Thomas Hitzlsperger im Interview: "Es interessiert fast niemanden mehr, was in Katar passiert"

Von Lena Cassel/Maik Nöcker
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In der ersten Ausgabe des Wochenend-Specials "Verlängerung und Elfmeterschießen" vom Podcast "FUSSBALL MML DAILY" mit Lena Cassel und Maik Nöcker in Zusammenarbeit mit SPOX war Thomas Hitzlsperger zu Gast.

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Hitzlsperger berichtet unter anderem über seine Eindrücke als ARD-Experte bei der Weltmeisterschaft in Katar und den Machtkampf beim VfB Stuttgart, wo er bis März 2022 als Sportvorstand und Vorstandsvorsitzender fungierte.

Außerdem spricht der ehemalige Nationalspieler und Deutsche Meister über die anhaltenden Probleme des Fußballs in Sachen Homosexualität und Rassismus.

Der Interview-Podcast "Verlängerung und Elfmeterschießen" erscheint immer Samstags. Hier könnt Ihr die erste Ausgabe in voller Länge selbst anhören.

Da sich Cassel, Nöcker und Hitzlsperger im Podcast geduzt haben, verwenden wir das Du auch in der - etwas gekürzten - Transkribierung.

Lena Cassel: Wie sieht dein Alltag momentan aus?

Thomas Hitzlsperger: Das Schöne ist, dass es viel Abwechslung gibt in meinem Alltag. Ich hatte viele Jahre für den VfB Stuttgart gearbeitet und dann ist es, ich will nicht sagen monoton, aber zumindest geht man jeden Morgen ins gleiche Büro. Das war wunderbar. Aber heute sieht mein Alltag sehr unterschiedlich aus und ich genieße das auch, zumal ich mich mit Fußball beschäftigen kann, aber auch mit sozialen Themen. Und ich habe immer noch genügend Zeit, Sport zu treiben.

Cassel: Hast du überhaupt noch Lust, Fußball selbst zu spielen?

Hitzlsperger: Ja doch, ich habe schon echt noch Bock, Fußball zu spielen und das ist ein bisschen ein Drama für mich persönlich. Ich würde gerne viel häufiger Fußball spielen, aber ich habe noch eine Verletzung oder ein paar Verletzungen mitgeschleppt aus meiner Karriere.

Maik Nöcker: Bist du glücklich mit der aktuellen Entwicklung?

Hitzlsperger: Ich bin happy, weil ich mir aussuchen kann, welchen und wie viel Fußball ich schauen will, ob das jetzt die Bundesliga ist, ob das ausländische Ligen sind, Champions League oder Nationalmannschaft. (...) Ich liebe Fußball immer noch. Nach meiner Karriere ist es so ein bisschen abgeflaut. Und ich dachte eigentlich, es ist vorbei, die Emotion ist raus. Aber das ist nicht der Fall. Ich habe in den sechs Jahren beim VfB Stuttgart gemerkt, dass ich doch noch mal so ausflippen kann und positiv durchdrehen kann auf der Tribüne. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber ich bin sehr froh, dass Fußball einfach der wesentliche Bestandteil meines Lebens geblieben ist, weil das Spiel mich fasziniert und auch das Drumherum, die Emotionen und alles, was dazugehört.

Cassel: Und jetzt hast du in den dänischen Klub Aalborg BK investiert. Wie kam es dazu?

Hitzlsperger: In der heutigen Zeit wird viel über Investment in Klubs gesprochen. In meinem Fall gab es eine zufällige Begebenheit, die dazu geführt hat, dass ich den Klub ausgewählt habe. Es hat sich dann die Möglichkeit ergeben, zusammen mit Leuten, denen ich vertraue und die ich sehr schätze, dort in Aalborg zu investieren. Wir hatten die gleichen Interessen und uns allen war das Gleiche wichtig. So hat es ganz gut gepasst. Ich genieße das, weil der Klub toll ist, weil die Menschen korrekt sind. Und ich hoffe, dass ich zusammen mit meinem Team da dazu beitragen kann, dass es in Zukunft ein Erfolg wird.

