Der beste Ballack aller Zeiten

Stefan Rommel
15. Dezember 200817:07
SPOXGetty
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Ascona - Michael Ballack lässt immer auf sich warten. Sämtliche Physiotherapeuten und Fitnesstrainer, selbst Psychologe Hans-Dieter Hermann stehen schon auf dem Platz.

Die Fähnchen, Stangen und Hütchen bilden schon die Kräfte raubenden Parcours, die Getränkebox ist prall gefüllt. Alles ist bereitet - dann erst lässt sich der Kapitän blicken.

Es ist vor jeder Trainingseinheit dasselbe Prozedere. Wie ein Hirte seine Schäflein treibt Ballack die Mannschaft, seine Mannschaft, vor sich her. Vielleicht ist es auch nur eine lang gepflegte Angewohnheit, immer den Schluss zu bilden.

So oder so ist es aber ein Zeichen. Dieses Team hat einen Chef. Und der Chef heißt Michael Ballack.

Zittern um den Traum

Dabei war der Boss fast ein Jahr lang gar nicht dabei. Zwischen März 2007 (2:1-Sieg in Tschechien) und Februar 2008 (3:0-Sieg in Österreich) stand Ballack nicht für Deutschland auf dem Platz.

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Seine ominöse und zu spät erkannte Verletzung am oberen linken Sprunggelenk löste einen heftigen Streit zwischen seinem Klub FC Chelsea und den Ärzten des DFB aus.

Als Folge wurde Ballack von den Blues nicht für die Gruppenphase der Champions League gemeldet. Eine schwierige Zeit. Deutschland zitterte um Ballack, Ballack zitterte um seinen großen Traum.

Verletzungspause als Vorteil

Vielleicht ist diese Episode jetzt aber sogar ein großer Vorteil für Ballack. Nur 27 Spiele absolvierte der 31-Jährige in der zurückliegenden Spielzeit. Cristiano Ronaldo etwa musste für Manchester United 51 Mal ran. Ein Kräfteverschleiß kann da nicht ausbleiben.

Körperlich ist Ballack voll auf der Höhe, hatte seitdem keine Verletzung mehr und überzeugte in der Schlussphase der Saison. "Noch nie war ich vor einem Turnier so fit wie dieses Mal", sagt Ballack.

"Michael ist körperlich und läuferisch so stark wie nie zuvor", sagt Joachim Löw. Er sagt das mit Stolz und Respekt und mit der Gewissheit, dass er mit dem besten Ballack aller Zeiten in das "härteste Turnier aller Zeiten" (O-Ton Löw) gehen kann.

Entwicklungssprung in England

Auf dem Platz zeigte sein Kapitän spätestens gegen Serbien, dass dieses Turnier sein Turnier werden soll. Nach dem spektakulären Scheitern im Champions-League-Finale rechneten viele mit einem geknickten Ballack, der sein Finaltrauma um eine weitere Nuance vergrößert hatte.

Das Gegenteil ist der Fall. "Als er zur Nationalmannschaft kam, hatte man den Eindruck, als hätte er mit Chelsea das Finale gewonnen. Es war nichts von einer Enttäuschung bei ihm zu merken. Diese Mentalität hat er in England angenommen", freut sich Löw über den Entwicklungssprung.

Der Gelobte selbst sieht das eher nüchtern. "Ich freue mich über die Wertschätzung. Klar habe ich in den letzten zwei Jahren in Chelsea noch einen Schritt nach vorne gemacht, gerade auch, weil ich nach der schweren Verletzung zurückgekommen bin. Ich habe den Kampf gegen mich gewonnen. Diese Situation kannte ich bis dato nicht und sie gemeistert zu haben, gibt natürlich Selbstvertrauen."

Ballack schlüpft in Rolle des Publikums

Ballack ist gereift. Als Spieler, vor allem aber als Persönlichkeit. Natürlich liegt das auch am Alter und an der Gewissheit, dass er nicht mehr oft die Möglichkeit bekommen wird, bei einem großen Turnier oder Wettbewerb im Finale zu stehen.

Als es in Gelsenkirchen nur sehr schleppend lief, trieb der Kapitän seine Mannschaft nach vorne. Am Ende notierten die Statistiker 101 Ballkontakte, über zwölf zurückgelegte Kilometer und drei Großchancen. Die Anzeigetafel vermerkte den Sieg bringenden Treffer kurz vor Schluss.

Mit seiner mitreißenden Art wird Ballack wohl auch ein bisschen die Rolle des Publikums übernehmen müssen, das der Mannschaft vor zwei Jahren bei der Heim-WM noch als großer Motivator und Antreiber zur Seite stand.

Erbe von Matthäus

Ballack geht vorne weg, er legt sich mit dem Schiedsrichter und wenn nötig auch mit den eigenen Mitspielern an. Und wer weiß, wie fordernd er in Gesprächen mit Löw agiert.

Zuletzt hatte die deutsche Nationalmannschaft einen derart außergewöhnlichen Spieler in Lothar Matthäus. 1990 war das. Deutschland wurde in Italien Weltmeister.

Danach gab es auch immer mal wieder herausragende Persönlichkeiten, Rudi Völler oder Matthias Sammer oder Jürgen Klinsmann etwa. Alles Titelsammler. Ballack überstrahlt sie alle.

Outstanding, aber mittendrin

In England bezeichneten sie ihn in den letzten Wochen als "outstanding". Und wirklich steht er auch hier in Ascona über allen und allem - aber doch so mittendrin wie kein anderer in dieser Teamgeist und Harmonie suchenden Mannschaft.

Teamkollegen wie Lukas Podolski oder David Odonkor loben seine Führungsqualität, die streng und rigide ist, aber nicht arrogant rüberkommt.

Besonderen Druck verspürt Ballack trotz aller Pflichten bisher aber nicht. "Ich gehe ganz ruhig an die Sache ran. Ich bin gut drauf, fühle mich gut, bin im Rhythmus, habe keine Verletzungen, konnte im Gegensatz zu vergangenen Turnieren ohne Beschwerden die Vorbereitung machen. Allerdings habe ich auch schon in den vergangenen Jahren immer Verantwortung übernommen."

Große Spiele werden von großen Spielern entschieden, heißt es. Deutschland kann beruhigt in die EM gehen. Kein anderes Team hat einen wie Michael Ballack in seinen Reihen. Kein anderes.