Voll auf Stunk gepolt

Lewis Hamilton musste sich in Brasilien mit dem zweiten Platz begnügen
© getty

In Sao Paulo hat Lewis Hamilton ein längst vergessen geglaubtes Gesicht gezeigt. Die aggressiven Attacken des Formel-1-Weltmeisters behinderten ihn beim Großen Preis von Brasilien. Statt Mercedes-Teamkollege Nico Rosberg auf dem Autodromo Jose Carlos Pace zu überholen, forderte er einen Strategiewechsel. Den bekam er auch, nur dass seine Fahrweise das Team auch beim Vizeweltmeister zum Handeln zwang.

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Die Topform hält an. "Plötzlich ändert sich etwas im Gehirn und er explodiert", sagte Aufsichtsratschef Niki Lauda nach dem Rennen in Interlagos über seinen Vizeweltmeister. Fünf Siege sammelte Nico Rosberg bis zum vorletzten Grand Prix der Saison 2015 - so viele wie im gesamten Vorjahr.

Spanien, Monaco, Österreich, Mexiko, Brasilien - gewinnt der Deutsche das Saisonfinale in Abu Dhabi, hat er erstmals in seiner Karriere drei Grands Prix in Folge für sich entschieden. Für seine Psyche ist diese Serie nach dem enttäuschenden Saisonverlauf wichtig.

"Solche Dinge passieren. Manchmal kämpft man mit sich selbst und plötzlich, dann ist der Kopf frei und dann geht man ab", lobte Lauda: "Er ist so schnell wie Lewis. Es läuft gut für ihn. Er kann siegen." Dass Hamilton sich nach seinem sicheren Titelgewinn entspannt, schloss der Österreicher aus: "Er kämpft weiter. Das kann man in jeder Runde sehen. Im Moment ist Nico einfach besser."

Hamilton reagiert schmallippig

Dass Hamilton damit kein Problem hat, betonte er am Samstag. Zumindest, wenn es ums Qualifying geht. Doch seine schmallippigen Antworten deuten darauf, dass seine wahren Gedanken andere sind.

Am Sonntag im Rennen Zweiter zu werden, widerstrebt dem Weltmeister. Er will gewinnen - immer. Und ganz besonders in Sao Paulo.

Der Traum vom Senna-Sieg

Hamilton hatte sich für das Saisonfinale ein Ziel gesteckt: Er wollte endlich im Heimatland seines Idols Ayrton Senna siegen.

"Es ist unglaublich, wenn man bedenkt, dass Ayrton acht Anläufe gebraucht hat, um dieses Rennen zu gewinnen. Es ist eines der wenigen, bei denen ich noch nicht gewonnen habe", sagte er vor der ersten Session in Sao Paulo: "Sollte ich das an diesem Wochenende ändern können, wäre das eine Verbeugung vor ihm und ein weiteres Highlight in diesem fantastischen Jahr. Ich werde alles geben, um das zu erreichen."

Neun Anläufe hat Hamilton mittlerweile genommen, um in Interlagos zu gewinnen. Auch mit seinem Spezialhelm im Senna-Design scheiterte er beim Brasilien-GP 2015 erneut. Die Schuld gab er dem Team.

Hamilton beschuldigt das Team

Schon während des Rennens beschwerte er sich. Erst gab der 30-Jährige durch, die Reifen würden nicht halten, dann erklärte er, die Strecke lasse es nicht zu, im Windschatten zu fahren.

Das mag stimmen, besonders unter dem derzeitigen Reglement. Doch gibt es Hamilton das Recht, die Politik des Teams in Frage zu stellen? Schließlich profitierte er in der Vergangenheit genauso davon, dass die Ingenieure beiden Fahrern dieselbe Taktik vorgeben.

"Ich bin hier um Rennen zu fahren. Wenn man die gleiche Strategie hat, ist von Anfang an alles klar. Wir sollten das Risiko eingehen", bekundete Hamilton im Anschluss. Doch er vergaß dabei die Wahrheit.

Hamilton fuhr so aggressiv, dass Mercedes den von ihm geforderten Plan B umsetzte - bei beiden Fahrern. Plan A sah vor, mit zwei Stopps die Renndistanz zu absolvieren. Erst als Ferrari Sebastian Vettel früh zum zweiten Reifenwechsel holte und ihm die weichen Reifen verpasste, konnte Mercedes die konservative Drei-Stopp-Taktik wählen, die in der Theorie mehrere Sekunden langsamer war.

Der längst vergessene Hamilton

Der Weltmeister entschied sich zum Angriff mit dem Messer zwischen den Zähnen. Er zeigte ein längst vergessen gelaubtes Gesicht: Volles Risiko, ohne Rücksicht auf Verluste. Um dann doch wieder auf zwei Reifenwechsel umstellen zu wollen.

