FC Bayern: Alles steht auf dem Prüfstand

Haruka Gruber
05. März 201211:50
Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge beim 0:2 in LeverkusenGetty
Werbung
Werbung

Die Bayern-Bosse suchen nach dem nächsten Rückschlag in Leverkusen die Antworten auf wegweisende Fragen. Dabei ist Trainer Jupp Heynckes nur eines von vielen offenen Themen. Auch Kapitän Philipp Lahm steht zur Disposition.

Entscheidung 1: Ist Heynckes der richtige Trainer?

Den Bayern ist derzeit vieles vorzuwerfen - eines jedoch nicht: Dass der Trainer ob der Erfolglosigkeit die gebotene Contenance verliert. Jupp Heynckes war nach dem 0:2 in Leverkusen angespannt und wenig redselig, aber er verzichtete auf übermäßiges Gekeife und stellte sich der Kritik: "Wer Trainer beim FC Bayern ist, muss mit solchen Situationen umgehen. Da muss man gelassen und souverän bleiben. Ich denke, dass ich dazu die Erfahrung habe."

Streit und Krise: FC Bayern verzweifelt an der BVB-Perfektion

Angesichts seiner Routine wirkt es in der Retrospektive umso erstaunlicher, wie Heynckes vor der Rückrunde mit der Aussage "Das war die beste Vorbereitung meiner Karriere" bewusst die Bayern zum Träumen bewegt hatte. Im Nachhinein betrachtet ein fahrlässiger Fehler des sonst so überlegten Heynckes.

SPOXspox

Denn seine Mannschaft zeigt sich seitdem in keiner Weise dazu befähigt, die überhöhten Erwartungen zu erfüllen. Die Bayern sind auswärtsschwach (nur 1 von 5 Spielen in der Fremde gewonnen), defensiv verwundbarer als zu Beginn (ersten 14 Pflichtspiele: 1 Gegentor, letzten 23 Pflichtspiele: 23 Gegentore) und weniger torgefährlich: In den letzten 10 Pflichtspielen erzielten sie nie mehr als zwei Treffer (Schnitt: 1,2), in den ersten 27 Pflichtspielen hingegen gelangen in 12 Spielen mindestens drei Treffer (Schnitt: 2,4).

Folgerichtig büßte München auf Dortmund innerhalb von 17 Spieltagen 15 Punkte ein, so dass angesichts des Rückstands von aktuell 7 Punkten auf den Tabellenführer der Titel so fern ist wie nie. Damit droht den Bayern folgendes Szenario: Erstmals seit 16 Jahren könnten sie in zwei Spielzeiten in Folge die deutsche Meisterschaft verpassen.

"Die Kritik ist berechtigt. Auch an meiner Person. Ich bin der Verantwortliche für das Ganze", sagt Heynckes - was zur Frage führt: Welche Konsequenz hätte eine Fortsetzung der Krise? Was geschieht im Falle eines durchaus möglichen Ausscheidens gegen Basel in der Champions League?

Blog: Jupp Heynckes - der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort

Jürgen Klinsmann, Interimslösung Heynckes, Louis van Gaal, Interimslösung Andries Jonker, erneut Heynckes - und dann? Es wäre der sechste Trainerwechsel von Präsident Uli Hoeneß und Vorstand Karl-Heinz Rummenigge, während Dortmund in der gleichen Zeitspanne nur einen Coach hatte: Jürgen Klopp. Jener Klopp, den Hoeneß und Rummenigge im Sommer 2008 als zu leichtgewichtig für die Bayern einschätzten.

Entscheidung 1: Ist Heynckes der richtige Trainer?

Entscheidung 2: Sind Ribery/Robben die Lösung für die Zukunft?

Entscheidung 3: Fehlt der Mannschaft die Kadertiefe?

Entscheidung 4: Ist Philipp Lahm der richtige Kapitän?

Entscheidung 2: Sind Ribery/Robben die Lösung für die Zukunft?

