"Keiner der Bosse hat sich für die Jugend interessiert": Heiko Vogel im Interview über seine Zeit beim FC Bayern München und FC Basel

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Heiko Vogels zweite Amtszeit beim FC Basel endete im Herbst abrupt: Im Interview mit SPOX erklärt der 48-jährige Trainer die Hintergründe - und spricht außerdem ausführlich über seine langen Jahre im Nachwuchsbereich des FC Bayern München.

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Zwischen 1998 und 2017 erlebte Vogel dort große Veränderungen mit. Nicht nur zum Guten, wie er findet. Außerdem erzählt Vogel von seiner Zeit mit ehemaligen, aktuellen und womöglich künftigen Verantwortungsträgern des FC Bayern, von Uli Hoeneß, Hermann Gerland, Max Eberl und vielen weiteren.

Herr Vogel, Sie haben den FC Basel 2012 als Schweizer Serienmeister verlassen. Bei Ihrer Rückkehr Anfang 2023 fanden Sie einen kriselnden und seit Jahren titellosen Klub vor. Hätten Sie damals gedacht, dass es mit Basel dermaßen bergab gehen könnte?

Heiko Vogel: Ich bin in einen anderen Verein gekommen. Der aktuelle FC Basel ist nicht mit dem von 2012 zu vergleichen. Personen und Strukturen haben sich verändert, die Finanzkraft hat nachgelassen. Dennoch ist und bleibt der FC Basel die Nummer 1 in der Schweiz. Vielleicht nicht mehr sportlich, aber in Sachen Strahlkraft und Medienpräsenz schon.

Nach nur zehn Monaten als Sportdirektor und zeitweise auch Interimstrainer wurden Sie bereits im Oktober entlassen, die Mannschaft befand sich mittlerweile im Abstiegskampf. Wie haben Sie die Zeit erlebt?

Vogel: Es waren zehn intensive Monate mit Höhen und Tiefen. Wir haben das Conference-League-Halbfinale erreicht und wurden somit Opfer unseres eigenen Erfolges. Die Transferperiode im Sommer brachte einen großen Umbruch, aber auch 55 Millionen Euro an Einnahmen. Verpflichtet wurde ich auf Initiative des damaligen Trainers Alex Frei. Er wollte ursprünglich, dass ich sein Trainerteam verstärke. Tatsächlich hat der Klub aber ein Bindeglied zwischen Trainer und dem Präsidenten gebraucht. Also habe ich letztlich den neugeschaffenen Posten des Sportdirektors übernommen. Relativ schnell wurde klar, dass es keine Chance gibt, Alex zu schützen. Die Situation war so zerfahren, dass wir ihn leider freistellen mussten.

In Personalunion haben Sie bis Saisonende als Interimstrainer selbst übernommen.

Vogel: Ich muss meinen Spielern ein großes Kompliment machen. Sie waren immer kooperativ, sodass ich beide Ämter bestmöglich bedienen konnte. Ursprünglich war es nicht angedacht, dass ich so lange als Interimstrainer arbeite. Wir hatten sehr bald schon Kontakt mit einem Kandidaten, der aber erst ab Sommer verfügbar war. Deshalb habe ich es durchgezogen, doch dann hat sich diese Option zerschlagen. Ich musste also nebenbei einen Trainer suchen und die Transferphase planen. Das war schwierig, weil die Scouting-Abteilung stark ausbaufähig war. Es gab beispielsweise keine Datenbank mit interessanten Spielern.

Heiko Vogel: Seine Stationen als Trainer

ZeitraumKlubFunktion
1998 bis 2007FC BayernDiverse Funktionen im Nachwuchs
2007 bis 2009FC IngolstadtCo-Trainer
2009 bis 2011FC BaselCo-Trainer
2011 bis 2012FC BaselTrainer
2013 bis 2015FC BayernU19-Trainer
2015 bis 2017FC BayernReserve-Trainer und Nachwuchskoordinator
2018Sturm GrazTrainer
2019KFC UerdingenTrainer
2020 bis 2022Borussia MönchengladbachReserve-Trainer
2023FC BaselSportdirektor und Interimstrainer

Neuer Trainer wurde im Sommer Timo Schultz, der bereits nach elf Pflichtspielen entlassen wurde - und mittlerweile beim 1. FC Köln tätig ist. Warum hat es mit ihm nicht geklappt?

