im DFL-Präsidium, die Spielzeit sei "komplett durchfinanziert". Dabei hätte jeder seriöse Kaufmann mit der nun voll eingetretenen zweiten Coronawelle in der kalten Jahreszeit rechnen müssen, durch die die Wahrscheinlichkeit von Spielen ohne Fans bis ins nächste Frühjahr sehr hoch ist.

So wirkt es beinahe, als wolle Wehrle von seinen eigenen Versäumnissen ablenken, wenn er nun öffentlich die selbst auferlegten Infektionsschutzregeln in den Stadien in Frage stellt. "Wir sollten uns grundsätzlich fragen, ob wir nur den Inzidenzwert betrachten oder das umfangreiche Hygienekonzept der Klubs heranziehen", sagte Wehrle dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Sofortige Unterstützung erhielt der FC-Boss von seinem Augsburger Kollegen Stefan Reuter. "Wir wünschen uns eine faktenbasierte Diskussion darüber, ob man diese Regelung modifizieren sollte", meinte der FCA-Manager und suggerierte damit, dass es bislang offenbar nicht vorrangig um Fakten ging.

Geschäftsführer Stefan Reuter vom FC Augsburg sieht den engen Terminkalender im Profifußball kritisch.
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Geschäftsführer Stefan Reuter vom FC Augsburg sieht den engen Terminkalender im Profifußball kritisch.

DFL-Leitfaden: Geisterspiele ab Inzidenz von 35

Dabei ist das Gegenteil der Fall. Nicht nur nach Meinung von Politikern und Wissenschaftlern ist die 7-Tage-Inzidenz (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche) der beste Richtwert für die Gefahreneinstufung und entsprechende Maßnahmen, sondern auch nach Ansicht der eigens eingesetzten DFL-Task-Force Sonderspielbetrieb unter Leitung von DFB-Teamarzt Tim Meyer.

Nach deren Leitfaden sollen bei einer Inzidenz zwischen 5 und 35 maximal 20 Prozent der Sitzplätze belegt werden, ab einer Inzidenz über 35 müssten Zuschauer komplett draußen bleiben. Allerdings traute sich der Ligaverband nicht, seine 36 Mitglieder auf diese Vorgaben festzunageln, sondern legte die Verantwortung in die Hände der Klubs und der lokalen Gesundheits- und Ordnungsämter.

Und die Behörden sind den Profis schon weit entgegengekommen, indem bisher häufig Zuschauer sogar bis zum kritischen Inzidenzwert von 50 zugelassen wurden. Doch da dieser Wert bei den momentan explosionsartigen Ausbrüchen der Infektionen fast überall überstiegen wird, werden die Minikulissen und der regionale Flickenteppich an diesem Wochenende einen Vorgeschmack auf die kommenden Wintermonate geben.

Hertha BSC: 4000 Zuschauer trotz extrem hoher Werte

Während in Augsburg (Inzidenzwert 64,1 am Donnerstag) gegen Leipzig ganz ohne Zuschauer gespielt werden muss, dürfen in Mainz trotz einer höheren Zahl an Infizierten pro 100.000 Einwohnern in den letzten siebe Tagen (66,8) immerhin 250 Fans gegen Leverkusen ins Stadion. Dagegen wird in Hoffenheim (30,5) trotz zuletzt deutlich gestiegener Werte mit 6030 Besuchern der Rekordwert an diesem Spieltag aufgestellt.

Eine Sonderstellung nimmt in diesem ganzen Zahlensalat wieder einmal Berlin ein, wo sich Hertha BSC trotz eines Wertes von 78,3 auf die Infektionsschutzverordnung in der Hauptstadt berufen kann, weshalb 4000 Zuschauer zugelassen sind. Singen hingegen ist im riesigen Olympiastadion nicht erlaubt ...

Manche Fans, aber auch Funktionäre wie Wehrle oder Reuter nehmen diese und andere fragwürdige föderale Regelungen daher gerne als Ausreden dafür, dass man selbst wesentlich besser wisse, was man tue und an der frischen Luft ohnehin keine Gefahr drohe. Doch die von den Vereinen immer wieder vorgebrachten Behauptungen, dass sich im Stadion noch niemand angesteckt habe, sind nicht zu überprüfen.

Zumal dabei bewusst das Gedränge in öffentlichen Verkehrsmitteln und vor den Stadien bei der An- und Abreise ignoriert wird. Oder die Tatsache, dass die Abstandsregeln auf den Rängen in vielen Stadien wenig bis gar nicht eingehalten und kontrolliert wurden. Symptomatisch für das fehlende Fingerspitzengefühl bis ganz nach oben waren die TV-Bilder am ersten Spieltag aus der Münchner Arena mit den eng aneinander sitzenden Führungsspitzen des FC Bayern und von Schalke 04.