Cassel: Du hast gesagt, dass dich der Fußball immer noch packt. Bei der WM in Katar war es das erste Mal, dass ich keine Lust auf Fußball hatte. Ich habe auch deine Doku über Katar gesehen. Mit welchem Gefühl blickst du nach deiner Tätigkeit als Experte mit ein bisschen Abstand auf das Turnier zurück?

Hitzlsperger: Das Turnier war für Deutschland-Fans kein Erfolg. In fast keiner Beziehung. Natürlich freuen sich die Argentinier oder auch die Marokkaner, die tolle Leistungen gezeigt haben. Nur jetzt, aus unserer Perspektive in Deutschland, war das Turnier eine große Enttäuschung. Sowohl im Vorfeld, als auch während des Turniers. Dann ist die Mannschaft so früh ausgeschieden, dass alle bedröppelt nach Hause gegangen sind. Ich hatte zwei Ansinnen. Zum einen wollte ich mir mit dieser Doku ein besseres Bild machen von Katar und allem, was damit in Verbindung steht. Und ich bin sehr froh, dass ich diese Doku gemacht habe, weil ich viel besser urteilen konnte über das, was da passiert ist. Aber ich wollte natürlich auch während der Fußball-Weltmeisterschaft ein sehr guter Experte sein. Ich habe mich auf den Fußball gefreut, habe aber gleichzeitig auch wegen allem, was ich in meiner Vergangenheit getan habe und wofür ich stehe, die Verpflichtung gesehen, auch die anderen Aspekte rund um das Turnier anzusprechen. Wir müssen erkennen, dass eine sehr negative Stimmung im Vorfeld aufgebaut wurde. Das hat sich durchs Turnier gezogen, sodass weniger Menschen zugeschaut haben, als man es gewohnt ist. Jetzt kann man nach vorne blicken auf die Europameisterschaft 2024 und nur hoffen, dass die Leute wieder ihre ganzen positiven Emotionen reinbringen und wir ein tolles Turnier erleben werden nächsten Sommer.

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Nöcker: Jetzt wechseln die Superstars plötzlich nach Saudi-Arabien. Ist das die Zukunft des Top-Fußballs?

Hitzlsperger: Es ist die Gegenwart des Top-Fußballs. 2010 (mit der Doppelvergabe der WMs an Russland und Katar, Anm. d. Red.) hat es eine deutliche Veränderung im Fußball gegeben. Katar wollte die WM aus strategischen Gesichtspunkten und erhielt auch den Zuschlag. In einer Region, in der es so viele Rohstoffe gibt und fast unendlich viel Geld vorhanden ist, hat man auch erkannt, dass man das Produkt Fußball - ich rede normal nicht von dem Produkt, aber man muss hierbei vom Produkt sprechen - mit den Emotionen monetarisieren kann. Noch mal: Das ist nicht mein normaler Sprech, aber das hat man vielerorts erkannt. Ich glaube auch, dass der Begriff Sportswashing im Laufe der Jahre dann immer bekannter wurde und häufiger benutzt wurde.

Nöcker: Gefällt dir die Entwicklung?

Hitzlsperger: Ich muss sie akzeptieren. Wenn ich etwas nicht verändern kann, muss ich es akzeptieren. Aber ich kann meine Stimme erheben. Ich kann eine Doku machen, meine Meinung sagen, aber ich kann nicht an den großen Stellschrauben drehen. Deswegen habe ich gewisse Dinge zu akzeptieren und muss versuchen, meine Nische zu finden, um auch immer noch glücklich zu sein. Zumindest solange ich dabei bleiben möchte. Ich will mich nicht jeden Tag beklagen und aufregen, vor allem nicht über Dinge, die ich nicht ändern kann.

Cassel: Kann der Fußball überhaupt solche Themen wie die Menschenrechte in diesen Ländern ändern oder siehst du das als verschobenes Element, weil der Fußball nicht die Kraft hat, gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen?

