Ullrich gibt Blutdoping bei Fuentes zu

SID
Jan Ullrich, hier verfolgt von Lance Armstrong, hat nun auch sein Doping-Geständnis abgelegt
© getty

Paukenschlag vor dem Tour-de-France-Jubiläum: Ex-Gewinner Jan Ullrich hat Blutdoping beim umstrittenen spanischen Sportmediziner Eufemiano Fuentes zugegeben. "Ja, ich habe Behandlungen bei Fuentes in Anspruch genommen", sagte der 39-Jährige in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Focus".

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Anfang des Jahres legte Tour-Dominator Lance Armstrong seine Beichte ab, nun gestand auch der einstige Rivale: Ullrich, der im Februar 2012 bereits gestanden hatte, Kontakt zu Fuentes gehabt zu haben, dopte mit Hilfe des Arztes.

Dennoch behauptete er gegenüber dem "Focus", keine anderen Dopingmittel als das eigene Blut verwendet zu haben. Daher wehrte er sich vehement gegen Vorwürfe des Betrugs.

"Fast jeder hat damals leistungssteigernde Substanzen genommen. Ich habe nichts genommen, was die anderen nicht auch genommen haben."

Zu Vorwürfen des EPO-Missbrauchs, wie sie der ehemalige Betreuer Jef d'Hont vor Jahren geäußert hatte, sagte Ullrich nichts. "Ich will mich mit der Vergangenheit nicht mehr beschäftigen", antwortete er auf eine entsprechende Frage und zitierte aus einem Lied von Xavier Naidoo mit dem Titel "Schau nicht mehr zurück".

Ullrich betonte stattdessen: "Betrug fängt für mich an, wenn ich mir einen Vorteil verschaffe. Dem war nicht so. Ich wollte für Chancengleichheit sorgen."

"Lance und ich sind schuldig"

Der Skandal um Armstrong, dem sämtliche sieben Toursiege aberkannt wurden, habe Ullrich keineswegs überrascht. Vielmehr war dies eine Frage der Zeit: "Mir war klar: Auch er wird nicht davonkommen, selbst wenn er vermutlich jahrelang von der einen oder anderen Institution und dem Weltverband geschützt wurde."

16 Jahre nach dem Tour-Erfolg bracht der gebürtige Rostocker sein Schweigen: "Ich bin nicht besser als Armstrong, aber auch nicht schlechter. Wir beide sind nicht davon gekommen und schuldig. Die großen Helden von früher sind heute Menschen mit Brüchen, mit denen sie klarkommen müssen"

Zudem verwies Ullrich darauf, er habe sich selbst am meisten geschadet: "Was das Ansehen in der Öffentlichkeit und mögliche gesundheitliche Folgen - die ich nicht habe - angeht."

Tour-Sieg hat weiter Bestand

PR-Berater Falk Nier sagte, die Interpretation, dass es sich um ein Blutdoping-Geständnis handle, sei "zulässig". Nach Jahren der verklausulierten Aussagen befinde sich Ullrich derzeit in einem "Reifeprozess und Verarbeitungsprozess". Und vor allem in einem "juristischen Labyrinth"

Nier versicherte, seinem Schützling seien "die Hände gebunden". Dies lässt die Interpretation zu, dass Ullrich bei der gänzlichen Öffnung wie auch immer geartete Konsequenzen fürchten muss.

Seinen Tour-Titel von 1997 oder die Goldmedaille aus dem olympischen Straßenrennen von Sydney 2000 kann Ullrich jedenfalls nicht mehr verlieren. Sportrechtlich wären etwaige Vergehen verjährt. Nach Niers Meinung ist daran weiter nicht zu rütteln.

"So, wie sich in den letzten eineinhalb Jahren die Geschichte des Radsports entwickelt hat, ist nie Ruhe eingekehrt." Auch das sei ein Grund für seinen Klienten, reinen Tisch zu machen.

Rückwirkende Verurteilung

Ullrich war im Februar 2012 vom Internationalen Sportgerichtshof CAS schuldig gesprochen worden, gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen zu haben. Wegen der Verwicklung in die Fuentes-Affäre wurde er zu einer zweijährigen Sperre rückwirkend vom 22. August 2011 verurteilt. Sämtliche Resultate seit dem 1. Mai 2005 wurden ihm aberkannt.

Blutdoping wurde 1988 vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) verboten. Beim Blutdoping werden dem Körper Blut, rote Blutzellen oder andere Blutzellenprodukte zugeführt. Das kann auf drei Weisen geschehen: Eigenbluttransfusion (autologe Transfusion), Fremdbluttransfusion (homolog) oder durch eine Spende durch ein Lebewesen anderer Gattung (heterolog).

Des Weiteren wird auch die Zufuhr von Produkten, die die Aufnahme, den Transport oder die Freisetzung von Sauerstoff im Blut unterstützen, als Blutdoping verstanden.

Reaktion zum Doping-Geständnis Ullrichs:

Lance Armstrong (via Twitter): "Jan Ullrich? Ein warmherziger Mensch, ein erstaunlicher Athlet, ein großartiger Wettkämpfer. Ich habe es geliebt, gemeinsam mir Dir den Ton anzugeben, mein Freund"

Werner Franke: Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke wirft Ullrich vor, längst nicht die ganze Wahrheit zu sagen. "Das ist ein neuer Europarekord der Lüge. Er hat ja 2006 oder 2007 in vier Sprachen geschrieben, dass er Herrn Fuentes gar nicht kenne. Er hat damals vor Gericht eine Unterlassung gegen mich erwirkt, die ich erst nach viereinhalb Jahren umdrehen konnte", sagte der Heidelberger Molekularbiologe.

"Er hat germanisches Blut, dazu gehört, geschichtliche Lügen fortzuführen, fortzuführen, weiter fortzuführen. Jetzt wird sehr zeitnah herauskommen, dass er auch mit verbotenen Substanzen gedopt hat. Er hat andere geschädigt", sagte er.

Ullrich sei "nicht nur ein stiller Lügner, sondern er wollte, koste was es wolle, andere sehr aggressiv zum Schweigen bringen". Das sei "eine besondere Frechheit". Aber die größte Lüge komme noch von jenen, die Ullrich rechtlich vertreten hätten: "Das sind die größten Gauner, die haben ihn in die Lügen reingeritten."

Rolf Aldag: "Die Überraschung hält sich in Grenzen. Er hat bestätigt, was lange bewiesen ist", so der ehemalige Teamkollege. Der Ex-Radprofi war Bestandteil der Telekom-Mannschaft im Jahr 1997, die Ullrich zum Gewinn der Tour verholfen hatte. 2007 legte der 44-Jährige gemeinsam mit Erik Zabel eine öffentlichkeitswirksame Dopingbeichte ab.

"Ich bin damals einen anderen Weg gegangen, aber die Überwindung ist für Jan riesig, das kann ich sagen. Es ist die richtige Entscheidung. Am Sachverhalt an sich ändert es nichts, wir haben uns alle schuldig gemacht", sagte der heutige Manager im belgischen Team Omega Pharma-Quick Step des deutschen Zeitfahr-Weltmeisters Tony Martin.

Zu Ullrich habe er seit dessen Tour-Ausschluss nach Bekanntwerden des Fuentes-Skandals in Straßburg keinen Kontakt mehr gehabt. "Seit 2006 habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich habe ihn kein einziges Mal getroffen oder gesprochen."

Thomas Bach: "Es ist zu wenig und viel zu spät", erklärte der DOSB-Präsident und IOC-Vize: "Für ein glaubhaftes Geständnis hätte sich Jan Ullrich schon vor einigen Jahren umfassend erklären müssen. Diese Chance hat er verpasst, und selbst jetzt arbeitet er nach meinem Gefühl noch mit rhetorischen Winkelzügen. Dass hilft weder ihm noch dem Radsport weiter."

Rudolf Scharping: "Es ist viel zu spät, um reinen Tisch zu machen. Er hätte dem Radsport helfen können, wenn er frühzeitig und komplett reinen Tisch gemacht hätte", sagte der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).

2007 oder 2008 wäre ein geeigneter Zeitpunkt gewesen, sagte Scharping. "Damals hätte er sich selbst besser helfen können. Jetzt ist es nur noch die Wiederholung von längst Bekanntem zu einem viel zu späten Zeitpunkt, aber aus seinem Munde."

Michael Vesper: "Er soll aufhören, scheibchenweise vorzugehen, sondern soll einen Schnitt machen", so der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB): "Es ist doch auch in seinem Interesse, den Schritt so zu gehen wie Lance Armstrong."

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