Vogel: Dafür gibt es nicht den einen Grund und nicht den einen Schuldigen. Wir mussten im Sommer einen großen Umbruch bewerkstelligen. Mit einem unfertigen Kader sind wir in der Conference-League-Quali an Tobol Kostanay aus Kasachstan gescheitert, was aber auch mit dem verfügbaren Spielermaterial niemals hätte passieren dürfen. Dann sind wir leider in eine Abwärtsspirale geraten.

Nach Schultz' Entlassung übernahmen Sie abermals als Interimstrainer, mussten aber nur vier Spiele später selbst gehen. Eine entscheidende Rolle bei dieser Entscheidung dürfte Präsident David Degen gespielt haben. Sie kennen ihn als Spieler, wie haben Sie ihn als Präsident erlebt?

Vogel: Wir hatten eine professionelle Zusammenarbeit. David ist sehr impulsiv. Manchmal ist er mit dieser Art ein Beschleuniger, manchmal ist es nicht so förderlich. Als Präsident ist er am operativen Geschäft sehr interessiert und auch bei der Mannschaft präsent.

Was sind Ihre Zukunftspläne?

Vogel: Aktuell sehe ich mich in erster Linie als Trainer. In der Doppelrolle war ich über dem Limit. Ich habe etwas Zeit gebraucht, um zu regenerieren. Jetzt bin ich wieder voller Tatendrang.

Was würde Sie reizen?

Vogel: Das Projekt muss mich triggern, ganz unabhängig von Ligen oder Ländern. Ich spiele gerne um Titel und im internationalen Geschäft, das hat mir die Zeit in Basel und Graz (Österreichischer Pokalsieger, Anm. d. Red.) wieder gezeigt. Ich finde es aber auch spannend, was in den USA oder in Saudi-Arabien passiert. Diese Märkte wachsen sowohl hinsichtlich ihrer sportlichen Qualität als auch infrastrukturell. Ich will nichts kategorisch ausschließen.

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Blicken wir etwas weiter zurück: Wie nach Basel sind Sie einst auch zum FC Bayern zurückgekehrt. 2007 verließen Sie den Klub nach vielen Jahren und verschiedenen Rollen im Nachwuchsbereich. 2013 übernahmen Sie den Posten des U19-Trainers. Wie hat sich der FC Bayern in der Zwischenzeit verändert?

Vogel: Der Klub hat sich in jeglicher Hinsicht verdoppelt. In diesen sechs Jahren ist der FC Bayern zu einem Vorreiter der Weltelite geworden. Alle Bereiche wurden professionalisiert, überall gab es viel mehr Mitarbeiter. Als ich 1998 beim FC Bayern angefangen habe, war ich Co-Trainer von zwei Jugend-Mannschaften. Das wäre heute undenkbar. Bei meinem Abschied 2007 gab es mit Andi Kornmayer, der jetzt für Jürgen Klopp beim FC Liverpool arbeitet, einen Athletiktrainer für den ganzen Nachwuchsbereich. Heute hat jede U-Mannschaft einen eigenen Athletiktrainer. Diese Professionalisierung geht aber auch zu Lasten von anderen Dingen.

Inwiefern?

Vogel: Überprofessionalisierung ist ein guter Begriff dafür. Richtig dosiert begrüße ich wissenschaftliche Einflüsse. Man kann es mit der Trainingssteuerung aber auch übertreiben. Einen 13-Jährigen kann man nicht kaputtmachen. Früher wurde halt 20 Minuten länger gespielt, wenn die Jungs Lust dazu hatten. Heute heißt es: Trainingssteuerung! Für mich ist Trainingssteuerung bis zum Alter von 16 Jahren irrelevant. Hallenturniere sind auch ein Element, das ich vermisse. Technisch und taktisch haben die meisten meiner Spieler in der Hallensaison einen eklatanten Sprung nach vorne gemacht. Jetzt heißt es: Hallenfußball geht auf die Gelenke! Außerdem sind viele Jugendtrainer mittlerweile mehr auf ihre eigene Karriere bedacht als auf die Entwicklung von Talenten.

Wie meinen Sie das?

Vogel: Jugendtrainer werden heutzutage viel ausführlicher ausgebildet als früher. Wenn sie dann endlich eine eigene Mannschaft haben, wollen sie zeigen, was sie alles gelernt haben. Mittlerweile gibt es Videoanalysen in der U15, dabei sollte da einfach nur gespielt werden. Während meiner ersten Zeit beim FC Bayern haben wir zahlreiche spätere Profis gefördert und herausgebracht: Thomas Hitzlsperger, Owen Hargreaves, Basti Schweinsteiger, Philipp Lahm, Piotr Trochowski, Thomas Müller, Mats Hummels, Holger Badstuber, Zvjezdan Misimovic, David Alaba, Toni Kroos. Wenn mich jemand fragt, was sie alle gemeinsam haben, würde ich sagen: ihre Spielintelligenz. Das kommt vom Spielen! Ich habe den Eindruck, dass dieses Element verloren geht.