Hitzlsperger: Doch, der Fußball kann schon viel bewegen, das hat man gemerkt im Vorfeld und während der Weltmeisterschaft, wie viel und auch wie hitzig diskutiert wurde. Nur ich wüsste jetzt gerade nicht, welche Zeitung, welcher Fernsehsender in den letzten vier Wochen über Katar berichtet hat. Die WM ist zu Ende. Es interessiert fast niemanden mehr, was in Katar passiert. Mit Ausnahme von ganz wenigen Menschen, die aber wahrscheinlich auch schon viele Jahre vor der WM vor Ort waren und darüber berichtet haben. Und das ist eben auch etwas. Die Bevölkerung ist für diesen kurzen Zeitraum während der WM sensibilisiert. Sie möchte informiert werden. Sie möchte wissen, was da los ist. Dann wird das Turnier gespielt und danach geht das Leben weiter. Und dann will niemand oder fast niemand mehr etwas davon wissen. Wenn der Fußball auf dem Bildschirm ist, ist er extrem wichtig und erreicht die ganze Welt. Aber wenn dann wieder die Bundesliga spielt, wenn dann ein Turnier in anderen Ländern stattfindet, dann gibt es kaum mehr Menschen, die sich für die Situation der Menschen vor Ort interessieren. Das ist die Realität.

Nöcker: Das ist doch irre, wie schnell so etwas geht.

Hitzlsperger: Ja, und ich habe in dieser ganzen Diskussion oft feststellen müssen, dass es keine eindeutige Zielsetzung gibt. Man diskutiert nicht zu Ende und alle sind irgendwie fein damit, sondern ab einem gewissen Zeitpunkt hat man sich nur noch angebrüllt und man war der Diskussion überdrüssig. Dazu haben sich sehr viele Menschen an der Diskussion beteiligt, die vielleicht auch gar nicht in der Lage dazu waren. Ich habe versucht, zumindest mich ausreichend zu informieren. Viele Fußball-Akteure haben versucht, eine Diskussion zu führen, die auf anderer Ebene hätte stattfinden müssen, nämlich in der Politik. Aber das ist nicht passiert und so war es ein Mischmasch an Argumenten, die man sich an den Kopf geworfen hat. Leider war es keine vergnügliche Zeit hier in Deutschland, das muss man klar sagen.

Thomas Hitzlsperger, Weltmeisterschaft, Katar,
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Nöcker: In deiner Doku kam der Umgang mit homosexuellen Menschen in Katar sehr gut rüber. Das sind wir Gott sei Dank schon einen ganzen Schritt weiter. Du hast dich vor neun Jahren geoutet. Was hat sich seitdem verändert?

Hitzlsperger: Für mich war die größte Veränderung, dass ich nicht mehr Profi war. Das hatte meinem Alltag eine Struktur genommen, ich musste mich mit der Frage beschäftigen, was als nächstes kommen würde. Was ist der nächste Lebensabschnitt? Was möchte ich da eigentlich erreichen? Und da war mir aber sehr schnell klar: Ich möchte öffentlich darüber sprechen, wie es ist, mit Vorurteilen kämpfen zu müssen. Ich möchte auch, wenn möglich, als Vorbild dienen für andere. Und das ist mir gelungen. Da hat sich mein Leben sehr gut entwickelt. Wenn ich jetzt zurückblicke auf die letzten neun Jahre, bin ich sehr froh. Ich konnte manchen Menschen auch helfen und Mut machen. Aber andere Erwartungen wurden nicht erfüllt. Wir erleben in der Bundesliga keine Veränderung. Es hat sich kein Spieler geoutet seitdem. Nur die Diskussion darüber hat sich verändert. Und auch die Akzeptanz bei Vereinen und Verbänden ist deutlich gestiegen. Die Symbolik hat zugenommen, so dass wir in Deutschland im Profifußball schon weitestgehend sagen können, dass Konsens darüber herrscht, dass wir Diskriminierung nicht befürworten, sondern dass wir stark dagegen vorgehen. Und das finde ich schon eine gute Entwicklung. Ich denke an die letzte Europameisterschaft, als auch viele Stadien in Regenbogenfarben gehüllt wurden. Das war eine spontane, schnelle Reaktion von vielen Klubs. Das hat alles zugenommen in einer schönen Art und Weise. Dennoch glaube ich, dass die Diskussion darum eher ein gesellschaftliches Thema ist.

Nöcker: Bereust du es, dich während deiner aktiven Profikarriere nicht geoutet zu haben?

