VfB Stuttgart als Blaupause für das DFB-Team bei der EM? Deshalb nominiert Julian Nagelsmann ein schwäbisches Quartett für die Nationalmannschaft

Von Constantin Eckner
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© Getty Images / SPOX

Im Aufgebot für die Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft gegen Frankreich und Niederlande wird ein Quartett des VfB Stuttgart auftauchen. Bundestrainer Julian Nagelsmann wird dabei auch drei Neulingen eine Chance geben, sich mit Blick auf die Europameisterschaft zu beweisen.

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Die Nominierung von Nationalmannschaftskadern wird für gewöhnlich kontrovers diskutiert. Der jeweilige Bundestrainer kann ohnehin nicht jeden Fan zufriedenstellen. Ein paar schwere Telefonate, in denen er Spieler über deren Nichtberücksichtigung informiert, muss er auch führen. Erfreuliche Anrufe haben derweil Waldemar Anton, Maximilian Mittelstädt und Deniz Undav in den vergangenen Tagen erhalten. Denn die drei sowie Vereinskollege Chris Führich sind für die anstehenden Länderspiele nominiert.

Am wenigsten überrascht sicherlich die Nominierung von Undav, schon allein aufgrund der relativen Armut an Top-Stürmern im deutschen Fußball. Undav, der momentan als Leihgabe von Brighton für den VfB spielt, hat schon in der ersten Saisonhälfte sein Können als zweite Spitze hinter Serhou Guirassy angedeutet - und dann nochmal richtig zugelegt, als Guirassy beim Afrika Cup weilte und Undav entsprechend im Sturmzentrum agieren sollte. In Erinnerung bleibt vor allem seine Leistung gegen RB Leipzig Ende Januar, als der Weltenbummler drei Tore erzielte.

Ähnlich wie auch im Fall von Robin Gosens ist Undav kein klassisches Produkt einer Elite-Ausbildung, die den Weg in den Spitzenfußball ebnete. Stattdessen musste er sich aus der Regionalliga und 3. Liga nach oben arbeiten. Noch vor fünf Jahren spielte er für die zweite Mannschaft von Eintracht Braunschweig viertklassig.

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Deniz Undav in einer Statistik besser als Harry Kane

Undavs größte Stärke ist seine Produktivität. Mit 2,34 Schüssen aufs Tor pro 90 Minuten ist er mit Abstand der produktivste Angreifer der gesamten Bundesliga. Auf Rang zwei in dieser Wertung liegt Harry Kane mit 2,03. Auch seine 10,0 Expected Goals, die er sich durch seine Spielweise erarbeitet hat, hieven ihn in die Spitzengruppe der Bundesliga-Angreifer.

Inwieweit Undav nun diese Produktivität und seine recht unnachgiebige Art, Torschüsse zu forcieren, auf die Nationalmannschaft übertragen kann, wird sich natürlich erst noch zeigen. Stuttgarts intensiver Angriffsstil mit Chris Führich auf der Außenbahn und Enzo Millot als Übergangsspieler passt zu Undav, weil er so nicht nur am und im Strafraum mit Bällen gefüttert wird, sondern auch durch die Hereingaben und Anspiele des Öfteren Rebounds einsammeln kann.

Deutschland hat erst vor kurzem mit Can Uzun einen guten Abschlussspieler für die hängende Spitze an den türkischen Verband verloren. Undav mag nicht über die Veranlagung des Noch-Nürnbergers verfügen, aber er kann ein Abschlussspieler werden, der vielleicht sogar weniger als andere DFB-Offensivspieler am Strafraum nach kreativen Lösungen sucht.

Maximilian Mittelstädt
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Maximilian Mittelstädt spielt flexibler als in Berlin

Ein noch geradlinigerer Spieler war über viele Jahre Maximilian Mittelstädt. Der gebürtige Berliner beackerte lange die linke Seite von Hertha BSC, musste ständig mit anderen um seinen Stammplatz kämpfen und ließ sich vom häufig zu beobachtenden Abwärtstrend der Alten Dame nach unten ziehen. In Stuttgart, wo ein anderer früherer Hertha-Linksverteidiger, nämlich Malik Fathi, als Co-Trainer von Sebastian Hoeneß tätig ist, hat Mittelstädt soeben ein gänzlich neues Karrierekapitel aufgeschlagen.