Fast genau ein Jahr ist es her, als der damalige Trainer van Gaal das wohl größte Kompliment im Weltfußball aussprach: Frohlockend ob der Leistung von Franck Ribery und Arjen Robben beim 4:0 gegen Hoffenheim verglich er die beiden mit den Besten der Besten. "Mit Robben und Ribery haben wir mehr Kreativität nach vorne. Sie sind unglaublich wichtig für den FC Bayern, wie Messi und Xavi für den FC Barcelona oder Ronaldo und Özil für Real", sagte van Gaal.

Und genau wie Messi und Xavi oder Ronaldo und Özil, so die Hoffnung von van Gaal und des Klubs, sollten Ribery und Robben die Bayern auf eine neue Stufe heben. Raus aus der anonymen Masse an europäischen Topklubs, rein in den exklusiven Kreis der echten Fußball-Mächte, zu der derzeit nur Barca und Real zählen.

Nur: Mittlerweile zweifelt selbst die Bayern-Spitze daran, ob die gleichermaßen begnadeten und verletzungsanfälligen Flügelspieler die Grundpfeiler einer goldenen Zukunft sein können.

Ribery ist noch immer kein Leader, aber er zeigt sich in dieser Saison weniger renitent und dafür sportlich wertvoll (20 Scorer-Punkte in 23 Bundesliga-Spielen). Seine Zukunft heißt FC Bayern. Über Robbens Wertigkeit wurde hingegen noch nicht abschließend befunden. Entsprechend gibt es keinen neuen Stand, ob die Bayern den 2013 auslaufenden Vertrag zu verlängern gedenken oder nicht.

Sollten die Bayern zur Überzeugung gelangen, dass Robben nicht der erhoffte Franchise Player ist, müssten sie ihn in diesem Sommer verkaufen, um eine akzeptable Ablösesumme zu erzielen. Ein Indiz für Robbens geschwächte Stellung ist ein "Bild"-Interview, das sein Freund und Ex-Bayern-Kapitän Mark van Bommel gab, um ihn zu stützen: "Das Ganze hat auch etwas mit Vertrauen zu tun. Bayern muss froh sein, so einen Spieler zu haben."

Entscheidung 1: Ist Heynckes der richtige Trainer?

Entscheidung 2: Sind Ribery/Robben die Lösung für die Zukunft?

Entscheidung 3: Fehlt der Mannschaft die Kadertiefe?

Entscheidung 4: Ist Philipp Lahm der richtige Kapitän?

Entscheidung 3: Fehlt der Mannschaft die Kadertiefe?

Ermattet von der fortwährenden Fragerei der Medien und der Nörgelei der Bankspieler fasste die Bayern-Führung einen Entschluss, den der damalige Trainer van Gaal befürwortete: Im Sinne des innerbetrieblichen Friedens wurde in den letzten zwei Jahren der Kader so entschlackt, dass der erweiterte Stamm mittlerweile aus lediglich 16 Spielern besteht. Die restlichen Plätze werden von Spielern aufgefüllt, deren Qualität (Pranjic, Petersen, Usami, Contento) oder Charakter (Breno) in Frage stehen und die daher nur bedingt von Nutzen sind.

SPOXspox

Ein Umstand, den Heynckes bereits im September, als die Bayern noch dominant waren, beanstandet hatte.

Die fehlende Tiefe ist selbst ohne Verletzungen und Sperren allzu frappierend: Lediglich im defensiven Mittelfeld gibt es um die beiden Plätze einen Wettstreit von fünf Kandidaten (Schweinsteiger, Kroos, Luiz Gustavo, Alaba, Tymoschtschuk) - aber sonst?

Für die beiden Plätze in der Innenverteidigung bieten sich drei Spieler an (Badstuber, Boateng, van Buyten), dasselbe gilt für die beiden Außenverteidiger-Positonen (Lahm, Rafinha, Boateng). Um eine Rolle in der offensiven Dreier-Reihe bewerben sich vier Spieler (Robben, Ribery, Müller, Kroos), nimmt man Alaba hinzu sind es auch nur fünf. Ähnlich dünn sieht es im Sturm aus: Gomez ist gesetzt, Olic steht als Backup parat - mehr nicht.