Ist das der Hauptgrund, warum es seit der Zeit von Müller, Badstuber und Alaba kein Eigengewächs mehr zum Stammspieler beim FC Bayern geschafft hat?

Vogel: Es ist ein Grund, es gibt aber auch noch andere. Während meiner ersten Zeit bei Bayern hatten wir das Glück, in München relativ zeitgleich viele gute Talente zu haben. Dauerhaft so ein Niveau zu halten, ist schwer. Jugendarbeit läuft immer in Sinuskurven. Außerdem spielt es eine Rolle, dass die Profimannschaft mittlerweile auch in der Breite Weltklasse verkörpert. Diese Dichte an Topspielern gab es während meiner ersten Zeit im Klub nicht derart. Um den Sprung zu den Profis direkt zu schaffen, muss man ein absolutes Ausnahmetalent sein. Das sind nämlich alle im Kader. Nur eben schon älter.

Zuletzt sorgte Aleksandar Pavlovic für Furore. Trauen Sie ihm den Durchbruch zu?

Vogel: Aus Trainersicht gefällt mir Pavlovic sehr. Ich sehe einen unglaublich spielintelligenten Spieler. Er weiß immer genau, auf welcher Seite und wie er den Ball mitnehmen und wie er ihn weiterspielen muss.

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Hat sich die Bedeutung der Nachwuchsarbeit beim FC Bayern zwischen Ihren beiden Tätigkeiten gewandelt?

Vogel: Mittlerweile wird dem Thema deutlich mehr Bedeutung zugemessen. Bevor wir damals so erfolgreich gearbeitet haben, hat sich keiner der Bosse für die Jugend interessiert. Tiger Gerland hat sich beispielsweise höchstpersönlich für Philipp Lahm eingesetzt. Anfangs wollte ihn niemand, dann hat ihn Felix Magath bei Stuttgart genommen.

Hermann Gerland gilt als der legendärste Nachwuchstrainer des FC Bayern. Sie haben jahrelang mit ihm zusammengearbeitet. Was zeichnet ihn aus?

Vogel: Seine Vehemenz! Wenn er ein Talent als solches geortet hat, tut er alles, um es durchzubringen. Das beste Beispiel dafür ist Lahm. Man darf aber nicht vergessen: Tiger war damals nur die Spitze der Ausbildung. Wir haben ihm auch gut zugearbeitet. Wenn davor etwas falsch gemacht worden wäre, hätte er es in den letzten ein, zwei Jahren nicht mehr aufholen können. Wir haben uns super ergänzt.

Wer war denn "wir"?

Vogel: Damals gab es im Nachwuchsbereich über viele Jahre keine personellen Wechsel. Björn Andersson hatte die U16, Stephan Beckenbauer die U17, Kurt Niedermayer die U19 und Gerland die U23. Dazu die Nachwuchskoordinatoren Werner Kern und Hermann Hummels, dessen Trauzeuge ich übrigens bin. Hummels, Gerland und ich waren immer um 8 Uhr morgens an der Säbener, später kamen Werner Kern und Kurt Niedermayer dazu. Es wurde stundenlang über Fußball diskutiert. Ich war der Jüngste und habe meistens zugehört. Das war für mich unglaublich prägend. Eine fantastische Zeit, in der alle Mosaiksteine perfekt zueinander gepasst haben.

Bei Ihrer Rückkehr 2013 gab es diese Runde nicht mehr.

Vogel: Leider, das habe ich vermisst. Die Besessenheit hat in der Zwischenzeit nachgelassen. Damals hatte ich überhaupt nicht das Gefühl, dass es den unterschiedlichen Trainern um Positionen ging. Während meiner zweiten Zeit war das nicht mehr so.

Finden Sie es sinnvoller, wenn ein Trainer eine Mannschaft durch die ganze Jugend begleitet oder immer die gleiche Altersstufe behält?

Vogel: Wenn er eine Altersstufe behält. Als junger Spieler sollte man lernen, sich auf unterschiedliche Trainertypen einzulassen. Als Profi ist man schließlich zwangsläufig auch immer wieder mit Trainerwechseln konfrontiert.