Organisierter Fußball hat eine Chance verspielt

Mit diesen Nachlässigkeiten, die allerdings in den vergangenen Monaten in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen auch zu sehen waren, und der fehlenden Bereitschaft der DFL, allen Klubs strenge Vorgaben zu machen, hat der organisierte Fußball eine Chance verspielt.

Zudem fühlen sich viele Kritiker aktuell bestätigt, die dem Profibetrieb seit längerem mangelnde Demut vorwerfen. Mindestens aber wirken die Forderungen nach mehr Zuschauern angesichts eines drohenden flächendeckenden Lockdowns mit gravierenden Beschränkungen für Wirtschaft, Schulen und anderen Einrichtungen deplatziert.

Vorrangig geht es offenbar nicht um Verantwortung, sondern um fehlende Einnahmen. Laut Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge beträgt das Minus durch eine Saison ohne Zuschauer pro Verein zwischen 50 und 200 Millionen Euro. "Die Zukunft des Fußballs steht wirklich auf tönernen Füßen. Ich weiß nicht, wie lange der Fußball das aushält", sagte er der Bild.

Realistisch allerdings müssen sich die Bundesligisten auf Geisterspiele bis zum Frühjahr einstellen, wenn durch die wärmeren Temperaturen die Inzidenzwerte wieder fallen dürften. Oder eben ein Impfstoff das Leben normalisiert, doch damit ist flächendeckend bis zum nächsten Sommer kaum zu rechnen.

Schon Ende Oktober läuft die Testphase für die Teilzulassung von Zuschauern beim Sport aus und ein dauerhafter Ausschluss durch die Politik ist laut Bundeskanzlerin Angela Merkel bei vermutlich weiter steigenden Infektionen absolut denkbar. "Wir haben eine sehr schwierige Zeit vor uns", sagte Dortmund Sportdirektor Michael Zorc am Donnerstag.

Michael Zorc blickt sorgenvoll auf die kommenden Monate.
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Michael Zorc blickt sorgenvoll auf die kommenden Monate.

Worst-Case-Szenario Saisonabbruch rückt langsam näher

Zumal sogar das Worst-Case-Szenario langsam, aber sicher näher rückt: Eine Zwangspause oder schlimmsten Fall der Abbruch der Saison. "Ich habe schon Befürchtungen, dass es während der Saison zu Unterbrechungen kommt", hat es Freiburgs Trainer Christian Streich diese Woche als erster ausgesprochen.

Klar ist aber auch, dass der organisierte Fußball so lange weiterspielen wird, wie es eben geht oder erlaubt bleibt. Die dramatischen Folgen der selbst erklärten Spielpause Mitte März stecken allen noch in den Knochen. Damals wurde die Lage immer schlimmer statt besser, eine Wiederzulassung des Spielbetriebs hing bis zum Schluss am seidenen Faden und ein Drittel der Erst- und Zweitligisten sowie den meisten Drittligisten drohte die Pleite.

Die Freigabe der Millionen aus den TV-Rechten nach dem Restart Mitte Mai rettete zahlreiche Vereine vor dem Gang in die Insolvenz, insofern sind die Geisterspiele eindeutig das kleinere Übel. "Wenn die Saison nicht zu Ende gespielt werden könnte, wären das für alle existenzielle Probleme", weiß Hertha-Geschäftsführer Michael Preetz.

DFL gefordert: Strengere Hygienekonzepte erforderlich

Hält die Ansteckungswelle allerdings an, werden die DFL und alle Beteiligten dringend gefordert sein, strengere Hygienekonzepte zu entwickeln, um eine Corona-Ausbreitung innerhalb der Mannschaften und damit vermehrte Spielausfälle zu vermeiden. Wie schnell das ansonsten gehen kann, zeigt der Blick in die Serie A, wo trotz Abschottung, Protokollen und Dauertestungen bis Donnerstagnachmittag 31 Spieler bei zehn Erstligisten infiziert waren.

Nicht nur dort raten Experten zur Errichtung einer "Bubble" wie in der NBA oder zumindest einer deutlichen Reduzierung jeglicher unnötiger Kontakte wie in der Endphase der vergangenen Bundesliga-Saison. Die Aussichten auf Dauer-Quarantäne, monatelange Geisterspiele und weitere Beschränkungen mögen trist sein. Aber darum geht es auch nicht mehr, sondern - sowohl für die Vereine als auch für manchen Fußballfan - um Leben und Tod.