Hitzlsperger: Das hat nichts mit Reue zu tun. Ich hatte mit dem Gedanken auch gespielt. Ich hatte mir das fest vorgenommen. Aber man muss einfach bereit dafür sein. Man muss auch stabil genug sein, mit den Reaktionen umzugehen. Und vielleicht war ich es zu dem Zeitpunkt nicht. Ich hätte gern die Reaktionen selbst erlebt. Was wäre denn passiert? Was hätten die Kollegen gesagt, wie hätte die Presse reagiert? Aber die Realität ist nun mal eine andere, daher will ich da nicht von Reue sprechen.

Cassel: Einige vermuten vielleicht auch einen Nachteil und werden in eine Schublade gesteckt, dass man in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr stattfinden könnte im Fußball nach einem Coming-out. Das war bei dir nicht der Fall.

Hitzlsperger: Genau. Mir war es wichtig, weiterzumachen. Eben dann nicht in eine Rolle zu gehen, die nur von außen kritisiert: wie langsam Entwicklungen vorangehen, wie schlimm das Fußball-Umfeld ist. Nein, ich wollte wieder hinein in dieses Fußball-Umfeld und sagen: 'So ich habe jetzt mein Privates öffentlich gemacht und ich bin jetzt wieder da, ich möchte wieder Verantwortung übernehmen, Positionen einnehmen.' Ich habe das beim Fernsehen gemacht, als Experte. Ich habe für einen großen Klub wie den VfB Stuttgart gearbeitet, in unterschiedlichen Positionen, um einfach nicht nur zu jammern und sich zu beklagen. Jetzt geht es wieder um Leistung, um Erfolg, auch darum, ein gutes Beispiel zu sein für andere. Das war mir ein großes Anliegen, und das bleibt es auch bis heute.

Cassel: Was muss passieren, damit sich ein aktiver Fußballer aus der ersten oder zweiten Bundesliga outet?

Hitzlsperger: Ich kann das schwer beantworten. Ich sehe sehr viele positive Tendenzen, wie Vereine mit dem Thema umgehen, um den Boden zu bereiten, um es leichter zu machen, dass jemand sich outet. Aber es ist eine so persönliche, private Entscheidung, dass es auch den Mut dieser einzelnen Personen braucht, diesen Schritt dann auch zu gehen. Das kann einem niemand abnehmen. Dafür muss man gefestigt sein in seinem Leben. (...) Wir müssen dieses Selbstbewusstsein entwickeln. Zu sagen, wo ist eigentlich das Problem, hat mir auch sehr geholfen. Ich habe mir überhaupt nichts vorzuwerfen. Ich muss es halt aussprechen und einfach dem Beispiel folgen, das viele vor mir praktiziert haben. Andere bekannte Menschen, die sich geoutet haben, haben mir Mut gegeben und so wollte ich mich einreihen in diese Liste.

Cassel: In Frankreich haben sich Spieler zuletzt geweigert, in regenbogenfarbenen Trikots aufzulaufen. Hast du Verständnis dafür?

Hitzlsperger: Das beschreibt ganz gut die Situation, in der wir uns befinden, da ich ja stets versuche, das Positive hervorzuheben. Wir haben ein paar wenige rausgepickt, die das nicht machen wollten. Ich finde es sehr bedauernswert, dass diese Spieler diese Entscheidung getroffen haben. Die Vereine haben aber konsequent gehandelt. Aber grundsätzlich geht es wieder darum: Worüber reden wir? Nehmen wir die Einzelfälle heraus, die enorm viel Aufmerksamkeit produzieren und lassen wir den Eindruck entstehen, dass der Profifußball homophob ist? Oder reden wir lieber von der Mehrzahl der Spieler, die sich die Trikots überstreifen und ein Signal setzen für Vielfalt und gegen Diskriminierung? Wir müssen prüfen, welche Geschichte wir jetzt eigentlich erzählen.

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Nöcker: Zurück zum VfB Stuttgart. Wie blickst du auf die Zeit zurück?

Hitzlsperger: Die Emotionalität, mit der die Leute dabei sind, war schon enorm. Wir haben Corona zusammen erlebt. Ich war dann als Vorstandsvorsitzender im Amt. Man musste auf diese Situation reagieren. Aber ich bin angetreten mit einer klaren Idee, mit einem Ziel, wohin ich den Verein entwickeln will. Und auf einmal kommt diese Situation, in der man nur reagieren kann und zusammen mit den anderen Klubs in der DFL die notwendigen Dinge anzugehen, wie Christian Seifert dann alles auch bewerkstelligt hat. Das war eine sensationelle Zeit. Es war sportlich gut. Wir sind dann wieder aufgestiegen. Leider haben wir nicht die Champions League gewonnen in der Zeit, in der ich da war. (lacht) Die Erfahrungen sind Gold wert gewesen. (...) Manchmal waren sie aber schmerzvoll.

