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NBA - Die Krise der Cleveland Cavaliers: Der King ist weg - es lebe der Polarbär

Von Gianluca Fraccalvieri
Kevin Love ist unzufrieden in Cleveland.
© getty

Seit dem Abgang von LeBron James sind die Cleveland Cavaliers erneut eines der schlechtesten Teams der Liga. Inzwischen rumort es auch in Ohio. Die Veteranen sind unzufrieden - vor allem Neu-Coach John Beilein ist innerhalb der Mannschaft umstritten. Es fehlt ein klare Richtung, wobei vieles von der Personalie Kevin Love abhängt.

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Der 8. Juli 2010 und der 1. Juli 2018 sind zwei Daten, die jedem Anhänger der Cleveland Cavaliers bis heute Albträume bereiten dürften. 2010 verkündete LeBron James in einer großen TV-Inszenierung, dass er die Cavs verlassen würde, um am South Beach die Big Three mit Dwyane Wade und Chris Bosh zu formen.

Knapp acht Jahre später stand der zweite und (wohl) finale Abschied des Kings an, dieses Mal lockte die glitzernde Lakers-Franchise. Beide Abschiede hatten eins gemein: In der Folge rutschten die Cavs komplett ab - von den Playoffs beziehungsweise Finals in die Bedeutungslosigkeit innerhalb weniger Monate.

Den ersten Abschied kompensierte man mit einem unerhörten Glück in der Draft-Lottery, (teils) cleveren Entscheidungen im Front Office und schließlich einem motivierten Rückkehrer James besser als gedacht (Stichwort: Championship 2016).

Nun ist die Situation aber eine ganz andere. Das Lottery-Glück scheint aufgebraucht, LeBron wird nicht mehr zurückkehren und die Stars der Zukunft sucht man vergebens. Eigentlich der optimale Zeitpunkt für den grundlegenden Umbruch - eigentlich.

Cleveland Cavaliers haben den Umbruch verpasst

"Die Cleveland Cavaliers verlängern mit Forward Kevin Love für vier Jahre und 120 Millionen Dollar." Diese Nachricht sorgte im Sommer 2018 vielerorts für Verwunderung, gingen doch alle davon aus, dass in Cleveland einige Veränderungen anstehen würde. Stattdessen wollten die Cavs ein Szenario wie 2010 verhindern und ein Playoff-Team bleiben. Love wurde dafür als Gesicht ausgewählt, immer mit dem Hintergedanken, dass man den All-Star im Zweifel auch traden könnte.

Anspruch und Wirklichkeit klafften jedoch schnell auseinander, Coach Ty Lue wurde nach sechs Spielen entlassen und erste Veteranen wie George Hill oder Kyle Korver weggeschickt. Larry Drew übernahm interimsweise, konnte aber auch nicht mehr viel retten.

Drew tat aber das einzig Richtige und schenkte seinen jungen Spielern, vor allem Collin Sexton und Cedi Osman, möglichst viel Spiel- und Entwicklungszeit. Auch da Love, wie schon so häufig in seiner Karriere, viel mit Verletzungen zu kämpfen hatte und nur 22 Spiele absolvierte. Am Ende stand man bei einer Bilanz von 19-63, genau wie 2011.

Drew wurde in der Folge durch John Beilein ersetzt, der sich als exzellenter College-Coach über Jahre in Michigan einen Namen gemacht hatte, unter anderem durch das Schleifen von Rohdiamanten wie Moritz Wagner. Die Idee dahinter ist klar: Der Altmeister soll die jungen Cavs-Spieler langsam aufbauen und in der Zukunft wieder ein konkurrenzfähiges Team formen. In der Theorie komplett richtig, in der Praxis gibt es hingegen bisher kaum Fortschritte, was bei dem Kader eigentlich kaum verwundert.

John Beilein behandelt die Cavs wie ein College-Team

Dass den Cavs ein weiteres Übergangsjahr ins Haus stehen würde, war der Franchise klar, das zeigt allein das Engagement von Beilein, doch im Inneren rumort es. "Unsere Assistants sind definitiv besser für die NBA vorbereitet", ätzte ein anonymer Spieler zuletzt gegenüber Joe Vardon (The Athletic).

Was war passiert? Der 66-jährige Beilein hat einen Großteil seiner bewährten College-Ideen mit auf die Pro-Ebene übernommen - zum Unmut vieler gestandener Cavs-Spieler. Die Sets für Screens und Cuts tragen beispielsweise alle die Namen wilder Tiere, Curl heißt in Beileins System dann eben "Polarbär". Das mag am College funktionieren, in der NBA aber nicht. "Du wirst kein Profi, um solche Sachen zu machen", hagelte es auch anonyme Kritik aus der Liga.

