Salihovic: "3000 Euro sind viel zu viel Geld"

Von Interview: Haruka Gruber
Einer der vielseitigsten Mittelfeldspieler der Bundesliga: Sejad Salihovic
© Imago

Die verborgene Seite eines Stars: Der Krieg nahm Sejad Salihovic die Heimat. Die Eltern verhinderten einen Wechsel zum FC Bayern. Und der Bruder zeigt, was Glück bedeutet. Der 27-Jährige über eine erstaunliche Wende und das Kapitänsamt in Hoffenheim.

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SPOX: Ende Februar wurden Sie von Markus Babbel suspendiert und standen vor dem Weggang, vier Monate später läuft Ihr neuer Vertrag bis 2016 und Sie sind Favorit auf das Kapitänsamt. Wie war eine derartige Wende möglich?

Sejad Salihovic: Wir hatten damals eine kurze Auseinandersetzung und ich ging für zwei Wochen runter zu den Amateuren. Als ich zurückkehren durfte, gab ich wieder Vollgas im Training und damit war die Sache gegessen. Genau das mag ich an Markus Babbel. Er weiß genau, wie viel Arbeit und Schinderei nötig ist für den Erfolg, und verfolgt eine klare Linie. Seine Karriere als Profi ist der beste Beweis dafür, dass er richtig liegt. Ich bin absolut überzeugt von ihm.

SPOX: Sie sind einer der vielseitigsten Mittelfeldspieler der Bundesliga - entsprechend werden Sie wahlweise als Sechser, Zehner oder Linksaußen aufgestellt. Ist unter Babbel die Zeit für eine feste Position gekommen?

Salihovic: In den letzten Spielen der Vorsaison wurde ich als Zehner eingesetzt. Ich musste mich zwar erst einmal daran gewöhnen - aber auf der Position macht es mir am meisten Spaß. Mal schauen, wie sich der Trainer entscheidet. Wichtig ist ohnehin nur, wo ich den Jungs am meisten helfen kann. Ich stelle meine Vorlieben gerne zurück.

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SPOX: Vor allem auf der Doppel-Sechs ist die Konkurrenz mit Sebastian Rudy, Tobias Weis und Daniel Williams sehr groß...

Salihovic: ... was ich sehr begrüße. Ich bin lange in Hoffenheim dabei, wurde einmal Siebter und jetzt dreimal in Folge Elfter. Das reicht mir nicht! Daher finde ich es gut, dass der Verein den internationalen Wettbewerb als Ziel ausgibt. Und um das zu erreichen, brauchen wir eine ausgeglichen besetzte Mannschaft, damit sich niemand nach ein paar Spielen in der Startelf sicher sein kann, für immer Stammspieler zu bleiben. Danny Williams und Tobi Weis sind kampfstark und sehr wichtig für die Balance auf dem Platz, Sebastian Rudy ist ein spielerischer Typ mit großen Qualitäten. Es muss große Konkurrenz herrschen, um große Ziele zu erreichen.

SPOX: Sie sprechen schon wie ein echter Anführer und werden mit den Worten zitiert: "Ich bin bereit für das Amt des Kapitäns!" Wären Sie enttäuscht, wenn die Wahl auf einen anderen Kandidaten, etwa Neuzugang Tim Wiese, fällt?

Salihovic: Ich wurde von den Medien falsch verstanden. Was ich sagte: Wenn der Trainer der Meinung ist, dass ich der Richtige bin, nehme ich die Binde an. Ich möchte den Jungs das Gefühl geben, dass ich für sie da bin. Meine Aussage hat jedoch nichts damit zu tun, dass ich mit aller Macht der neue Kapitän sein muss. Es gibt ein paar andere, die das Amt gut übernehmen können.

SPOX: Ist der Eindruck richtig: Vor Babbel wurden vermeintlich unbequeme Spieler wie Vedad Ibisevic, Weis und Sie weniger wertgeschätzt?

Salihovic: Über das Thema möchte ich nicht mehr sprechen. Fakt ist: Jeder Spieler hat sich in Hoffenheim sehr wohlgefühlt. Menschen benötigen manchmal eine Veränderung - und die Zeit dafür war bei Vedo gekommen. Ihm tat der Wechsel nach Stuttgart gut.

SPOX: Ibisevic und Sie verbindet eine tiefe Freundschaft. Woher rührt die?

Salihovic: Vedo ist ein guter Mensch und wir teilen das gleiche Schicksal. Man redet darüber und man hält mehr zusammen.

SPOX: Sie waren wie Ibisevic vom Bürgerkrieg in Bosnien betroffen und mussten als Kind fliehen.

Salihovic: Ich war sieben Jahre alt, als wir 1992 Bosnien verlassen mussten. Mein Vater hatte als Fabrikarbeiter schwer dafür geschuftet, für die Familie ein Haus bauen zu können - und als es fertig war, nahm man uns alles weg. Wir wurden von serbischen Soldaten auf Laster verladen und in eine Lagerhalle gebracht, wo wir auf dem Fußboden schliefen. Es war schwer.

SPOX: Wie ging es weiter?

