Alaba: Identitätsfindung eines Rollenspielers

Von Daniel Reimann
David Alaba hat mit seinen Leistungen als Linksverteidiger beim FC Bayern zuletzt überzeugt
© Getty

David Alaba durchlief beim FC Bayern fast alle Mannschaftsteile und scheint nun sein Zuhause gefunden zu haben. Als Linksverteidiger überzeugte er Coach und Kaiser - auch wenn es nicht seine bevorzugte Rolle ist. Seinem Formhoch fällt ein einstiger Hoffnungsträger zum Opfer. Oder ist doch alles nur ein kurzes Intermezzo?

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Es regnet unaufhörlich in Florenz. Die Bayern-Trikots sind von oben bis unten durchnässt, von den Spielern selbst ganz zu schweigen. Doch viel schlimmer als der ständige Regen ist der Wind. Er bläst mit einer Urgewalt, lässt lange Bälle und Fernschüsse zu blanken Zufallsprodukten verkommen. "Ich habe noch nie mit oder gegen so viel Wind gespielt", beklagte sich Bastian Schweinsteiger nach dem Spiel.

Mittendrin in diesem Witterungschaos behält einer den Überblick. Ein schmächtiger 17-Jähriger mit Milchbubi-Gesicht. Er pfeift, brüllt, gestikuliert. Der Adressat seiner unmissverständlichen Botschaft ist Franck Ribery, der vom jüngsten Champions-League-Spieler der Bayern-Geschichte zurechtgewiesen wird.

David Alaba selbst beschwichtigte nach dem Spiel, sprach von einer "guten Zusammenarbeit" mit Ribery und hütete sich davor zu verraten, dass er den Bayern-Superstar auf dem Platz vehement auf dessen Defensivaufgaben hingewiesen hatte.

Dennoch blieb diese Szene - neben Alabas sehr ordentlichem Auftritt - als erstes Ausrufezeichen des jungen Österreichers auf der großen Bühne in Erinnerung. SPOX titelte am Tag danach: Alle lieben Alaba.

Backup für Ribery, Ersatzmann für Schweinsteiger

Gut zwei Jahre sind seit jenem denkwürdigen Märzabend vergangen, als sich die Bayern mit Mühe und nur durch die Auswärtstorregelung im Achtelfinale der Königsklasse in Florenz durchsetzten.

Ein halbes Jahr davon verbrachte Alaba in Hoffenheim, wo er Spielpraxis sammelte und seine Entwicklung spürbar voranschritt. Dass diese nicht ins Stocken geriet, hat er seit seiner Rückkehr zum FC Bayern in der Sommerpause besonders den zahlreichen Zwangspausen seiner Konkurrenten zu verdanken.

Reichte es für Ribery oder Robben in der Anfangsphase der Saison noch nicht für 90 Minuten oder sollten frische Impulse auf dem Platz gesetzt werden, sprang Alaba als Ersatzmann fürs offensive Mittelfeld in die Bresche - meistens von der Bank aus. Mehr Einsatzzeiten versprachen Schweinsteigers Verletzungen (November Schlüsselbein, Februar Außenband).

Alaba etablierte sich neben Toni Kroos als brauchbarer Schweinsteiger-Backup und verwies die Mitstreiter Luiz Gustavo und Anatolij Timoschtschuk auf die Ersatzbank. Und auch der jüngste Ausfall von Rafinha (grippaler Infekt) wurde durch Alaba kompensiert, indem Philipp Lahm nach rechts und der Österreicher auf dessen Linksverteidigerposition rückte.

Wo auch immer Alaba gebraucht wurde, spielte er stets die von ihm verlangte Rolle. Ohne zu meckern und zumeist tadellos.

Alaba blüht als Linksverteidiger auf

Doch mit der Rückkehr auf die Position des Linksverteidigers, die Alaba schon bei seinen ersten Auftritten im Bayern-Dress bekleidet hatte, verändert sich die sportliche Situation für den 19-Jährigen grundlegend. Im offensiven oder defensiven Mittelfeld bleibt für Alaba in wichtigen Spielen kein Platz mehr, wenn die Stammspieler zurückkehren.

Mit Alaba als Linksverteidiger hingegen gewann die Viererkette und damit das gesamte Team an Stabilität. Alaba ist so wertvoll wie nie.

"Er macht das so, als hätte er immer schon links in der Viererkette gespielt", schwärmte Trainer Jupp Heynckes. Und sogar der Kaiser persönlich bekräftigte in der "Bild", Heynckes habe mit Alaba als Außenverteidiger "die richtige Lösung" gefunden. Die Statistiken sprechen eine ähnlich klare Sprache: Beim 6:0 gegen die Hertha war Alaba mit 92 Prozent gewonnener Duelle zweikampfstärkster Münchner und überragte durch die beste Passquote aller Bayern-Spieler (97 Prozent).

