Während Mercedes beim Großen Preis von Kanada den Anschluss zu Red Bull und Ferrari feiert, hadert Sebastian Vettel erneut mit den strategischen Fehlentscheidungen seines Teams. Carlos Sainz drängt sich bei Ferrari derweil immer mehr in die Rolle der Nummer zwei. Die Erkenntnisse zum Kanada-GP.
1. Die WM ist für Mercedes noch nicht gelaufen
Als "schlimmstes Auto, mit dem ich hier je gefahren bin", beschrieb Lewis Hamilton noch in den Trainings am Freitag seine Eindrücke von der Mercedes-Performance auf dem Circuit Gilles Villeneuve. Knapp zwei Tage später stand der Ex-Weltmeister dann als Dritter auf dem Podium und kam aus dem Schwärmen über die Pace seines W13 überhaupt nicht mehr heraus.
"Nach dem ganzen Kampf mit dem Auto ist der dritte Platz überwältigend, das hätte ich nicht erwartet", meinte der Brite nach der Zieleinfahrt. Sein Teamchef Toto Wolff sah es ähnlich und sprach von einem vielversprechenden Schritt in die richtige Richtung. "Wir müssen happy sein, wir haben das heute auf der Bahn herausgefahren. Am Ende gehörten wir mit zu den Schnellsten, das ist gut. Das lässt hoffen, dass in den nächsten Wochen ein weiterer Schritt folgen kann."
Denn tatsächlich präsentierten sich die Silberpfeile im Renntempo über weite Strecken auf Augenhöhe mit den Red Bulls und Ferraris. Im zweiten Stint waren Hamilton und Teamkollege George Russell gar die schnellsten Piloten im gesamten Feld und knallten eine Bestzeit nach der anderen auf die Anzeigetafel. Die Formkurve zeigt bei Mercedes damit weiter steil nach oben.
Zum ersten Mal in dieser Saison holte man zwei Podestplätze nacheinander (Russell vor einer Woche in Aserbaidschan) - und das auf Strecken, die dem Traditionsrennstall eigentlich so überhaupt nicht in die Karten spielen. Sowohl Baku als auch Montreal weisen in ihrem Profil langsame Kurven und lange Geraden auf, dem Mercedes schmecken aber eher aerodynamisch anspruchsvollere Kurse samt mittleren und schnellen Kurven mit kürzeren Topspeed-Abschnitten.
Mercedes-Strecken kommen noch
In den kommenden Wochen stehen mit Silverstone und Le Castellet eben genau solche Strecken auf dem Plan. Sollte sich der Lauf fortsetzen, wäre Mercedes dann nicht nur ein Kandidat auf einzelne Rennsiege, auch in der Weltmeisterschaft könnte es einen Turnaround geben. Konstanz-Monster Russell hat in der Fehrer-Wertung auf Verstappen lediglich 64 Punkte Rückstand. Hat der Niederländer zwei, drei Rennen, in denen es schlechter läuft oder die er aufgrund von technischen Problemen aufgeben muss, könnte Russell die Lücke schließen.
Vor allem, da die Silberpfeile, im Gegensatz zu Red Bull und Ferrari, in Sachen Zuverlässigkeit bislang noch überhaupt keine Probleme vorweisen. "Es ist komisch, dass bei beiden Teams [Ferrari & Red Bull] die Autos immer wieder stehenbleiben. Wir sind happy über unsere Haltbarkeit", meinte Wolff.
Beinahe vorahnend auf das, was vielleicht in den kommenden Wochen und Monaten kommen könnte, griff der Mercedes-Teamchef nach dem Rennen die Weltmeisterschafts-Debatte auf und schob jeglicher aufkeimende Euphorie umgehend einen Riegel vor. "Der Zug ist schon lange abgefahren. Aber wir wollen Rennen aus eigener Kraft gewinnen. Ich glaube, das können wir schaffen."
