DFB-Team - Kommentar zur Vorstellung des neuen Bundestrainers: Julian Nagelsmann gewinnt seine erste Halbzeit

Von Justin Kraft
Julian Nagelsmann
© getty

Julian Nagelsmann hat seine ersten öffentlichen 45 Minuten als Cheftrainer des DFB-Teams absolviert. Auf der Pressekonferenz zeigt sich der frühere FCB-Trainer demütig, selbstkritisch und dennoch locker. Die erste Halbzeit hat er damit gewonnen. Ein Kommentar.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Erklär ich dir später", sagte Julian Nagelsmann mit einem Lächeln zu Bernd Neuendorf, der kurz irritiert von der Frage eines Journalisten war, ob der Trainer ausschließen könne, beim DFB mit einem Longboard zum Training zu kommen. Die Antwort: Ja, das könne er.

Es war eine entspannte Atmosphäre voller Glückseligkeit. Wie man es mittlerweile gewohnt ist, wenn jemand Neues im Fußballbusiness vorgestellt wird. Und doch bleibt nach den ersten 45 Minuten mit Nagelsmann als Bundestrainer der Eindruck: Diese Halbzeit hat er gewonnen, Nagelsmann versprühte sogar ein bisschen Aufbruchstimmung ("wir wuppen das") und sorgte mit gewohnt ordentlichen Sprüchen für gute Laune.

LESEN SIE AUCH: NAGELSMANNS WECHSEL ZUM DFB AUS DREI PERSPEKTIVEN

Zwei Aspekte blieben besonders haften. Zunächst war das Thema Komplexität in den Fragen der Journalistinnen und Journalisten, aber auch beim Trainer selbst sehr zentral. Die Spielweise der Nationalmannschaft werde "nicht so komplex wie im Vereinsfußball sein", erklärte Nagelsmann.

Gerade Nagelsmann, der sich in der Vergangenheit oft dafür rechtfertigen musste, dass er detailversessen arbeitet, muss nun mit wenig Trainingszeit ein Team übernehmen und ihm eine Spielidee vermitteln, die bestenfalls zu einer erfolgreichen EM führt.

Nagelsmann-Voeller-Neuendorf-1200
© getty

DFB-Team: Julian Nagelsmann überzeugt bei Vorstellung

Zweifel daran, dass das gelingt, wird er nur mit Ergebnissen ausräumen können. Doch schon mit der PK dürfte der 36-Jährige es geschafft haben, den einen oder die andere von sich zu überzeugen. Reflektiert sprach Nagelsmann darüber, dass er seine "Fehler" beim FC Bayern analysiert habe und er es nun mit seinem Trainerteam besser machen möchte. Demut, die Eindruck hinterlässt. War ihm ja beim FC Bayern zuletzt auch eine gewisse Eitelkeit, Gefallsucht und zu viel vorgetragene Coolness und Jungenhaftigkeit (mit dem Longboard zum Training!) zum Vorwurf gemacht worden.

"Einfachheit ist ein gutes Stichwort. Wir haben eine Idee, die wir vermitteln wollen, die aber nicht so kompliziert wird, dass man sie nicht umsetzen kann", erklärte der ehemalige Bayern-Trainer den Spagat, den er nun meistern muss: Zwischen bewusster Überforderung durch komplexe Trainingseinheiten und einem simplen Ansatz, der schnellstmöglich für Verbesserung sorgen kann.

Der zweite Aspekt, der besonders auffiel: Nagelsmann entfachte anders als sein Vorgänger Hansi Flick Flick sofort ein kleines Feuer. Angesprochen auf seine Zeit in Hoffenheim, die mit dem Abstiegskampf begann, zog der Bundestrainer Parallelen.

"Das ist eine gute Frage, die ich mir gestern auch gestellt habe", fing er an: "Wir hatten damals eine Herangehensweise, die nicht typisch war für den Abstiegskampf. Wir versuchen auch jetzt, eine Herangehensweise zu haben, die nicht in diese Kerbe reinschlägt, die medial geschrieben wird von 'Krise' und 'wir sind nicht gut genug.'"