Nur: Was sagen die Statistiken tatsächlich aus? Der Youngster war bei den zurückliegenden Kantersiegen Teil eines perfekt funktionierenden Teams und defensiv kaum gefordert. Entsprechend fehlt ihm eines: Sich auch gegen ein großes Team in der neuen, alten Rolle zu beweisen.

Nachholbedarf als Sechser

Die Ausgangslage für Alaba ist anspruchsvoll: Durch die Verpflichtung von Xherdan Shaqiri wird die Konkurrenzsituation im ohnehin schon glänzend besetzten offensiven Mittelfeld kommende Saison noch einmal angeheizt. Ein Stammplatz scheint in der Konstellation ausgeschlossen.

Auf der Sechser-Position hinterließ Alaba zumindest auf den ersten Blick einen durchweg ordentlichen Eindruck. Wühlt man sich allerdings genauer durch den Zahlenwust, hinkt er seinen Mitstreitern nur hinterher. Das belegt die Castrol EDGE Leistungsanalyse (Stand: 16. März 2012).

Leistung sichtbar machen: So entsteht das Castrol EDGE Ranking

Denn betrachtet man die zwei wichtigsten messbaren Eigenschaften eines defensiven Mittelfeldspielers, Zweikampfstärke und Passquote, wird Alabas Nachholbedarf im Vergleich zu Kroos, Gustavo und Timoschtschuk über die gesamte Saison gesehen deutlich.

Beispielsweise bestritten Kroos und Timoschtschuk ihre Zweikämpfe wesentlich erfolgreicher (86 bzw. 83 Prozent gewonnen) als der 19-Jährige (69), der in dieser Hinsicht auf ähnlichem Niveau wie Luiz Gustavo (68) agiert.

Mehr Ballkünstler als Ballverteiler

Auch was die Präzision des Passspiels anbetrifft, hinkt Alaba leicht hinterher: Mit "lediglich" 85 Prozent erfolgreichen Pässen hat er die schlechteste Quote der genannten Vier.

Vielmehr sorgt Alaba für Gefahr, wenn er mit dem Ball am Fuß selbst die Initiative ergreift. Knapp 80 Prozent erfolgreiche Dribblings stellen Kroos (61), Luiz Gustavo (70) und Timoschtschuk (63) in den Schatten.

Mit einer solchen Waffe ausgestattet, dürfte Alaba der richtige Mann für die Außenbahn sein. In ihm steckt eben mehr ein Ballkünstler, kein Ballverteiler.

Dazu gewinnt Bayerns Flügel durch einen Linksfuß hinter Ribery enorm an Unberechenbarkeit. Schließlich strahlen sowohl Ribery als auch Alabas Vorgänger Lahm am meisten Gefahr aus, sobald sie auf Strafraumhöhe Richtung Mitte ziehen. Selten ist es der Fall, dass einer der beiden Rechtsfüße bis zur Grundlinie sprintet und von dort aus vollem Lauf mit links flankt.

Mit Alaba auf der Außenbahn werden solche Spielzüge wahrscheinlicher und Bayerns Laufwege im Angriffsspiel schwerer zu antizipieren. "So, wie es jetzt aussieht, wird das nun länger so bleiben", sagt Lahm, der vormalige Statthalter hinten links.

Blog: Löst Alaba Bayerns Außenverteidigerproblem?

Kein Platz mehr für Rafinha und van Buyten?

Die Opfer der Umstellung sind Rafinha und Daniel van Buyten. Rafinha, der 2011 für fünf Millionen Euro als neuer Hoffnungsträger für die Position des Rechtsverteidigers geholt wurde, überzeugte nur selten und wird von Lahm auf die Bank verdrängt.

Der Versuch mit Jerome Boateng hinten rechts verlief ebenfalls ernüchternd, weswegen Heynckes diesen in der Innenverteidigung als wertvoller erachtet - was sich als folgenschwer für van Buyten erweist.

Der vormalige Stammspieler muss sich gemeinsam mit Luiz Gustavo, Timoschtschuk und Breno um die Vertreterrolle für einen Platz in der Abwehrzentrale anbieten.

Ungeliebte Position

Alaba hingegen gehört vorerst zum Kreis der Unverzichtbaren. Dabei gefällt ihm jene Position, der er die gestiegene Wertschätzung bei Heynckes verdankt, nur bedingt. Dies gestand er vor ein paar Monaten in einem Interview mit der "APA".

"Am liebsten spiele ich im zentralen Mittelfeld als Sechser oder am linken Flügel. Ich kann aber auch als Zehner hinter den Spitzen spielen. Nur als Linksverteidiger habe ich mich nicht wohlgefühlt", verriet Alaba.

Aber er ergänzte der Korrektheit halber: "Im Endeffekt wissen die Trainer am besten, wo ich der Mannschaft helfen kann."

Der Kader des FC Bayern München 2011/12

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