Die Skispringer starten am Freitag (16.30 Uhr im LIVE-TICKER) in Lillehammer mit der neuen Disziplin Mixed-Teamspringen in die Saison. Bundestrainer Werner Schuster nimmt eine für die deutschen Adler ungewöhnlich junge Nationalmannschaft mit in die ersten Weltcups. Angeführt von Severin Freund, Andreas Wank und Richard Freitag und gespickt mit unerfahrenen Talenten. Letzter Routinier an Bord ist Michael Neumayer. (Vorerst) nicht dabei: Altmeister Martin Schmitt. SPOX sprach vor dem Neustart mit Schuster.
"Wir sind auf einem guten Weg", sagt Werner Schuster im Gespräch mit SPOX. Es klingt defensiv. Doch der Bundestrainer weiß, dass er seit langem wieder ein schlagkräfiges Team mit viel Potenzial beisammen hat, das sich gegenseitig zu Topleistungen anstacheln kann. Es ist eng. "Da ist Dynamik im System. Junge Springer, die nicht mal nur kurz aufgezeigt haben, sondern den Druck aufrechterhalten", beschreibt Schuster die Situation im DSV-Team.
Eine Wohlfühlsituation für einen Trainer. "Klar, das wünscht man sich. Darauf haben wir aber auch fünf Jahre visionär hingearbeitet." Jetzt gelte es, diese Dynamik zu steuern. "Auch mit einem gewissen Fingerspitzengefühl. Junge Leute im richtigen Moment zu bringen. Und im richtigen Moment auch wieder rauszulassen."
Schmitt: "So viel Siegpotenzial hatten wir lange nicht"
Wer nun glaubt, Schuster würde in der Mannschaft mit einer flachen Hierarchie für Wohlfühlatmosphäre sorgen, Freund, Freitag und Wank als Dreierspitze ausrufen, der täuscht sich. Schuster ist ein Freund klarer Worte und Entscheidungen. Das bekam nicht zuletzt Routinier Martin Schmitt zu spüren, dessen Nichtnominierung für den Weltcup-Kader Schuster bereits beim Sommer-GP in Klingenthal mehr als andeutete, als er Schmitt in die nationale Gruppe zurückstufte.
Schusters Kommunikationsstärke kommt an. Der zunächst in den Continental Cup versetzte Schmitt lobt im Gespräch mit SPOX ohne zu zögern den A-Kader: "Da ist eine schlagkräftige Truppe beisammen. Da gibt es viele junge Springer, die sich richtig gut entwickelt haben", sagt Schmitt. Wohlgemerkt einer, der aufgrund dieser Entwicklung vorerst nicht dabei ist. Der 34-Jährige zeigt sich eloquent und unheimlich fair. Man muss den Hut ziehen.
Freund ist definitiv der Stärkste
Seine größten Erwartungen setzt Trainer Schuster in Severin Freund. "Freund ist klar vorn. Er ist definitiv der Stärkste", sagt Schuster klipp und klar.
Diese Spitzenposition ist mehr als erstaunlich. Denn Freund schleppt einen großen Trainingsrückstand mit in den Winter. Der Grund: Eine Bandscheiben-OP im April. "Er ist stark zurückgekommen, ist topmotiviert. Er hat sein Paket zusammen. Auch im internationalen Vergleich ist er sehr gut Ski gesprungen", gerät Schuster ins Schwärmen, ohne dabei schwärmerisch zu klingen.
Schuster analysiert und erkennt an: "Das waren herausragende Leistungen. Wenn Severin gesund bleibt und sein Körper hält, dann ist er nicht nur national, sondern auch international vorn dabei."
Wank eine Option mehr fürs deutsche Team
Andreas Wank startet so selbstbewusst in den Winter, wie nie zuvor. Der 24-Jährige gewann die Sommer-Grand-Prix-Serie - als erster Deutscher seit 1999 Sven Hannawald.
"Tendenziell ist Andreas Wank schon ziemlich gut drauf", kommentiert Schuster lapidar sich wiederholende Fragen nach Wanks Potenzial beim Saisonstart. Der Bundestrainer wird ebenso wenig müde, zu betonen, dass "im Sommer nicht immer alle am Start" gewesen seien.
"Wenn er im Gesamtweltcup in die Top 15, im Optimalfall sogar in die Top 10 vordringen sollte, wäre das ein riesen Schritt", so Schuster, der Wank auch abseits der Schanze lobt. "Er hat sich noch einmal weiter entwickelt. Auch als Mensch. Was mir neben seinen Siegen am besten gefallen hat, waren seine Kommentare und Interviews."
Neue Anzugregelung liegt Wank
Wank sei mental stärker geworden. "Er ist ganz klar eine Option mehr im deutschen Team. Andi hat für sich das Gefühl, dass er bestehen kann, wenn er führt. Dieses Gefühl aus dem Sommer nimmt er mit. Wenn er wieder führt, dann hat er eine Chance, dass er das durchkriegt."
Den Eindruck, die engeren Anzüge seien Wank entgegengekommen, leugnet Schuster nicht: "Das ist jedenfalls nicht zu seinem Nachteil ausgefallen", schmunzelt der Coach und scheut dennoch ein Urteil vor Saisonstart. Obwohl es im Sommer so ausgesehen habe, "dass die großen Springer mit den langen Skiern sich schneller umgestellt haben".
Schuster will die Material- und Stildiskussion nicht allzu hoch hängen. "Es soll sich ja nicht wahnsinnig viel ändern. Es ist immer noch ein anliegender Anzug." Er ist sicher, dass die "richtig Guten unter den Kleineren" diesen Schritt auch packen werden.