Die von Schweinsteiger vertretene These, dass die Bayern trotz der Absage von Marco Reus "immer eine qualitativ bessere Mannschaft als Dortmund" haben würden, widerlegt seine Mannschaft mit Vorstellungen wie in Leverkusen selbst. "Wir haben keine richtig gute Bank, haben keine richtig gute zweite Mannschaft. Aber ich bin nicht der Präsident, nicht der Manager", sagt Ribery.

Die Verantwortlichen sind mittlerweile einsichtig und werden die Mannschaft verstärken. Xherdan Shaqiri und Dante dürften nur die Vorboten dessen sein. Für den Sturm etwa kündigte Hoeneß eine "Bombe" an.

Auch weil die eigene Erklärung der letzten Jahre nicht mehr stichhaltig ist, wonach die Bayern nur von der nationalen Konkurrenz gestoppt werden könnten, wenn im Sommer zuvor eine WM oder EM stattfand. 2006/2007, 2008/2009 und 2010/2011 wurden die von Großturnieren übermäßig strapazierten Münchner nicht Meister - doch welche Entschuldigung gibt es für 2011/2012?

Entscheidung 1: Ist Heynckes der richtige Trainer?

Entscheidung 2: Sind Ribery/Robben die Lösung für die Zukunft?

Entscheidung 3: Fehlt der Mannschaft die Kadertiefe?

Entscheidung 4: Ist Philipp Lahm der richtige Kapitän?

Entscheidung 4: Ist Philipp Lahm der richtige Kapitän?

Es gleicht einer sozialwissenschaftlichen Debatte, welche Variante eines Führungsspielers in der Moderne gefragt ist: Während die heutige Generation mehrheitlich den basisdemokratischen Weg bevorzugt, vermisst Franz Beckenbauer bei den Bayern den Archetypus eines Oliver Kahn.

"Kahn hat dazwischengehauen, Mitspieler zusammengestaucht und angetrieben", sagt Beckenbauer und kritisiert implizit Spielführer Lahm, einen Mann der gemäßigten Mitte.

Lahm bevorzugt Konsens und Diplomatie - ein Verhaltensmuster, das in Krisenzeiten als Zaudern ausgelegt werden könnte. Bei teaminternen Auseinandersetzungen auf dem Platz wie aktuell zwischen Boateng und Müller bleibt Lahm im Hintergrund und geht selten dazwischen. Nur Zufall - oder ein Beleg für fehlende Leadership-Fähigkeiten?

Ex-Bayern-Profi Dietmar Hamann sucht nach einem Regulativ und denkt wohl an Lahm, wenn er bei "Sky" sagt: "Robben hat in meinen Augen keine Berechtigung, in der Mannschaft zu sein. Seit dem Winter hat er nicht die Leistung gebracht und jetzt sitzt er auf der Bank und stichelt gegen den Trainer. Das sind alles Krisenherde - und da muss mal einer auf den Tisch hauen."

DFB-Sportdirektor Matthias Sammer ergänzt: "Philipp Lahm ist zwar Kapitän, aber Bastian Schweinsteiger ist für mich der wichtigste Spieler bei Bayern und der fehlt. Die Mannschaft hat Probleme."

Ein Fakt: Lahm ist bemüht und engagiert, dennoch strahlt er keine Entschlossenheit aus. In Leverkusen hatte er die meisten Ballkontakte (108), trotzdem fiel das kaum auf, weil seine Spielweise von Vorsicht geprägt war. Selbst nach dem 0:1 blieb er zurückhaltend und verschuldete das 0:2 mit.

"Es tut sehr weh. Es läuft nicht gut", sagt Lahm über die Situation der Bayern. Es würde jedoch auch auf seine persönliche Situation passen.

Entscheidung 1: Ist Heynckes der richtige Trainer?

Entscheidung 2: Sind Ribery/Robben die Lösung für die Zukunft?

Entscheidung 3: Fehlt der Mannschaft die Kadertiefe?

Entscheidung 4: Ist Philipp Lahm der richtige Kapitän?

Der FC Bayern im Steckbrief