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Blogpokal 2011/12


Gründer: Rodnox | Mitglieder: 90 | Beiträge: 1
04.10.2011 um 18:43 Uhr
Geschrieben von Voegi
Mein Pokalfight
oder: Der ewige Traum

Der Linienrichter streckt die Fahne Richtung Boden: Eckball! Der letzte Eckball im Spiel. Die Nachspielzeit ist längst abgelaufen. Noch ein letzter Ball, der in den Strafraum der Argentinier fliegen würde. Eine letzte Chance, um der Verlängerung zu entgehen und in den Fußball-Olymp aufsteigen zu können. Mit schweren Beinen trotte ich Richtung Fünfmeterraum, die Augen gen Eckfahne gerichtet, den Blick auf den Ball fixiert, den ich mir so sehr vor meinen Füßen wünschte, um ihn als Fanal der Ekstase in die Maschen zu hauen. Unser Standardspezialist lässt sich keine Zeit. Zu groß ist die Besorgnis, der Schiedsrichter würde vor lauter Ungeduld zur Pfeife greifen und uns diese letzte Chance noch nehmen.

Der Ball fliegt, nicht besonders hoch, aber mit hörbarem Drall in den Strafraum, an allen Spielern vorbei in die Arme des argentinischen Torhüters, dem er aus seinen schweißgetränkten Handschuhen entgleitet und mir vor den rechten Fuß springt. Mit letzter Kraft schiebe ich das Leder über die Torlinie ins Netz. Der Ball ist drin! Es ist mein Tor. Ich kann es nicht glauben. Mit skeptischem Blick orte ich den Schiedsrichter, der in unmissverständlicher Gestik signalisiert, das Tor zu geben und das Spiel im gleichen Atemzug abpfeifen zu wollen. Betrunken vor Glück setze ich zu einem letzten Sprint an, irgendwo Richtung Fankurve, um dort von einer Traube aus Mannschafskameraden begraben im Glück des Augenblicks zu versinken.


Wie wohl viele andere Jungs in dem Alter träumte auch ich als achtjähriger Steppke von der großen Nationalmannschaftskarriere. Von dem Tag des WM-Finals im eigenen Land, da ich Deutschland zum Titel schießen würde. Von dem Moment des einzigartigen Ruhms, den einem so eben nur der Fußball bescheren kann. Von der Sekunde, da ich den Pokal in die Luft recken würde.

Doch wohl kaum ein anderer achtjähriger Träumer war von der Erfüllung seines Wunsches so weit entfernt wie ich. Schon das bloße Gehen gehörte damals nicht zu meinen Paradedisziplinen, geschweige denn das Laufen. Diese komische Muskelkrankheit, deren Name mich seinerzeit noch nicht wirklich interessierte, war nicht gerade die ideale Voraussetzung für eine Karriere als Profisportler. Mein stelzenhafter Zehenspitzengang, der mich alle drei Minuten auf die Nase fallen ließ, taugte einfach nicht zum Fußballspielen. Noch dazu, wenn man sich aus der Tieflage nur durch eine langwierige, wenn auch unter Gesichtspunkten des Bodenturnens durchaus anspruchsvolle Aufstehaktion in die Lotrechte manövrieren konnte.

Und trotzdem konnte man mich vom Kicken nicht abbringen. Trotzdem fand man mich jeden Nachmittag auf unserem improvisierten Betonfußballfeld, dessen Tore die von Stromkasten und Straßenschildpfahl begrenzten Latten zweier Gartenzäune bildeten. Immer wieder war ich dabei. Von Mitspielen will ich nicht reden. Dafür meine Rolle zu passiv angelegt. Zumeist stellte ich mich lediglich einige Meter vom gegnerischen Tor entfernt hin und wartete: Auf den Ball, der mir wie in meinem Finaltraum vor die Füße fallen würde. Diese Taktik war freilich nur möglich, weil die Abseitsregel im Straßenfußball seinerzeit und wohl auch noch heute keine Geltung beanspruchte.