Er will gegen Selbstzweifel kämpfen, die zuletzt deutlich wurden. Beispielsweise im teils wirren öffentlichen Auftritt von Flick, der wie schon in seinen letzten Wochen beim FC Bayern eher trotzig und inhaltsarm auf Kritik reagierte. Nagelsmanns Klarheit tut der Außendarstellung des DFB gut.

Nagelsmann-1200
© getty

DFB-Team: Julian Nagelsmann mit anderem Ansatz als Flick

In München mag Nagelsmann nicht besonders erfolgreich gewesen sein. Aber er hat die Qualität, den Spielern vor allem inhaltlich wichtigen Halt zu geben. Anders als Flick, der taktisch ein Verwalter ist und als Trainer vor allem über eine mentale und motivationale Schiene kommt, arbeitet Nagelsmann eher sachlich und analytisch.

Es steht außer Frage, dass gute taktische Rahmenbedingungen notwendig sind, um aus der zuletzt wild auftretenden Mannschaft wieder eine Einheit zu formen. Auf dem Markt war Nagelsmann dafür neben dem Niederländer Louis van Gaal der beste Mann - und, wie Völler es richtig beschrieb: "Im Grunde ein Glücksfall".

Doch es gibt auch Konfliktpotenzial. Der Umgang mit Manuel Neuer könnte ein heißes Thema werden. Auf der PK bekannte er sich nicht klar zum fünfmaligen Welttorhüter, mit dem ihm auch in München schon ein eher kompliziertes Verhältnis verband. Warum auch? Es ist unklar, ob dieser überhaupt auf sein Niveau zurückkehren kann. Zumal der DFB jetzt gerade einen starken Marc-André ter Stegen benötigt. Insofern ist es klug, dessen Hoffnungen nicht sofort zu zerstören. Mittelfristig wird das Thema aber heiß bleiben.

Ein anderes hat Nagelsmann äußerst souverän gelöst. Ilkay Gündogan als Kapitän zu behalten, ist das richtige Signal. In München wurde dem Trainer vorgeworfen, er habe ein zu enges Band zu Joshua Kimmich. Hätte er ihn beispielsweise zum Kapitän berufen, wäre das Spiel von vorn losgegangen. Gündogan die Binde nicht wegzunehmen, schafft vor allem bei den Nicht-Bayern-Spielern Vertrauen, dass Nagelsmann sich wie auf der PK versprochen erst ein "eigenes Bild" machen möchte.

Julian Nagelsmann
© getty

DFB-Team: Julian Nagelsmann will Lockerheit zurückgewinnen

Zum Ende seiner Bayern-Zeit wurde Nagelsmann häufig mit Themen konfrontiert, die mit seinem eigentlichen Job nichts mehr zu tun hatten - weil er selbst auch immer wieder dazu einlud. Das Eingehen einer Beziehung mit einer mittlerweile ehemaligen FC-Bayern-Reporterin der Bild gehörte da dazu. Das Longboard als Bewegungsmittel genauso. Zugegeben: Letzteres war ein Thema, das mehr über jene aussagt, die es als Kritikpunkt sehen, als über den Trainer. Doch in München musste Nagelsmann lernen, dass er sich häufiger dem Mittelpunkt entziehen muss.

Wie er das Longboard-Thema auf der Vorstellungs-PK abbügelte und Neuendorf noch verbal in den Arm nahm, hatte eine Lockerheit, die Flick in seiner gesamten Amtszeit nicht nach außen vermitteln konnte. Vielleicht ist es genau das, was der DFB jetzt braucht.

Nagelsmann konnte erfolgreich vermitteln, dass er durch sein Scheitern besser geworden ist. Seine 45 Minuten Pressekonferenz waren die beste Halbzeit des DFB seit längerer Zeit. Ein Hauch von Aufbruchstimmung - die jetzt auf den Platz übertragen werden muss.

Artikel und Videos zum Thema