Cassel: Im Jahr 2022 bist du gegangen. Verkündet wurde dein Ende bereits 2021, zuvor war häufig von Machtkämpfen die Rede.

Hitzlsperger: Ja, zum einen war ich dann sechs Jahre beim VfB und habe eben fast alles durchlaufen, außer Trainer und Zeugwart. Einen Verein so vielschichtig kennenzulernen und dann auch gestalten zu dürfen, war ein großes Privileg. Ich habe dann gespürt: 'So, jetzt ist es an der Zeit, dass jemand anders das fortführt', weil ich auch gemerkt habe, dass die Dinge, die ich mir noch vorgestellt habe, vielleicht so nicht umsetzbar sind. Dann ist es vielleicht auch vernünftig zu sagen: 'Jetzt gehe ich in einem guten Gefühl hier raus'. Ich gab dem Aufsichtsrat genügend Zeit, einen Nachfolger zu finden und bin super happy, wie der Abschied auch funktioniert hat. Ich habe einfach gemerkt, dass sehr viele Menschen mir einen guten Abschied bereiten wollten. Es waren sehr viele Mitarbeiter da bei meinem Abschied und es war auch sehr herzlich. Es passiert heutzutage nicht oft in einem Fußballverein, dass man einen selbstgewählten Abschied hinbekommt. Dass man aus freien Stücken den Klub verlässt, ohne sofort zu einem anderen Klub zu wechseln. Es war eine super Zeit.

Cassel: Also lieber im Guten gehen als im Schlechten?

Hitzlsperger: Im Guten zu gehen, hat mir schon was bedeutet, weil es zwischendrin ja auch echt geknirscht hat. Und dann noch mal die Kurve zu kriegen, für alle zu sagen: 'Hey, das war jetzt ein schwieriges Kapitel, das wir hinter uns haben." Aber wir haben es zugemacht. Sich dann noch mal anständig verabschieden zu können, ist schon eine gute Leistung. Aber auch die Erkenntnis, dass es so hier für mich nicht mehr weitergeht und dann nicht an dem Job zu kleben. Es ist schon eine große Position, Vorstandsvorsitzender bei einem großen Klub zu sein. Da überlegt man sich schon zweimal, ob man da jetzt einfach geht. Ich habe nicht gesagt: 'Ich muss das jetzt unbedingt und ich bieg' es mir einfach zurecht, weil es wird schon irgendwie klappen.' Dann entsteht Frust, die Leute spüren das auch und dann kann ich keine gute Führungskraft sein. Ich war einfach der Überzeugung, dass mir das nicht mehr gelingen würde. Also habe ich früh genug Bescheid gesagt: Ich habe mich so entschieden, ich unterstütze euch gerne bei dem Übergang und wir können uns in die Augen schauen und wir werden uns wiedersehen und, und, und. Das ist viel leichter.

Cassel: Gibt es eine Sache, die alle von dir denken, die du aber gar nicht bist?

Hitzlsperger: Also ich lege großen Wert darauf, freundlich und verbindlich zu sein. Aber das heißt nicht, dass man einfach alles toleriert und akzeptiert. Wenn man in so einem Fußballklub arbeitet, dann ist es Leistungssport. Wenn Menschen nicht bereit sind, mitzumachen, wenn Menschen unaufrichtig sind, dann habe ich auch gesagt: Hier ist Schluss, wir müssen uns trennen. Ganz einfach. (...) Das habe ich auch als TV-Experte gemerkt. Wenn man aufhört zu spielen und vor der Kamera steht, dann hat man ein bisschen Hemmungen, die Spieler zu kritisieren, weil sie dann denken, das ist alles persönlich. Ich muss das, was ich sehe, den Leuten am Fernseher erklären und einordnen, aber stets dabei versuchen, die Spieler respektvoll zu behandeln. Und das habe ich ganz gut hinbekommen. Am schwierigsten ist es, wenn man neben Jürgen Klopp steht und er ein Spiel verloren hat. Dann noch zu kritisieren, das ist die Königsklasse.

