Wie kompliziert die Reifenwahl abläuft

Pirellis Mitarbeiter bereiten die Formel-1-Reifen in der Saison 2016 nach Teamwünschen vor
© getty

Die Formel 1 modifiziert zur Saison 2016 ihr Regelwerk marginal. Mit einer Ausnahme: Das Reifenreglement wird für größere taktische Freiheit und bessere Unterhaltung radikal geändert. Das Verfahren ist auf den ersten Blick höchst kompliziert.

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Es ist ein hehres Ziel, dass sich die Königsklasse des Motorsports für die neue Saison selbst gegeben hat. Die Teams sollen wieder mehr taktische Variabilität bekommen - auch ohne Nachtanken.

Der Plan ist einfach erklärt: Statt wie bisher zwei Reifenmischungen pro Wochenende zu liefern, wählt Pirelli künftig drei Gummivarianten aus. Um genug Unterschiede zu haben, wurde mit dem lila Ultrasoft ein weiterer Slick geschaffen.

Die Teams erfahren neun Wochen vor einem Grand Prix in Europa und 15 Wochen vor den Überseerennen, welche Reifen Pirelli auswählt. Dann sind die Ingenieure gefragt: Eine Woche später müssen sie den Italienern melden, wie viele Sätze welcher Mischung ihre Fahrer bekommen sollen. Dann backt Pirelli die angeforderten Reifen und liefert sie pünktlich zum Rennwochenende.

Unterschiedliche Reifen für Fahrer eines Teams

Beispiel gefällig? Mercedes könnte die Strategien seiner Fahrer von vornherein splitten: Nico Rosberg bekommt in Melbourne einen Satz der härtesten Mischung mehr als Lewis Hamilton. Während der Deutsche mit schonendem Fahrstil einen Stopp weniger machen könnte, würde Hamilton auf den weichen Reifen aggressiver zu Werke gehen.

Dabei gibt es aber ein Problem. Die FIA hat mehrere Einschränkungen definiert.

  • Der weichste Reifen muss von den Top-10-Fahrern in Q3 gefahren werden. Er darf zuvor nicht verwendet und muss nach Ende des Qualifyings zurückgegeben werden. Wer sich nicht qualifiziert, behält ihn wie in der Saison 2015 fürs Rennen.
  • Zwei Sätze der von Pirelli vorgebebenen Rennreifen dürfen nicht vor Ende des Grand Prix wieder abgegeben werden. Bis zu zwei Mischungen werden vorgegeben, von denen dann je ein Satz bis zum Ende bereitgehalten werden muss.
  • Natürlich dürfen die Rennställe im Rennen alle drei gelieferten Mischungen nacheinander aufziehen, das wird aber selten passieren. Viel wichtiger: Nach wie vor muss jeder Fahrer im Rennen zwei verschiedene Mischungen fahren, aber nur eine davon muss von Pirelli für den Grand Prix ausgewählt sein. Das gilt auch, wenn Pirelli zwei Rennreifen vorgibt.

Wie bitte? Pirelli gibt zwei Gummis vor, aber nur einer muss gefahren werden? Der Sinn dieser zunächst kompliziert erscheinenden Regel ist anhand eines Beispiels einfach erklärt.

Zwei Pflicht, nur einer wirklich

Pirelli bietet in Australien die Mischungen Supersoft, Soft und Medium an. Das Team errechnet, dass der superweiche Reifen für die schnellste Strategie am besten geeignet ist. Zusätzlich muss der Fahrer im Rennen entweder mit dem härtesten Gummi fahren, um mit wenigen Stopps durchzukommen, oder er fährt mit dem mittleren Slick einmal mehr an die Box. Wäre nur die härteste Mischung vorgegeben, wäre der mittlere Slick im Rennen unnütz. Ihn würde keiner aufziehen.

Das bedeutet weitere Probleme für den Formel-1-Fan. Zumindest, wenn er die Rennen verstehen will, statt sich nur berieseln zu lassen.

Zehn der dreizehn Reifensätze dürfen die Teams pro Fahrer komplett frei wählen. Wie gewohnt müssen für jeden Piloten vor dem 2. Freien Training, dem Samstagstraining und dem Qualifying je zwei Reifensätze abgegeben werden. Von den gelieferten Viererpacks bleiben somit für Zeitenjagd und Rennen sieben übrig.

Der fachkundige Zuschauer muss wissen, welcher Pilot wie viele Sätze von welchem Reifen hat. Nur so kann er die Strategie im Rennen nachvollziehen. Hoffentlich hat das Formel-1-Management das erkannt und blendet die Information oft genug ein.

Strategie-Fehler-Gefahr steigt

Zudem bringen drei Reifenmischungen auch für die Teams Schwierigkeiten mit. An den Start müssen die zehn schnellsten Piloten weiterhin mit den Reifen aus Q2 gehen, obwohl sie die weichste Mischung in Q3 gefahren haben.

Bringt Pirelli etwa den ultrasoften Slick mit, der deutlich schneller als der superweiche Reifen sein soll, muss die lila Mischung für den sicheren Einzug in die Top 10 schon in Q2 gefahren werden. Ist er im Rennen nach wenigen Runden hinüber, folgt der Boxenstopp, der Fahrer kommt hinter einem Pulk an langsameren Fahrzeugen heraus, die er nur schwer überholen kann.

Das fordert die Taktiker: Vielleicht ist es das Risiko wert, die Top 10 zu verpassen und dafür auf der härteren Reifenmischung die im Qualifying schnelleren Konkurrenten nach wenigen Runden wieder hinter sich zu lassen?

Chance auf mehr Abwechslung

Eins ist sicher: Die neue Reifenregularien bergen die Chance für mehr Unterhaltung. Favoriten können im Qualifying öfter an einer Hürde scheitern oder sich taktisch mit weniger zufrieden geben. Zudem wird es zu mehr Bewegung im Rennen kommen, wenn verschiedene Strategien aufeinandertreffen. Was passiert etwa, wenn es zu einer Safety-Car-Phase nach der Hälfte des Rennens kommt? Dann könnte die härteste aller Mischungen plötzlich bis zum Rennende halten.

Die Übersicht zu behalten, wird für den Fan schwer. Dieses Problem müssen die übertragenden Medien lösen.

Die Reifenmischungen für den Australien-GP:

FahrerMediumSoftSupersoft
Lewis Hamilton - Mercedes166
Nico Rosberg - Mercedes256
Sebastian Vettel - Ferrrari256
Kimi Räikkönen - Ferrari256
Valtteri Bottas - Williams157
Felipe Massa - Williams157
Daniel Ricciardo - Red Bull247
Daniil Kvyat - Red Bull247
Kevin Magnussen - Renault157
Jolyon Palmer - Renault157
Nico Hülkenberg - Force India256
Sergio Perez - Force India256
Max Verstappen - Toro Rosso247
Carlos Sainz jr. - Toro Rosso247
Fernando Alonso - McLaren-Honda157
Jenson Button - McLaren-Honda157
Marcus Ericsson - Sauber166
Felipe Nasr - Sauber256
Pascal Wehrlein - Manor445
Rio Haryanto - Manor445
Romain Grosjean - Haas157
Esteban Gutierrez - Haas247

Der Formel-1-Kalender 2016 im Überblick