Gleichwohl sollte mein erster Torerfolg lange auf sich warten lassen. Immer und wieder flog mir der Ball vor die Füße, ohne dass ich meine Chance zu nutzen wusste. Entweder begab ich mich in kraftloser Erstarrung in die Horizontale oder aber ich semmelte jämmerlich an den Kugel vorbei. Irgendwann jedoch begab es sich, dass wir den harten Lederball gegen eine kleine Plastikkugel austauschten, kaum größer als ein Tennisball. Und irgendwie schien dieses kleine Spielgerät meinen Bedürfnissen besser gerecht zu werden. Denn bereits beim ersten Kick mit der neuen Kugel geschah das, wovon ich so lange geträumt hatte:

Eine scharfe Flanke vor links näherte sich mit gefühlter Überschallgeschwindigkeit meiner damals noch nicht so ausgeprägten Plautze, welche die Kugel entgegen der Logik der Winkelgesetze Richtung Gartenzaun, zwischen Straßenschildpfahl und Stromkasten ins Tor beförderte. Mein kleiner Traum vom großen Glück war für einen kurzen Moment Wirklichkeit geworden. Allzu große Jubelarien verkniff ich mir gleichwohl. Die Angst, unter einer Spielertraube begraben zu werden, um in der Folge das mühselige Aufstehritual vornehmen zu müssen, war wohl schlicht zu groß.

So sah er also aus, der absolute Höhepunkt meiner Spielerkarriere, die drei Jahre später ihr jähes Ende finden sollte. Denn Fußballspielen im Rollstuhl funktioniert eben eher semiklasse. Da half auch alle Träumerei des damals Elfjährigen nichts mehr. Die große Sehnsucht nach dem Triumph im Fußball aber blieb. Nach dem Augenblick des Ruhmes, in dem man sich für wenige Sekunden als der Größte fühlen darf. Nach einem Gefühl, für das im Sport nur ein passendes Bild existiert: Einen Pokal unter enthusiastischen Jubelschreien in den Nachthimmel zu recken.

Doch erst elf Jahre später, im Jahre 2002, erlebte ich mein persönliches Heureka, als ich meinen ganz eigenen Pokalfight ins Leben rief. Mit der Gründung von Tasmania Hackentrick, einer Fußballgemeinschaft, die ihre Kompetenz in Tipp- und Managerspielen misst. Der paradoxe Name "Tasmania Hackentrick" ist bewusst gewählt, steht er doch irgendwie sinnbildlich für meine innere Zerrissenheit zwischen glamouröser Schwärmerei und ernüchtender Wirklichkeit. Und genau deshalb liegt mir dieser verrückte Rudelbums so sehr am Herzen.

Seit 2002 kämpfe ich als Tasmane nun Jahr für Jahr um Ruhm und Anerkennung - und um einen Wanderpokal, den der Gesamtsieger als Würdigung seiner Leistungen am Ende jeder Saison in Empfang nehmen und die Luft recken darf. Dass es sich dabei um kein hochglänzendes Juweliermachwerk handelt, sondern um ein sprühlackiertes Weizenbierglas, dessen materieller Wert wohl kaum den einer Büchse Ölsardinen übersteigen dürfte - ist gleichgültig. Der ideelle Wert liegt unendlich viel höher. Nicht nur für mich.


Der heilige Gral

Vor rund vier Jahren habe ich unseren Tasmanen-Pokal nun erstmals in die Luft recken dürfen, als Lohn für eine Saison, in der ich mit Tippglück und Managernäschen die Oberhand behielt. Zum ersten Mal hatte mir der Fußball einen Pokalgewinn beschert. Zum ersten Mal war ich der große Sieger. Zum ersten Mal fühlte ich mich so ein bisschen wie in meinem ewigen Traum.

Noch heute träume ich bisweilen - vom WM-Pokal und dem Moment, da mir der Ball vor die Füße fällt. Ich komme nicht los von dem Traum, den ich niemals werde leben können. Denn selbst bei einer Spontanheilung dürfe es mit der Nationalmannschaftsnominierung nichts mehr werden bei meinen 32 Lenzen. Jogi Löw setzt ja inzwischen mehr auf junge Kräfte. Aber das macht auch nichts. Denn manchmal sind die Träume, die nie Wirklichkeit werden können, eben doch die schönsten.
Aufrufe: 5801 | Kommentare: 33 | Bewertungen: 17 | Erstellt:04.10.2011
ø 8.6
KOMMENTARE
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PapaLöwe
05.10.2011 | 09:42 Uhr
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05.10.2011 | 09:42 Uhr
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Konnte mich irgendwie wiederfinden, auch ohe Rollstuhl in meinem Leben. Aber fußballerische Talentfreiheit soll ja häufiger vorkommen. Als EffZeh Fan wie ich ...

Es fehlt ein wenig an Drive und Kick, wie taneu sagte. Da bin ich sonst mehr gewohnt.