Salihovic: Wir kämpften uns nach Berlin durch und gründeten eine neue Existenz. Wir hatten keine Arbeit, keine Wohnung, wir hatten nichts. Als Flüchtlinge nicht einmal die Sicherheit, in Deutschland bleiben zu dürfen. Deswegen mussten wir über Jahre alle sechs Monate zum Amt, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Wir lebten immer in der Angst, abgeschoben zu werden. Wichtig in der Zeit waren meine Eltern, die sehr hart arbeiteten, um für uns Kinder etwas aufzubauen. Deswegen will ich ihnen jetzt alles zurückgeben.

SPOX: Wie fanden Sie zum Fußball?

Salihovic: Erst spät, mit zwölf Jahren. Mein Bruder nahm mich mit zu einem unterklassigen Verein namens Minerva 93 Berlin. Dort wie auch in der Schule lernte ich, mich durchzusetzen. In so einem Umfeld durfte ich kein Weichei sein. Andererseits war es nicht so schlimm, wie es vielleicht klingt. Berlin ist halt kein leichtes Pflaster und ich bekam schnell beigebracht, wie das Leben läuft: Man muss dagegenhalten!

SPOX: Nur sieben Jahre nach dem Start bei Minerva debütierten Sie für Hertha BSC in der Bundesliga. War es damals wirklich so, dass der damalige Trainer Falko Götz sogar seinen wichtigsten Mann Marcelinho anwies, das Ausführen der Standards mit Ihnen zu teilen?

Salihovic: Mir wurde gesagt: Wenn ich eingewechselt werde, schieße ich die Freistöße. Das hatte Marcelinho nicht so gefallen, er war der Star, der Superspieler. Mich hat es hingegen mächtig stolz gemacht.

SPOX: Trotzdem legte Berlin keinen Wert mehr auf Sie, weil Sie zu unzuverlässig gewesen seien. Feierten Sie tatsächlich so viel mit Teamkollegen wie Patrick Ebert und Kevin-Prince Boateng?

Salihovic: Man ist jung, man verdient ein bisschen Geld, man lebt in einer Stadt mit vielen Möglichkeiten. Da ist es nicht leicht für einen unerfahrenen Profi. Daher war es so wichtig für mich, dass ich aus Berlin rauskomme. Aber: Es ging nicht um meinen Freundeskreis. Es sind alles gute Jungs, die wie ich Fehler gemacht haben, was ganz normal ist in dem Alter. Dass ich nach Hoffenheim gewechselt bin, hatte nur mit mir selbst zu tun.

SPOX: Nur: Beim damaligen Drittligisten Hoffenheim wurden Sie von Ralf Rangnick gleich zu den Amateuren in die Oberliga degradiert. Lassen sich alte Verhaltensweisen nicht so schnell austreiben?

Salihovic: Das kann schon sein. Es fiel mir nicht leicht, alleine umzuziehen und den Kulturschock zu verkraften zwischen Berlin und Hoffenheim. Umso dankbarer bin ich Ralf Rangnick. Es gab am Anfang ein entscheidendes Gespräch, in dem er mir vertrauensvoll und zugleich schonungslos vor Augen führte, dass es so nicht weitergeht und dass ich mich grundsätzlich ändern muss. Er zeigte mir den Weg.

SPOX: Sie gelten wegen Ihrer Berliner Vergangenheit nicht unbedingt als zurückhaltend. Etwas überraschend zogen Sie seit dem Wechsel nach Hoffenheim nie ins populäre Heidelberg, sondern wohnen in einem Reihenhaus im dörflichen Bad Rappenau. Wie kommt das?

Salihovic: Damals lief es so: Ich zog zunächst ins noch kleinere Meckesheim, dann erzählte mir Francisco Copado, dass die Doppelhaushälfte neben ihm zu haben ist. Ich schaute mir das an und nahm erst die freie Hälfte, und als sich Copado ein halbes Jahr später etwas neues suchte, mietete ich auch die andere Hälfte für meine Eltern an, die mir hinterhergezogen kamen. Und weil wir uns sehr wohl fühlten, gab es nie einen Grund, wegzugehen.

SPOX: Zumal Sie so kostenbewusst leben, dass Ihnen Wohnungen in Heidelberg mit Mieten bis zu 3000 Euro zu teuer sind, wie Sie einmal erklärten.

Salihovic: Es ist einfach viel zu viel Geld. 3000 Euro? Wenn man eine Wohnung direkt kauft, ist es vielleicht eine akzeptable Geldanlage. Aber 3000 Euro als Miete? Ich hatte damals keine Lust und finde es heute noch zu teuer. In Bad Rappenau bezahle ich für beide Doppelhaushälften 2000 Euro. Das muss man sich mal vorstellen.

SPOX: Stimmt es, dass Ihr Bruder Mirza für 1000 Euro im Monat auf dem Bau arbeitet?

Salihovic: Es stimmt - wobei es jetzt 1500 Euro sind. Er ist Maurer und ihm macht der Job total Spaß. Er ist verheiratet, zweifacher Vater und rundum glücklich mit seinem Leben. Das zeigt mir, dass Geld nicht alles ist.

SPOX: Sie hatten nach der sensationellen Hinrunde 2008/09 ein finanziell lukratives Angebot des FC Bayern. Sie seien nicht abgeneigt gewesen - doch nach einem Veto der Eltern blieben Sie in Hoffenheim...

Salihovic: ... was keine leichte Entscheidung war. Meine Eltern haben allerdings irgendwann gesagt: "Wenn wir schon nach Bad Rappenau umziehen, möchten wir nicht gleich wieder weg." Und ich musste als guter Sohn natürlich darauf hören. (lacht)

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