Nöcker: Da wird man zerfleischt, oder?

Hitzlsperger: Ja, es gibt auch andere Trainer, die sich mittlerweile sehr trauen, die Leute hart anzupacken. Ich beobachte das auch bei anderen Experten, dass sie sich nicht so recht trauen, wenn der Cheftrainer daneben steht, weil sie denken, 'ich will jetzt hier keinen Schlagabtausch, weil der Trainer mich sonst vor laufender Kamera zerlegt', da sind die Leute dann immer sehr nett. Und das ist schon eine Kunst, sich inhaltlich mit dem Trainer auseinanderzusetzen. (...) Wenn mir etwas auffällt, muss ich sattelfest sein. Da kann mir der Trainer nicht kommen und sagen: 'Du hast ja keine Ahnung. Du weißt gar nicht, was ich hier wollte.' Sondern da muss ich klar sein, denn sonst verliert man meistens. Und das meine ich. Jürgen Klopp ist nicht nur inhaltlich verdammt gut, er ist auch rhetorisch sensationell und auf so einen Schlagabtausch muss man gut vorbereitet sein. Und so beobachte ich manchmal Leute, die Hemmungen haben, dann Kritik zu äußern, wenn sie eigentlich angebracht wäre.

Thomas Hitzlsperger, VfB Stuttgart
© imago images / Robin Rudel

Cassel: Das war die Verlängerung. Jetzt kommen wir zur Rubrik "Elfmeterschießen", in der wir fünf schnelle Fragen stellen. Ich fange jetzt einfach mal an mit der ersten Frage: Welche drei Zutaten braucht es für ein Sommermärchen 2024?

Hitzlsperger: Exzellente Spieler, ein Publikum, das abgeht und ganz tolle Rastplätze.

Nöcker: Mit welchem Vorstandsvorsitzenden eines Bundesligisten würdest du gerne mal für einen Tag tauschen?

Hitzlsperger: Ich stottere noch beim Anlaufen... Ich bin gerade die Tabelle durchgegangen und lande bei Freiburg. Das ist als Ex-VfBler echt schwierig. Aber trotzdem Hut ab vor dem, was Freiburg gemacht hat. Ich glaube, Oliver Leki ist der Sprecher der Geschäftsführung. Die Freiburger. Das ist schon gut, ja.

Cassel: Ein entspannter Job.

Hitzlsperger: Es bringt Erfolg, aber entspannt ist es jetzt auch nicht.

Cassel: Nächste Frage: Welcher aktive Spieler kommt deinem Spielstil am nächsten?

Thomas Hitzlsperger: Natürlich Messi, würde ich sagen. Aber das ist jetzt schon echt geflunkert. (lacht) Nein... Ilkay Gündogan ist zu offensiv. Ich muss überlegen. So ein langsamer Sechser. Helft mir auf die Sprünge. Wer ist ein langsamer Sechser?

Cassel: Rani Khedira!

Hitzlsperger: Ja, Rani Khedira. Das kommt hin. Der ist halt Rechtsfuß. Aber ne, passt.

Nöcker: Wer ist derzeit weltweit der beste Trainer?

Hitzlsperger: Ich bin schon Pep-Fan. Pep ist schon super. Er ist einer, der mich seit vielen Jahren begeistert und man braucht jetzt nicht diskutieren, dass er auch immer die besten Spieler hat und seine Klubs ganz viel Geld ausgeben. Das lass ich jetzt mal außen vor. Aber was er als Trainer fabriziert, wie seine Mannschaften Fußball gespielt haben und spielen, das ist grandios.

Cassel: Eine schwierige Frage. Wann outet sich der erste Bundesligaspieler?

Hitzlsperger: Ja, da schieß ich jetzt vorbei. Ich kann es nicht sagen. Ich habe null Ahnung.

Cassel: Eine Jahreszahl.

Hitzlsperger: Was nehmen wir denn? Fünf Jahre!

Cassel: Fünf Jahre. In fünf Jahren. Das wäre dann 2028. Hier gehört zuerst bei FUSSBALL MML Daily!

Hitzlsperger: Also drei verwandelt, einen am Pfosten und einen drüber.