Freitag muss in der Persönlichkeit reifen
Wie Richard Freitag, der zuletzt noch nach der Konstanz suchte. "Der Richie hatte einen schwankenden Sommer. Im letzten Jahr war er stabiler, aber da waren die eigenen und die Fremderwartungen auch noch nicht so hoch."
Das ist nach Platz zehn bei der Tournee und zwei Weltcup-Sieg in der Vorsaison nun anders. Schuster setzt auf Geduld. "Man muss vielleicht ein bisschen nachsichtig sein, sollte er mal einen schlechten Tag haben. Aber das Potenzial ist nach wie vor hoch."
Während Wank diesbezüglich Lob kassiert, sieht der Trainer bei Freitag im nichtsportlichen Bereich Luft nach oben: "Richard muss in der Persönlichkeit noch ein bisschen reifen. Er ist sehr ehrgeizig und hat manchmal auch Anwandlungen, sich ein bisschen zu verbeißen. Da muss er noch ein bisschen wachsen, um die innere Balance zu finden."
Generationenwechsel: Drei Youngster wecken Hoffnungen
Zeit dazu bekommt Freitag, es ist ein vorolympisches Jahr. Mit der Vierschanzentournee und der Nordischen Ski-WM im italienischen Val di Fiemme (20. Februar bis 3. März 2013) stehen zwar zwei Großereignisse im Weltcup-Kalender. Für Schuster kommt diese "Zwischensaison" aber gerade recht, um den Generationenwechsel im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Sotschi 2014 voranzutreiben.
Die Verjüngung des Nationalteams scheint schneller zu gelingen, als von außen erwartet. Ein Grund: Die Youngster Andreas Wellinger (17 Jahre alt), Karl Geiger (19) und Danny Queck (23) nutzten in der Vorbereitung ihre Chance. Die Kehrseite der Medaille: Der erfahrene Maximilian Mechler gehört ebenso wie der einstige Überflieger Martin Schmitt zum B-Team, das im Continental Cup antritt. Beide kämpfen noch mit der Umstellung auf das neue Material. Saubere Sprünge gelangen zu selten, um sich gegen Wellinger und Co. durchzusetzen.
Martin Schmitt hofft auf die Tournee
Schmitt hat die Nationalmannschaft aber längst nicht abgehakt. Ziel sei die Vierschanzentournee. "Spätestens zur Tournee will ich wieder in einer Form sein, von der ich sage: 'Okay, so kann ich bestehen, so kann ich im Weltcup wieder Ergebnisse erzielen'", erklärt Schmitt.
Die Tür zum A-Kader ist nicht verschlossen. "Bleib' dran, Martin. Alles Gute!", ruft Schuster Schmitt auf der DSV-Einkleidung, dem vorsaisonalen Klassentreffen, zum Abschied zu und erklärt: "Martin hat zwischen Juli und Oktober viel bewegt. Ihm steht noch ein Schritt bevor, nicht der leichtere, aber ich halte es für möglich, dass er die Lücke schließt."
Leistungen hätten früher gereicht
Von den Ü-30-Routiniers, die ihn den letzten Jahren den Großteil des A-Kaders stellten, ist einzig Michael Neumayer übrig geblieben. Aufgrund seiner Athletik hat er die technische Umstellung auf das neue Material gut bewerkstelligt. Der 33-Jährige übernimmt im Team die Mentorenrolle für die jungen Athleten, die Niveau und Leistungsdichte merklich angehoben haben.
Dieser Wohlfühl-Position eines Trainers ist sich Schuster bewusst. "Was Schmitt und beispielsweise Mechler im Sommer geleistet haben, hätte vor zwei Jahren noch ganz locker für das Weltcup-Team gereicht."
Klar ist aber auch: Die Teenager und Queck sollen in der ersten Weltcup-Serie bis Engelberg hauptsächlich lernen. "Nicht alle werden durchkommen", warnt auch Schuster. Insbesondere Wellinger aber gilt als Riesentalent, er gewann den Sommer-Continentalcup in Lillehammer. In dieser Serie überzeugte auch Geiger als Gesamtfünfter.
Roter Knopf ein Marketing-Gag?
Neben den Anzügen gibt es auch im Wettkampf-Ablauf eine Innovation: Mit dem "Roten Knopf" erhalten die Trainer die Möglichkeit, die Anlauflänge ihrer Athleten unmittelbar vor dem Sprung zu verkürzen. Als Bonus winken Pluspunkte, vergleichbar mit denen, die eine wetterbedingte Anlaufverkürzung mit sich bringt.
"Ich bin nicht sehr begeistert von dieser Idee. Als ich es zum ersten Mal hörte, dachte ich, 'wieso eigentlich?'", sagt Schuster. "Wir hatten das im Sommer schon einmal und damals ist es in ein Taktikgeplänkel ausgeartet."
Der Bundestrainer befürchtet Missbrauch, in den Tests sei der Knopf "nicht im Sinne des eigentlichen Zweckes verwendet" worden. Da seien vor allem Rhythmen gebrochen worden. "Aber vielleicht habe ich ja auch mal einen Springer als Letzten da oben", so Schuster augenzwinkernd. "Und dann hilft es uns."
Im Zuge dieser Neuerung plant die FIS, den Funkverkehr zwischen den Coaches und der Jury vergleichbar mit dem Boxenfunk in der Formel 1 als dramaturgisches Mittel in den Weltcup-Übertragungen einzusetzen. "Sie versprechen sich etwas für die Außendarstellung", meint Schuster und zuckt die Achseln. "Ich bin für das Sportliche zuständig."
Skispringen: Das ist der Weltcup-Kalender 2012/2013
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren



