Die kontroverse Geschichte von Oscar: Weltkarriere geopfert, um das große Geld in China zu machen

Von Mark Doyle
Oscar, Shanghai SIPG, Chinese Super League, Chelsea FC
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Oscar war erst 25, als er Europa verließ und dem Ruf des großen Geldes nach China folgte. Eine Entscheidung, die er heute bereuen sollte?

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Seit Cristiano Ronaldo im Januar bei Al-Nassr unterschrieb, betonte er immer wieder, dass ihm andere Stars nach Saudi-Arabien folgen würden - und er hat Recht behalten. Karim Benzema und N'Golo Kanté waren die ersten prominenten Beispiele, beide wechselten zu Al-Ittihad. Der bis dato interessanteste Neuzugang in der saudischen Profiliga ist jedoch Rúben Neves.

Im Gegensatz zu Ronaldo, Benzema und Kanté ist Neves kein ganz großer Name, zählt aber dennoch zur internationalen Klasse. Und noch wichtiger: Der Portugiese ist 26, kommt also anders als CR7 und Co. gerade erst ins beste Fußballer-Alter.

In einer Zeit, in der die Saudi Pro League mit der chinesischen Super League verglichen wird, die vor einigen Jahren eine ähnliche Rolle in der Transferwelt einnahm, spielt Neves im Grunde die Rolle Oscars.

Wobei der Wechsel des Brasilianers vom FC Chelsea zu Shanghai SIPG im Januar 2017 noch weitaus überraschender war. Denn Oscars Entscheidung, dem europäischen Fußball im Alter von 25 Jahren den Rücken zu kehren, hat die Fans nicht nur schockiert, sondern auch verärgert.

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"Die Leidenschaft muss vor dem Geld kommen"

Während Willian, Oscars damaliger Teamkollege bei Chelsea und Brasilien, argumentierte, dass jeder Spieler das Recht habe, während seiner kurzen und schwer vorhersehbaren Profikarriere so viel Geld wie möglich zu verdienen, stellte Antonio Conte Oscars Charakter und seine Liebe zum Spiel in Frage. "Die Leidenschaft muss vor dem Geld kommen - das ist das Wichtigste für uns: die Leidenschaft für den Fußball", sagte der Italiener, seinerzeit Trainer bei Chelsea. "Wenn man das nicht hat, ist es nicht gut. Nicht gut."

Der ehemalige englische Nationalspieler Jamie Carragher, der seine gesamte Profikarriere bei Liverpool verbracht hatte, ging sogar noch weiter. "Dies ist kein Schritt, um seine Karriere zu fördern", schrieb Carragher in der Daily Mail. "Er wird über die wachsende Liga in China, die Chance, mit Andre Villas-Boas zu arbeiten und die Aufregung über ein neues Abenteuer sprechen - aber wir alle wissen, dass diese Worte Unsinn sind."

Carragher führte aus: "Er hat sich wegen der Höhe des Gehalts dafür entschieden. Nichts anderes. Früher wollten die Spieler mit Mitte dreißig, wenn sich ihre Karriere dem Ende zuneigte, noch einmal Geld machen. Das konnte jeder verstehen ... Aber es ist beschämend, dass ein Spieler seine Karriere und die Chance, um die größten Titel im Fußball zu spielen, nur für Geld aufgibt."

Carraghers Empörung war durchaus verständlich, denn Oscar war die Art von Spieler, die man auch als neutraler Zuschauer gerne sah: Er war geschickt, trickreich, erzielte spektakuläre Tore. Und nicht nur das, er schuftete auch wie ein Besessener, weshalb ihn beispielsweise Ex-Blues-Trainer José Mourinho so sehr liebte.

Zum Zeitpunkt seines Transfers nach China stagnierte Oscars Karriere an der Stamford Bridge unbestreitbar, nicht zuletzt wegen des Abgangs von Mourinho. Dennoch war er ein ganz besonderes Talent.

Er war der Star der unverschämt talentierten brasilianischen Mannschaft, die die U20-WM 2011 gewann, und erzielte beim 3:2-Finalsieg gegen Portugal einen Hattrick. Danach kündigte er sich selbst als potenzieller Superstar der Zukunft an, als er im September 2012 bei seinem zweiten Einsatz für Chelsea in der Champions League gegen Juventus Turin ein beeindruckendes Tor erzielte.

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Angebote, die man nicht ablehnen kann

Allerdings hat Oscar nie wirklich einen Hehl daraus gemacht, dass sein Transfer fast ausschließlich von Geld motiviert war. Er hatte seinen Stammplatz beim FC Chelsea zwar verloren, hätte aber natürlich auch in Europa bleiben können. Atlético Madrids Trainer Diego Simeone bot ihm regelmäßige Spielzeit an, auch Juventus, Inter und die AC Mailand waren interessiert.

Oscar war jedoch der Meinung, dass er sich die Chance nicht entgehen lassen konnte, seine Familie für ihr ganzes Leben finanziell abzusichern. "China hat eine unglaubliche Finanzkraft und macht manchmal Angebote, die die Spieler nicht ablehnen können", gestand er in einem von Copa90 und Rabon gedrehten Video. "Jeder Fußballspieler oder jeder Mensch, der arbeitet, will Geld verdienen, um seine Familie zu unterstützen. Ich komme aus einem sehr armen sozialen Umfeld in Brasilien. Wir hatten nichts. Das sind die Früchte meiner Arbeit."

Und die Ernte fiel üppig aus. Der Vierjahresvertrag, den er in China zunächst unterschrieb, soll Oscar umgerechnet rund 465.000 Euro pro Woche eingebracht haben. Eine Vertragsverlängerung im Jahr 2019 brachte ihm dann sogar eine Gehaltserhöhung ein - pünktlich kurz vor der Einführung einer Gehaltsobergrenze in der chinesischen Super League.

Es wäre vermessen, zu behaupten, dass Oscar sein Geld wert war. Aber er wurde nicht nur zum Gesicht des Vereins, sondern spielte auch eine entscheidende Rolle beim Gewinn der Meisterschaft im Jahr 2018 und des Pokals im darauffolgenden Jahr. In diesen beiden Spielzeiten erzielte er wettbewerbsübergreifend insgesamt 30 Tore.

Und der inzwischen 31-jährige Brasilianer ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass das Team von Trainer Javier Pereira in der aktuellen Saison derzeit an der Spitze der Tabelle steht.

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Chinese Super League: Auf den Boom folgt der Abschwung

Oscar ist jedoch auch einer der wenigen verbliebenen hochkarätigen Spieler in der chinesischen Super League, der die Auswirkungen der Pandemie zu schaffen machen. Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus wurde das Geld knapper. Die chinesische Regierung führte eine Art Steuer auf ausländische Spieler ein, weil einige Stars ihre Wechsel nach China "wie einen Urlaub" betrachteten, wie Carlos Tevez es ausdrückte. Zudem begann man, zu befürchten, dass die Anwesenheit großer ausländischer Namen die Entwicklung einheimischer Talente eher behindert als fördert.

Warum ist Oscar also immer noch in China? Warum folgte er nicht Hulk, Alex Teixeira oder Jackson Martinez und suchte das Weite? Nun, es lag nicht daran, dass er es nicht versucht hätte.

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"Es ist ein bisschen komplizierter, von hier wegzukommen"

Bereits 2020 wollten die früheren Selecao-Kollegen David Luiz und Willian Oscar davon überzeugen, zu ihnen zu Arsenal zu wechseln. Doch er hatte sich mit bereits erwähnter Vertragsverlängerung eben bis 2024 an Shanghai gebunden.

"Ich möchte wirklich nach Europa zurückkehren", sagte er gegenüber Fox Sports Brasil. "Aber nicht jetzt. Im Moment geht es mir hier in China gut, ich habe hier noch meinen Vertrag, den ich hoffentlich erfüllen kann. Die Situation ist schwierig für mich, was die Rückkehr (nach Europa) angeht. Es ist ein bisschen komplizierter für mich, von hier wegzukommen. Ich hoffe also, dass ich meinen Vertrag hier in Ruhe erfüllen kann, und dann, ja, denke ich darüber nach, nach Europa zurückzukehren."

Das war von Anfang an der Plan gewesen. Schon während seines ersten Jahres in China hatte Oscar immer wieder betont, dass er zum Zeitpunkt des Auslaufens seines ursprünglichen Vertrags immer noch jung genug sei, um für ein europäisches Spitzenteam zu spielen. Dabei lag sein Fokus offensichtlich darauf, zu Chelsea zurückzukehren.

Auch als er 2021 mit SPOX und GOAL sprach, betonte er, dass er immer noch gut genug sei, um sicher zu sein, dass ihm viele "Türen" offen stünden, wenn er Shanghai endlich verlassen könne. Sie sind jedoch fast alle zugeschlagen worden.

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Barça? Flamengo? Nichts klappt ...

Im Januar 2022 zeigte sich Oscar optimistisch, zum FC Barcelona wechseln zu können. Er betonte, dass er bereit wäre, eine massive Gehaltskürzung in Kauf zu nehmen, um sich den klammen Katalanen anzuschließen. Aber Shanghai weigerte sich, auch nur ein Leihgeschäft in Erwägung zu ziehen, da die Chinesen nicht Oscars enormes Gehalt weiterzahlen wollten, während jener für einen anderen Verein spielt.

Noch größer war die Enttäuschung dann im August 2022, als Flamengo versuchte, Oscar zurück nach Brasilien zu holen. "Ich werde bis zur letzten Minute versuchen, ihn zu verpflichten", sagte Marcos Braz, der Vizepräsident Fußball des Klubs, gegenüber Lance. "Er will für Flamengo spielen und wir würden ihn gerne hier haben."

Oscar war so begeistert, dass er sogar Fotos von sich im berühmten rot-schwarzen Trikot von Flamengo machte. Am Ende musste er den Traum von der Rückkehr in die Heimat jedoch ad acta legen.

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"Ich möchte mich bei allen für die Zuneigung und die Nachrichten bedanken, die ich im letzten Monat erhalten habe, insbesondere bei allen Flamengo-Fans", schrieb Oscar auf Twitter. "Ich schätze das Interesse von Flamengo und den Fans, aber es war nicht möglich, das jetzt durchzuführen."

War es das wert?

Daher ist es nun wahrscheinlich, dass Oscar seinen Vertrag bis zu dessen Ende aussitzen muss. Das bedeutet, dass er China als zweifacher Meister und als einer der bestbezahlten Fußballer der Welt in den letzten sechs Jahren verlassen könnte. Weder er noch seine Familie werden jemals wieder arbeiten müssen.

War der Verzicht auf seine besten Jahre als Fußballer also ein lohnendes Opfer? Sollte er einen Wechsel bereuen, der alle Hoffnungen, jemals wieder für sein Land zu spielen, zunichte machte? Carragher und Willian werden zu diesem Thema natürlich unterschiedliche Ansichten haben.

Wie Oscar selbst sagte: "Welche Entscheidung ich auch immer treffe, irgendjemand wird gut oder schlecht darüber reden". Aber er hat auch schon 2017 zugegeben, dass er "am liebsten auf einem hohen Niveau" spiele.

Aus fußballromantischer Perspektive ist es ganz sicher ein wenig traurig, dass er das seit sechs Jahren nicht mehr getan hat - und es wahrscheinlich auch nie wieder tun wird.