Doch auch bei Red Bull hat man die kontinuierliche Performance-Steigerung des langjährigen Rivalen zur Kenntnis genommen. Ein Dreikampf zwischen den Österreichern, Ferrari und Mercedes ist nicht mehr abwegig, glaubt RB-Motorsportchef Helmut Marko: "Das Ganze kann sehr schnell gehen und man muss weiter arbeiten. Mercedes hat massiv aufgeholt. Also das Feld vorne schiebt sich auf diese drei Marken zusammen."
2. Vettel wird von Aston Martin sabotiert
Genau gegenteilig zu Mercedes verlief das Wochenende von Sebastian Vettel. Während am Freitag aufgrund von starken Platzierungen und gutem Speed noch große Euphorie herrschte, musste sich der Deutsche am Sonntag mit dem zwölften Platz zufriedengeben.
Demensprechend wenig begeistert war der Aston-Martin-Pilot nach dem Rennen. "Ich bin natürlich nicht so zufrieden. Es ist einfach heute nicht für uns gelaufen. Wir hätten ein ganz anderes Rennen gebraucht. Es war heute einfach nicht unser Tag. Es schien seit Samstagnachmittag nichts in unsere Richtung zu laufen.", klagte der Heppenheimer im Interview.
Bei Vettel darf man die Schuld für das erneut verkorkste Ergebnis jedoch kaum suchen, denn einmal mehr war eine Verkettung von unglücklichen Entscheidungen auf Seiten der Team-Verantwortlichen für seine Enttäuschung verantwortlich. Am Samstag verpatzte sein Team aufgrund von falschen Reifendrücken an seinem Auto eine bessere Ausgangssituation, letztlich ging der Deutsche nur als 16. ins Rennen. Tags darauf lag man am Kommandostand dann - leider nicht zum ersten Mal in diesem Jahr - mit der Strategie daneben.
Anstatt auf ein, in Montreal sehr wahrscheinliches, Safety Car zu warten und einen Boxenstopp unter begünstigten Bedingungen abzuwickeln, bat Aston Martin Vettel unerklärlicherweise bereits nach fünf Umläufen an die Box. Dabei bekam der Ex-Weltmeister nicht einmal frische Reifen aufgesetzt, da er nur noch angebrochene Sätze zur Verfügung hatte.
Vettel: "Hätten heute Punkte mitnehmen können"
Durch den frühen Stopp gingen ihm zu allem Überfluss gegen Rennende dann auch die Reifen aus. Auf seinen abgenutzten Hards hatte Vettel, obwohl er sich zwischenzeitlich bis in die Top Ten vorgearbeitet hatte, keine Chance mehr. Fahrer um Fahrer zog an ihm vorbei und reichte ihn bis auf Rang zwölf zurück.
"Die virtuellen Safety-Car-Phasen haben uns beide Male das Genick gebrochen. Praktisch alle Fahrer haben einen Gratisstopp gekriegt, beim zweiten Mal all diejenigen, die beim ersten Mal nicht abgebogen waren. Und damit war es vorbei, aber so geht es manchmal", übte Vettel leise Kritik an den Entscheidungen seines Teams. Denn: Eigentlich sei sein Speed gut genug gewesen. "Ich glaube, wir hätten heute mehr Punkte mitnehmen können."
Diese bekam am Ende Teamkollege Lance Stroll aufs Konto, da dieser im Gegensatz zu Vettel seinen ersten Stint in die Länge zog. Dank am Ende frischerer Reifen rückte der Kanadier noch vor in die Top Ten und holte einen WM-Punkt für Aston Martin. Auch bei Vettel wäre so ein Szenario durchaus möglich gewesen, doch traf Aston Martin beim Heppenheimer wieder einmal die falsche Entscheidung.
3. Bei Sainz reicht es nur zur Nummer zwei
Von Platz drei gestartet und als Zweiter im Ziel angekommen. Wirft man einen nüchternen Blick auf das Rennergebnis von Carlos Sainz, könnte man meinen, dass der Spanier in Montreal einen mehr als ordentlichen Grand Prix bestritt.