"Niemals wäre er mit zwei Stopps irgendwo hingekommen, so wie er gefahren ist", erklärte Rosberg: "Er hat hinter mir so viel Druck gemacht, dass ich schneller fahren musste, als ich wollte."

Rosberg gab an, seine Pace anfangs zurückgeschraubt zu haben. So wollte er sichergehen, mit zwei Stopps bis zur Zielflagge zu kommen. "Als ich gesehen habe, wie wild er hinter mir unterwegs war, wusste ich, dass er Reifenprobleme bekommen würde", sagte der Vizeweltmeister. Deshalb habe Mercedes auf drei Stopps umstellen müssen.

Vettel-Taktik ermöglicht Strategiewechsel

Mercedes verneinte das. Der Grund sei Ferraris Wechsel zu drei Stopps für Vettel gewesen. Hamilton sollte sie covern, um sicher vor dem zweiten Deutschen zu bleiben. Schließlich fuhr der vierfache Weltmeister nur wenige Sekunden hinter dem Silberpfeil.

Es bleibt festzustellen, dass Rosberg klüger fuhr als Hamilton. Schnell stellte der Brite fest, dass er in den DRS-Zonen nicht vorbeikommt. Doch statt kontrolliert einen Angriff beim Boxenstopp vorzubereiten, blieb er im Windschatten.

"Er ist sowas von abgekackt direkt danach", machte Rosberg seinem Unmut über das Verhalten Luft.

"Abkacker" Hamilton unterliegt klugem Rosberg

Der spätere Sieger ging anders vor. Er hielt sich seinen ärgsten Konkurrenten berechnend auf Distanz. Rosberg trödelte im Mittelsektor Runde für Runde. Dort schonte er die Reifen. Doch rechtzeitig vor dem Herausbeschleunigen auf die Zielgerade vergrößerte er die Lücke wieder.

"Nico hat nicht wegen der besseren Strategie gewonnen, sondern weil er einfach schneller war", fasste Toto Wolff zusammen.

"Nico hatte alles unter Kontrolle", wies auch Technikchef Paddy Lowe die weltmeisterliche Behauptung zurück, Rosberg sei langsamer gewesen.

Mercedes gibt Hamilton Gegenwind

Hamiltons Forderung nach Narrenfreiheit im Cockpit bügelte das Team ab. "Unsere Philosophie ist, dass wir unsere Fahrer gegeneinander fahren lassen. Sie dürfen machbare Alternativen ausprobieren. Das haben wir in der Vergangenheit gezeigt. Aber wir lassen sie nicht um jeden Preis eine schlechte alternative Strategie verfolgen", sagte Lowe.

Wolff erklärte, warum. "Selbst der beste Instinkt im Auto kann nie den Überblick ersetzen, den die Box hat", sagte der Österreicher: "Wenn der Fahrer im Auto anfängt, die Strategie zu machen, wird er jedes einzelne Rennen verlieren, weil das Instinkt-Entscheidungen sind. Das kann zwar mal richtig sein, aber wenn du nicht alle Daten vorliegen hast, triffst du meist keine guten Entscheidungen." Eine deutliche Ansage an Hamilton, der schon in Mexiko eine andere Taktik gefordert hatte, um den Sieg einzufahren.

Wie sagte Lauda? "Im Moment ist Nico einfach besser" - vor allem im Qualifying, wo er in Brasilien wie schon in Mexiko die Grundlage für den Sieg legte.

Rosbergs Kampf um die Mini-WM

Rosberg hatte sich wie Hamilton für den Saisonendspurt ein Ziel gesetzt. Er rief nach der WM-Entscheidung in Austin eine Mini-WM aus. Die imaginäre Wertung führt der Deutsche mit 50 Punkten und 12 Zählern Vorsprung an.

"Das Wichtigste ist für mich Rennen zu gewinnen", schloss Rosberg: "Als Randnotiz ist es nett, Zweiter in der Weltmeisterschaft zu werden. Das ist besser als Dritter zu sein. Aber ich will gewinnen."

Von seinem zweiten verlorenen Kampf um den Titel hat er sich schneller erholt als nach der Saison 2014, als ihn im letzten Rennen die Technik um den WM-Kampf brachte. Schon jetzt liegt Rosbergs Fokus auf dem Jahr 2016: "Es ist immer besser für das nächste Jahr, das laufende mit einem Hoch zu beenden."

Bei Mercedes brennt zwar aktuell sicher nicht der Baum. Der Wald ist aber immer noch ausgetrocknet. Wolff und Lauda müssen die Funken weiter mit der Hand einfangen.

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