In der taktischen Grundstruktur des VfB spielt Mittelstädt entweder als Linksverteidiger oder als linker Flügelläufer vor einer Dreierabwehr. Gerne wird letztere Position, der englische "Wing Back", hierzulande als Schienenspieler betitelt. Mittelstädts Schiene weist allerdings so oder so einige Weichen auf. Denn anders als noch in seiner ersten Karrierephase sucht der 26-Jährige nun mehr denn je die diagonalen Wege nach innen und damit auch das kurze Kombinationsspiel mit seinen Nebenmännern.

Natürlich besetzt er weiterhin regelmäßig die Außenbahn, aber gerade durch die oftmals breite Position von Führich muss Mittelstädt nicht ständig mit seinen Schuhen Kreide wegkratzen, sondern kann sich taktisch beweglicher zeigen. Dadurch hat auch seine Passqualität zugenommen, weil er eben nicht mehr nur von außen den Ball horizontal nach innen bringen muss, wodurch die Passwege in der Vergangenheit von mehreren Gegenspielern attackiert werden konnten. Er erhöht nur mit dem Körper geöffnet zum Spielfeld seinen Passradius. Bei mittellangen Pässen ist seine Erfolgsquote von unter 70 Prozent in den beiden Vorsaisons auf 85,1 Prozent angestiegen.

Ist Mittelstädt nun ein Linksverteidiger der ersten Güteklasse? Natürlich nicht. Zumal sich die Frage stellt, wie gut er denn in einer Viererkette mit den üblichen DFB-Schwachstellen zurechtkäme. Seine Defensivarbeit ist okay, aber mit der entsprechenden Unterstützung aus dem Sechserraum durch die laufstarken Angelo Stiller und Atakan Karazor kann er sich in der Bundesliga gut behaupten. In der Nationalmannschaft wird er mit einer gänzlich anderen Problemlage konfrontiert.

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Stuttgarts Spielstil bevorteilt die vier Nominierten

Ähnlich könnte es auch Waldemar Anton ergehen. Der Dritte im Bunde der Stuttgarter Neulinge hat mittlerweile seine Berufung als Verteidigung voll und ganz angenommen. Zur Erinnerung: Anton spielte in seiner Zeit bei Hannover 96 des Öfteren als Sechser, wobei er damals für den sogenannten Anton-Shuffle, sprich das Vorrücken auf die Sechs bei eigenem Ballbesitz bekannt wurde.

In Stuttgart ist der in Usbekistan geborene ehemalige U21-Nationalspieler Deutschlands über die Jahre als Verteidiger mehr und mehr gereift. Seine Passqualitäten sind überdurchschnittlich und in der Luft gewinnt Anton rund 65 Prozent seiner Duelle. Am Boden, besonders in Eins-gegen-Eins-Situationen, besteht weiterhin Luft nach oben.

Wobei es einen deutlichen Unterschied zwischen seinen Erfolgsaussichten im progressiven Verteidigen und in der Rückwärtsbewegung gibt. Anton kann mit Antizipation einige Angriffe des Gegners kompetent vereiteln. Das hat er mit anderen DFB-Verteidigern gemein. Für den Moment scheint der 27-Jährige vor allem eine mögliche Alternative zu Jonathan Tah und Antonio Rüdiger zu sein. Sollte Mats Hummels für die EM wieder in den Kader rücken, so würde sich Anton wohl mit Malick Thiaw um den verbleibenden Platz streiten.

Anton wie auch die anderen Stuttgarter konnten in dieser Saison vor allem glänzen, wenn sich der VfB während einer Partie mehrheitlich im Vorwärtsgang befand. Auch wenn Hoeneß' Team nicht jene Ballbesitzdominanz von Bayer Leverkusen ausstrahlt, basiert das Spiel der Schwaben schon zu einem großen Teil auf Offensivdruck, an dem Anton, Mittelstädt und Führich prominent beteiligt sind. Undav kommt als möglicher Abnehmer und Profiteur ganz vorn zur Geltung.

Der Spielstil des VfB entspricht zumindest in seinen Grundzügen sogar dem, was sich wohl auch Nagelsmann für die Nationalmannschaft vorstellt. Aber die Umsetzung ist nochmals erheblich schwerer als für eine talentierte Bundesliga-Mannschaft.