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Nach zwei Jahren als U19-Trainer übernahmen Sie von 2015 bis 2017 die Reserve sowie den Posten des Nachwuchskoordinators. In den vergangenen Jahren gab es viele Diskussionen über die Sinnhaftigkeit von Zweitvertretungen. Wie stehen Sie dazu? Später trainierten Sie ja auch noch die Reserve von Borussia Mönchengladbach.

Vogel: Ich finde das Konzept sinnvoll. Manche 18-Jährige brauchen diese Mannschaft als Zwischenschritt zu den Profis, weil sie physisch noch nicht so weit sind. Jeder Bundesligaklub sollte aber auch das Ziel haben, mit seiner zweiten Mannschaft in der 3. Liga zu spielen. Der qualitative Unterschied zu den Regionalligen ist exorbitant.

Einige Profiklubs haben ihre Zweitvertretungen (zwischenzeitlich) abgeschafft. Gab es solche Überlegungen auch beim FC Bayern?

Vogel: Es wurde zwar darüber diskutiert, ernsthaft in Erwägung gezogen wurde es aber nicht. Alle waren sich des Mehrwertes bewusst.

Während Ihrer zweiten Zeit beim FC Bayern wurde der Campus geplant und gebaut.

Vogel: Es war für alle klar, dass etwas passieren muss. Die Anlage an der Säbener Straße genügte den Ansprüchen von Profis, Jugend und Frauen nicht mehr. Insofern war der Campus-Bau alternativlos. Anfangs war das Projekt etwas überdimensioniert. Es wurde mit bis zu 160 Betten geplant, was gar nicht nötig war. Letztlich wurden es circa 40. Ich glaube, dass etwas Gutes entstanden ist. Einziger Nachteil könnte die geografische Distanz zwischen Campus und Säbener Straße sein.

Hoeneß arbeitete damals als Freigänger im Nachwuchsbereich. Ist es ihm als vormaliger Manager schwer gefallen, sich einzufügen?

Vogel: Nein, zu 0,0 Prozent. Er hat sich voll und ganz mit dieser Aufgabe identifiziert. Ich hatte das Gefühl, dass er noch nie etwas anderes gemacht hat.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?

Vogel: Für mich war das sehr wertvoll und lehrreich. Man hat bei ihm förmlich gespürt, wie wichtig ihm der Nachwuchs ist. Er war sehr tatkräftig, hat viel bewegt. Wenn er von etwas überzeugt war, wollte er es schnellstmöglich umsetzen. Am beeindruckendsten fand ich seine unglaubliche Auffassungsgabe. In Gesprächen hat er ein sehr gutes Gefühl, in welche Richtung es geht.

Sie haben den FC Bayern im Frühling 2017 kurz vor der Campus-Eröffnung verlassen. Warum?

Vogel: Aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die generelle Ausrichtung im Nachwuchsbereich haben wir uns in der Winterpause auf eine Trennung im Sommer verständigt. Dann bin ich mit meiner U23 leider in eine Abwärtsspirale geraten. Ich wollte immer Teil einer Lösung sein zu und nicht das Problem. Um der Entwicklung der Jungs nicht im Wege zu stehen, habe ich deshalb im März meinen vorzeitigen Abschied angeboten.

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Die aktuellen Führungskräfte des FC Bayern - und einen wohl künftigen Boss - kennen Sie von verschiedenen Stationen: Der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen war während Ihrer Zeit in München Finanzvorstand, mit Christoph Freund hatten Sie in Österreich zu tun und mit dem designierten neuen Sportvorstand Max Eberl in Mönchengladbach. Wie haben Sie Dreesen in Erinnerung?

Vogel: Mit Zahlen ist er ein absoluter Experte. Ich hatte immer das Gefühl, dass er einen Prozessor im Kopf hat. Mit seinen Fähigkeiten war er die perfekte Ergänzung zu Rummenigge und Hoeneß. In den sportlichen Bereich hat Dreesen nie hineingeredet. Er wollte aber immer informiert sein und wissen, wofür Geld ausgeben wird.

Geld ausgeben darf für den FC Bayern künftig vermutlich Eberl, er soll im Frühling den Posten als Sportvorstand übernehmen. In Ihre Zeit als Reserve-Trainer von Borussia Mönchengladbach fiel sein vielbeachteter Abgang. Er trat aufgrund einer Burnout-Erkrankung unter Tränen zurück.

Vogel: Max und Roland Virkus haben mich 2020 nach Gladbach geholt, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Ich fand es beschämend, wie Max nach seinem Rücktritt angefeindet wurde. Ich habe ihn seinerzeit erlebt und konnte deshalb nachvollziehen, wie ausgelaugt er nach vielen Jahren in verantwortlicher Position zu diesem Zeitpunkt gewesen sein muss.