Voegi: 8 Punkte
Pulga: 6 Punkte
Titan: -3 Punkte
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Büchsenmacher
05.10.2011 | 07:30 Uhr
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05.10.2011 | 07:30 Uhr
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feines Teil das ich auch gut nachvollziehen kann,
für mich der Siegerblog in diesem Duell . 9 Punkte
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mamö99
05.10.2011 | 07:04 Uhr
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mamö99 : 
05.10.2011 | 07:04 Uhr
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mamö99 : 
Starke Story! Verpackst das alles wie gewohnt in feine Worte, mir fehlt aber der letzte Biss. Aber im Falle des Weiterkommens kann ja da noch einer drauf gesetzt werden. Daher "nur" 9 Punkte
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UnrealFabian
05.10.2011 | 00:31 Uhr
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05.10.2011 | 00:31 Uhr
-1
Also mir sagt der Blog gar nicht zu.
Natürlich ist er sehr gut geschrieben, wie immer halt, da kann man wenig bis gar nichts gegen sagen.

Aber der Rest kickt mich null. Der Anfang ist so... normal. Etwas was sich, wie du ja selbst sagt, jeder kleine Junge erträumt. Und das hätte er auch ähnlich lebendig beschrieben. Von daher nix besonderes.
Dein persönliches Schicksal ist natürlich mehr als hart, keine Frage. Und es gibt dem Blog die persönliche Note und macht deine Träumerei doch etwas einzigartiger.
Aber da frage ich mich: Muss das wirklich sein? Also mir sagt das einfach nicht und kommt verdammt komisch (nicht im Sinne von lustig) rüber.

Dafür werden mich vielleicht viele User kritisieren und ich mir sicher einige Minus einfangen aber das mir egal.

6 Punkte!
Und das auch nur wegen deinem sehr guten Schreibstil.
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mayoble
04.10.2011 | 22:49 Uhr
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mayoble : 
04.10.2011 | 22:49 Uhr
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mayoble : 
Gibt das hier eigentlich schon wieder ein Duell?
Falls ja: Schade.
Aber zumindest gibt es zwei erstklassige Teilnehmer.
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La_Pulga
04.10.2011 | 22:08 Uhr
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La_Pulga : 
04.10.2011 | 22:08 Uhr
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La_Pulga : 
Starkes und sehr persönliches Teil! Ich wusste gar nicht, dass du im Rollstuhl sitzt und das hätte ich auch irgendwie nicht erwartet...

Zum Blog selber will ich auf jeden Fall sagen, dass die Träume die nie in Erfüllung gehen auf jeden Fall die schönsten sind!

Und du bekommst von mir ne glatte 10 für einen tollen Blog, wirklich!
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taneu
04.10.2011 | 20:29 Uhr
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taneu : 
04.10.2011 | 20:29 Uhr
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taneu : 
Deine Geschichte ist einmalig. Und wie Du damit umgehst sowieso. Das verdient einen Extrapunkt. Schreiben kannst du eh wie kein Zweiter. Oder eigentlich kann kein Zweiter so wie Du. Eigentlich weiß ich nicht was fehlt. Aber irgendwas ist es. Der Kick, der Drive? Vielleicht messe ich dich auch zu sehr an deinen bisherigen Werken? Und schlecht ist die Benotung ja auch nicht. Für mich sind das gnadenlose

9 Punkte
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mayoble
04.10.2011 | 19:57 Uhr
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mayoble : 
04.10.2011 | 19:57 Uhr
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mayoble : 
Wow. Es haben ja jetzt schon einige BP-Teilnehmer Stories aus der persönlichen Vergangenheit rausgehauen. Dass du das aber eben noch ein bisschen besser kannst, ist weder schwer zu sehen noch irgendwie überraschend.
Ich könnte jetzt überlegen und warten, bis die anderen on sind, mach ich aber nicht. Ich gebe einfach mal so 10 Punkte, dann können die anderen beiden eben nur noch gleichziehen.
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Voegi
MODERATOR
04.10.2011 | 18:44 Uhr
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Voegi : 
04.10.2011 | 18:44 Uhr
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Voegi : 
Dieser Blog ist ein Beitrag zum Blogpokal 2011/12. Zur Bewertung des Blogs einen Kommentar mit einer Note von 1 - 10 schreiben und bitte einen kurzen Satz zur Begründung.

Meine Kontrahenten sind La_Pulga und TitanTrissi
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