"Nick ist eine Enttäuschung"

Von SPOX
Beim Deutschland-GP am Nürburgring schied Nick Heidfeld nach einem Unfall aus
© xpb

2011 sollte Nick Heidfelds großes Jahr werden. Doch nach einem guten Start wächst die Kritik. Altlasten holen ihn ein, einstige Stärken sind jetzt Schwächen. Muss er sogar vorzeitig gehen? SPOX blickt auf die erste Saisonhälfte des Renault-Piloten.

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Es erschien Nick Heidfeld nur bedingt angebracht, von einer Chance zu sprechen. Damals, im Februar 2011, kurz nachdem sich Robert Kubica bei einem Rallye-Unfall schwer verletzt hatte. Es sei eher ein großer Gewissenskonflikt, sagte er damals.

"Einerseits hoffst du, dass Robert da heil rauskommt, andererseits ist dir bewusst, dass es vielleicht deine Chance ist, wenn er nicht fährt", erklärte er in einem "FAZ"-Interview. "Die Umstände sind zwar traurig, und ich habe mir eine andere Art von Comeback vorgestellt, aber jetzt, wo sich die Chance bietet, muss ich sie nutzen."

Ein Jahr als Mercedes-Testfahrer und TV-Experte hatte er da gerade hinter sich - und ein weiteres stand ihm mangels anderer Angebote kurz bevor. Auch Heidfeld wusste, dass es wohl seine letzte Chance sein würde, noch einmal in einem Top-Cockpit zu sitzen.

Frust innerhalb des Teams wächst

Und er schien sie zu nutzen. Nach Jahren, in denen er als "talentiert, aber gerade im falschen Auto" abgestempelt wurde, fuhr er bei den Testfahrten in Jerez auf Anhieb die Tagesbestzeit, bekam das Renault-Cockpit und überzeugte beim zweiten Rennen in Malaysia mit Platz drei. Mit 34 Jahren schien Nick Heidfeld nach den starken Jahren 2007 und 2008 endlich wieder an der Spitze angekommen zu sein.

Doch Malaysia sollte sein einziger vollends überzeugender Auftritt bleiben. Zwar kann Heidfeld in den Rennen immer wieder gute Strategien herausarbeiten, konstant schnell fahren und stark überholen, doch der Frust innerhalb des Teams wächst. Für die Plätze sieben bis zwölf hat man ihn nicht verpflichtet. "Von Nick hätte man mit all der Erfahrung schon erwarten dürfen, dass er in dieser Phase der Saison ein bisschen schneller ist als Witali Petrow", erklärt Teamchef Eric Boullier dem französischen Magazin "Dimanche F1". "Aber in Sachen Leistung verlassen wir uns mittlerweile auf Witali. Nick kümmert sich um die technische Entwicklung." Ein Schlag ins Gesicht.

Keine Führungsrolle übernommen

Und es wird sogar noch schlimmer. Denn selbst Heidfelds einstige Stärke, das Vorantreiben eines Teams durch ständigen Input, ist offenbar Geschichte. "Nick ist eine Enttäuschung, weil er im Team keine Führungsrolle übernommen hat und die Geschicke der Crew nicht leitet", kritisiert Boullier.

Ganz im Gegenteil: Es passiere mittlerweile sogar immer wieder, dass sich Heidfeld mit seinen Abstimmungsideen in die falsche Richtung bewege - und darin dann komplett verrenne: "Das ist ja im Grunde normal", wird Boullier im Fachmagazin "Motorsport aktuell" zitiert. "Aber er braucht dann einfach zu lange, um wieder aus seinen Sackgassen raus zu kommen."

Keine Führungsrolle im Team und von einem Teamkollegen, der vor der Saison selbst noch kurz vor dem Aus stand, ausgestochen: Es sieht düster aus für Nick Heidfeld. Lediglich der Fakt, dass er in der WM-Wertung aufgrund seiner Konstanz in den Rennen mit 34 Punkten noch knapp vor dem oft in Rangeleien verwickelten Petrow (32) liegt, scheint derzeit für ihn zu sprechen.