Angefeindet wurde Eberl für die Wahl seines nächsten Arbeitgebers RB Leipzig, in der Vergangenheit hatte er sich kritisch über den Klub geäußert. Letztlich blieb er nur wenige Monate in Leipzig. Wie beurteilen Sie seine kurze Amtszeit?

Vogel: Eine derartige Bewertung steht mir nicht zu. Ich weiß aus persönlichen Gesprächen mit Max, dass er unbedingt einen Titel gewinnen wollte. Diese Chance hat er in Leipzig gesehen und mit dem Triumph im DFB-Pokal auch realisiert.

Sportdirektor Christoph Freund kennen Sie aus Ihrer Zeit in Österreich bei Sturm Graz, er war damals bei RB Salzburg tätig. Wie haben Sie ihn erlebt?

Vogel: Wir hatten in Österreich regelmäßig miteinander zu tun. Als sein Wechsel zu Bayern fix war, habe ich ihm direkt gratuliert. Er ist als Mensch und Fachmann top. Gemeinsam mit Ralf Rangnick hat er die RB-Philosophie entscheidend mitgeprägt. In Salzburg hat er gute und mutige Spieler- wie auch Trainer-Entscheidungen getroffen. Zum Beispiel, als er Marco Rose direkt von der U18 zu den Profis befördert und dabei einige andere Trainer übergangen hat. Das zeigt, dass er ein sehr gutes Gespür für Menschen hat.

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Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht eine Vergangenheit im Profifußball, um als Trainer auf höchstem Niveau zu arbeiten?

Vogel: Ich war selbst nie Profi, das hatte aber gesundheitliche Gründe. Während meiner Lehrjahre beim FC Bayern habe ich gemerkt, wie viel man von Ex-Profis wie Kurt Niedermayer oder Tiger Gerland mitnehmen kann. Als Profi sammelt man Erfahrungswerte, die man nicht erlernen kann. Bei diesem Thema stelle ich übrigens einen großen Unterschied zwischen Deutschland und anderen Fußball-Nationen fest.

Welchen?

Vogel: In Spanien, Frankreich oder Italien werden aus großen Spielern viel öfter große Trainer. Ich denke da an Pep Guardiola, Xabi Alonso, Zinédine Zidane und Carlo Ancelotti. Bei ihnen habe ich das Gefühl, dass sie das Spiel lieben und weiterentwickeln wollen. In Deutschland scheinen viele Topspieler dagegen froh zu sein, nach dem Karriereende etwas anderes zu machen oder Experten zu werden. Der Weltmeistermannschaft von 1990 ist kein einziger großer Trainer entsprungen. Auch Schweinsteiger oder Lahm wollen ihr unglaubliches Fußballwissen nicht als Trainer weitergeben. Das finde ich schade.

Im Sommer steht die Heim-Europameisterschaft an. Was halten Sie von Bundestrainer Julian Nagelsmann, was trauen Sie der Mannschaft zu?

Vogel: Julian ist eine sehr gute Wahl. Er hat bei den bisherigen Stationen seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt und auch einige Erfolge vorzuweisen. Er lässt attraktiven, offensiv ausgerichteten Fußball spielen, was zum Charakter unserer Nationalspieler passt. Ich bin davon überzeugt, dass wir über sehr viel individuelle Qualität verfügen und sie auch im Sommer als Mannschaft auf den Platz bringen werden. Zusammen mit den Franzosen und Italienern zähle ich unsere Nationalmannschaft zu den Favoriten auf den EM-Titel.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation des DFB?

Vogel: Der DFB hat in den letzten Jahren nicht immer eine glückliche Figur abgegeben. Mit der Inthronisierung von Rudi Völler (Sportdirektor, Anm. d. Red.) hat man aber die richtige Richtung eingeschlagen. Er verfügt über immense Erfahrung in unterschiedlichsten Positionen und hat die nötige Persönlichkeit und Strahlkraft. Er verkörpert Werte, die unseren Fußball ausgezeichnet haben und vielleicht etwas in Vergessenheit geraten sind. Außerdem glaube ich, dass der Fußball als solcher jetzt wieder mehr in den Fokus gerückt wird. Das ist unverzichtbar. Dass wir nach wie vor über ausreichend Talent verfügen, zeigen die Erfolge unserer aktuellen U17. Wir haben mit Blick auf die Nationalmannschaft jetzt lange genug Trübsal geblasen. Nach jedem Gewitter folgt auch wieder Sonnenschein, auf den sollten wir uns im kommenden Sommer freuen.