Zu allem Überfluss sollen sich die Spieler viel mehr an Assistant Coach J.B. Bickerstaff orientieren, der bereits eine Menge Erfahrung als Head Coach vorzuweisen hat (Rocktes, Grizzlies). Sowohl die jungen Spieler als auch die Veteranen sind offenbar nicht glücklich. Die Offense sei zu einfallslos, die Filmsessions zu lang und das grundlegende Verständnis für ein NBA-Spiel fehle Beilein schlichtweg. Keine gute Basis, um ein junges Team langsam wieder in die Spur zu führen.

Cleveland Cavaliers: die Topscorer der Saison 2019/20

SpielerPunkte im SchnittFeldwurfquoteDreierquote
Collin Sexton17,443,829,5
Kevin Love16,243,836,5
Jordan Clarkson14,34335,4
Tristan Thompson13,151,542,9
Darius Garland10,737,936,7

Cleveland Cavaliers: ein hausgemachtes Problem

Und trotz aller Kritik für Beilein, die sicherlich in vielen Punkten gerechtfertigt ist, sollte auch er Zeit bekommen - so wie alle jungen Spieler in diesem Team. Einige Probleme sind schließlich hausgemacht. Trotz Sexton holten die Cavs in Darius Garland via Draft einen weiteren Point Guard, der zu allem Überfluss wegen einer Knieverletzung kaum ein Spiel auf dem College absolvierte.

Beide sind keine klassischen Spielmacher, sondern in erster Linie Spieler, die für sich selbst kreieren und defensiv aufgrund ihrer fehlenden Größe massive Schwierigkeiten haben. Gleiches gilt übrigens auch für Kevin Porter Jr., den sich die Cavs mit dem 30. Pick im Draft angelten.

Dementsprechend hat man auch in dieser Saison eine der schlechtesten Quoten aus dem Feld (43,6 Prozent), stellt eine der schlechtesten Defensiven, wird am meisten geblockt, steht in Sachen Net-Rating auf Platz 29 (-10) und spielt mit einer der langsamsten Paces der Liga (Platz 25).

Trotz all dieser Faktoren gibt es aber einen kleinen Hoffnungsschimmer für die Cavaliers, denn die Situation kann eigentlich nur noch besser werden.

John Beilein übernahm die Cleveland Cavaliers zum Saisonbeginn.
© getty
John Beilein übernahm die Cleveland Cavaliers zum Saisonbeginn.

Cleveland Cavaliers: Wo soll die Reise hingehen?

Im Sommer laufen die Verträge von gleich sieben Spielern aus (Tristan Thompson, Jordan Clarkson, Matthew Dellavedova, Ante Zizic, Brandon Knight, John Henson und Alfonzo McKinnie), für die Saison 2020/21 stehen derzeit nur 69 Millionen Dollar in den Büchern - inklusive den 31,3 Millionen, die Love zustehen. Dann kann die Franchise über die Free Agency neu planen und passende Veteranen holen - zusätzlich sollte wieder ein hoher Draft-Pick herausspringen.

Und dann ist da natürlich noch die Personalie Kevin Love. Wie passt der Big Man in all das hinein? Eigentlich überhaupt nicht, das Problem bleibt aber sein Vertrag. Laut The Athletic wollen die Cavs für den frühreren All-Star einen Erstrundenpick bekommen, was aber bei dessem fortgeschrittenen Alter sowie der Länge und Volumen des Arbeitspapier eher Wunschdenken bleiben dürfte.

Laut Medienberichten will der ehemalige All-Star gerne zurück in seine Heimat Oregon und dort für die Portland Trail Blazers auflaufen, doch die haben erst kürzlich in Carmelo Anthony einen anderen defensivschwachen Power Forward verpflichtet. Klappt dies nicht, würde sich Love gerne einem Contender anschließen, wobei hier die Frage gestellt werden darf, wer erstens Love überhaupt braucht und zweitens auch genug interessante "Assets" für die Cavs hätte.

Vielmehr deutet vieles darauf hin, dass Cleveland sich bei Loves Verlängerung im Sommer 2018 massiv verzockt hat. Der Big Man ist in seiner aktuellen Verfassung ein guter Komplementärspieler, der dafür aber viel zu fürstlich entlohnt wird. Es sollte daher niemanden verwundern, wenn die Cavs eher draufzahlen müssten, wenn sie sich vom wandelnden Double-Double trennen wollen.

Dennoch, Love hin oder her: Die Richtung für die Cavs in dieser Saison ist klar. Das Team muss sich weiter entwickeln, am Ende dürfte dann wieder ein "Lohn" herausspringen. Mit ein wenig Glück ist das der Top-Pick im Draft 2020 - es wäre nicht das erste Mal ...