Die Schwachstelle: das Qualifying

Heidfelds größtes Problem: das Qualifying. Wie schon zu BMW-Sauber-Zeiten ist das Zeittraining seine Achillesferse. Ohne die oftmals völlig enttäuschenden Ergebnisse am Samstag (nur vier Mal erreichte er die Top 10) hätte er mit Sicherheit deutlich mehr WM-Punkte gesammelt.

"Nick ist in den Rennen definitiv sehr stark, aber im Qualifying fehlt ihm regelmäßig das eine oder andere Zehntel, um Witali zu schlagen", sagt Boullier. "Es passiert immer wieder, dass er einen Sektor verhaut."

Generell könne Heidfeld das Auto nicht so ausquetschen, wie es Robert Kubica in der vergangenen Saison in den Quali-Sitzungen tat (2010 nur einmal nicht in den Top 10). Der Pole ist noch immer die Messlatte. Und Heidfeld scheitert an der Hürde: Sein Rückstand auf die vom Computer berechnete optimale Rundenzeit ist größer als der von Kubica früher.

Deshalb stehe bereits jetzt fest, dass das Thema Heidfeld als Kubica-Ersatz "bis zum Jahresende begrenzt" sei, heißt es vom Team. Selbst wenn der Pole also nicht wie geplant 2012 wieder am Steuer sitzen kann, sind Heidfelds Tage bei Renault am Ende der Saison gezählt.

Muss Heidfeld vorzeitig gehen?

Doch das Ende könnte sogar noch viel schneller kommen. Schon beim kommenden Rennen in Ungarn muss Heidfeld seinen Platz im ersten Training für Testfahrer Bruno Senna räumen - soweit nicht ungewöhnlich, in der aktuellen Situation für viele Experten allerdings ein Fingerzeig.

Besonders da Renault ab dem Ungarn-GP am Wochenende bessere Ergebnisse fordert. "Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich mit unseren Leistungen nicht zufrieden bin", sagte Boullier. Man werde alles daran setzen, in den kommenden Rennen wieder an die Erfolge zu Saisonbeginn anzuknüpfen.

Auch auf Kosten von Heidfeld? Boullier betonte gegenüber "Autosport" jedenfalls erstaunlich direkt, dass er Romain Grosjean eine zweite Chance im Renault-Cockpit einräumen wolle. Der Franzose, der 2009 beim elften Rennen den geschassten Nelson Piquet Jr. ersetzt hatte, dann aber nach der Saison wieder aussortiert worden war, führt aktuell die Fahrerwertung in der GP2-Serie an.

"Ich habe ihn auf dem Radar", räumte Boullier ein. "Er zeigt allen, dass er erwachsen und stark genug für die Formel 1 ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass er einer der besten Piloten sein kann. Gerüchten zufolge könnte ein Engagement bereits nach dem Ende der GP2-Saison am 11. September in Monza erfolgen - da wären noch sechs Formel-1-Rennen zu fahren.

Ab 2012 mit BMW in der DTM?

Und selbst wenn dieses Worst-Case-Szenario für Heidfeld unwahrscheinlich bleibt, so wird es für den Deutschen dennoch schwierig, auch für das kommende Jahr ein Cockpit zu finden. Nach derzeitigem Stand hätte er wohl höchstens bei einem der neueren Teams eine Chance.

Die wahrscheinlichste Alternative lautet daher: DTM mit BMW. Bereits vor der laufenden Saison räumte er ein: "Ein Denkmodell war die DTM. Mittelfristig wäre die für mich interessant gewesen, weil ab dem nächsten Jahr dort drei Hersteller mitfahren. Das erinnert mich an die gute alte DTM-Zeit." Und Heidfelds gute Verbindungen zu BMW sind bekannt.

Fazit: Wenn Heidfeld sich nicht steigert, könnte es sehr wohl sein letztes Jahr als Stammpilot in der Formel 1 gewesen sein.

Nick Heidfeld und Renault im Steckbrief

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