Doch so richtig freuen konnte sich der Ferrari-Pilot über seinen fünften Podestplatz in dieser Saison nicht, auch weil er es erneut verpasste, seinen ersten F1-Sieg einzufahren. "Ich habe wirklich voll gepusht und alles versucht. Wir waren ganz nah dran am Sieg", meinte er im Post-Race-Interview. Der erste Platz wäre in jedem Fall drin gewesen, da Sainz im Vergleich zu Verstappen "schneller war. Zum ersten Mal in dieser Saison kann ich sagen, dass ich auf der Strecke der Schnellste war."
Letztlich machte er daraus aber zu wenig. Bereits am Samstag verpasste er eine bessere Ausgangssituation, als er im Qualifying lange Zeit auf Pole-Kurs war. Ein viel zu überambitioniertes Hineinbremsen in die letzte Kurve kostete den Ferrari-Piloten dann aber nicht nur den ersten Startplatz, zu allem Überfluss fiel er auch noch hinter Fernando Alonso zurück.
Und genau dieser war dann auch im Rennen die Spaßbremse. Während Verstappen am Start souverän vorne wegfuhr, brauchte Sainz mehrere Umläufe, um seinen Landsmann zu passieren. Da war der Niederländer an der Spitze bereits enteilt, der Vorsprung sollte dem RB-Fahrer später in die Karten spielen.
Als es im letzten Renndrittel dann - begünstigt durch ein Safety Car - doch noch zu einem Zweikampf zwischen den Beiden kommen sollte, nutzte der Ferrari-Pilot abermals seine Chance nicht. Mit frischeren Reifen und DRS-Hilfe kam es nicht einmal zu einem direkten Angriff, weil Sainz erneut patzte. "Gott sei Dank hat Sainz zweimal in der Spitzkehre leichte Verbremser gehabt. Also das hat uns das Leben etwas leichter gemacht", sagte RB-Motorsportchef Helmut Marko nach dem Rennen bei ORF.
Ferrari muss sich für Leclerc entscheiden
Wieder einmal bleibt der fade Beigeschmack, dass es der eigentlich so talentierte Spanier nicht schafft, das Maximum aus seinem SF-75 rauszukitzeln. Aus seinen bisherigen Chancen mach Sainz unterm Strich einfach zu wenig. Mal ist es fehlender Speed im Vergleich zu Teamkollege Charles Leclerc, mal sind es - wie in Montreal - eigene Fehler, die ihn um bessere Ergebnisse bringen.
In der Weltmeisterschaft ist er hinter-Mercedes-Pilot Russell mittlerweile auf den fünften Platz abgerutscht, zu Spitzenreiter Verstappen fehlen stolze 73 Zähler. In den kommenden zwei bis drei Rennen wird sich Ferrari entscheiden müssen, auf welches Pferd man im WM-Kampf setzten will und wer letztlich die Rolle des Wasserträgers übernehmen muss. Derzeit spricht nicht viel für Sainz.
Formel 1: Der WM-Stand (nach 9 von 22* Rennen)
- Fahrerwertung:
Platz | Fahrer | Team | Punkte |
1 | Max Verstappen | Red Bull | 175 |
2 | Sergio Perez | Red Bull | 129 |
3 | Charles Leclerc | Ferrari | 126 |
4 | George Russell | Mercedes | 111 |
5 | Carlos Sainz | Ferrari | 102 |
6 | Lewis Hamilton | Mercedes | 77 |
7 | Lando Norris | McLaren | 50 |
8 | Valtteri Bottas | Alfa Romeo | 46 |
9 | Esteban Ocon | Alpine | 39 |
10 | Fernando Alonso | Alpine | 18 |
- Konstrukteurswertung:
Platz | Team | Punkte |
1 | Red Bull | 304 |
2 | Ferrari | 228 |
3 | Mercedes | 188 |
4 | McLaren | 65 |
5 | Alpine | 57 |
6 | Alfa Romeo | 51 |
7 | AlphaTauri | 27 |
8 | Aston Martin | 16 |
9 | Haas | 15 |
10 | Williams | 3 |
*Der Russland-GP wurde aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ersatzlos gestrichen. Ursprünglich hatte die Formel 1 für die Saison 2022 23 Rennen eingeplant.
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