Über den Kraftraum zum Superstar

Von Stefan Petri
Jonas Valanciunas (M.) gilt als eines der größten Center-Talente Europas
© getty

Jonas Valanciunas ist Litauens Shooting Star und das vielleicht größte Center-Talent Europas. Mit gerade einmal 21 Jahren hat er den Durchbruch in der NBA geschafft, sein Trainer in Toronto nennt ihn bereits Franchise Player. Doch zunächst will er den EM-Titel gewinnen.

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Eurobasket, Zwischenrunde, Litauen gegen Frankreich. Linus Kleiza steht mit dem Ball an der Dreierlinie und scannt das Feld. Sein Center, ebenfalls weit draußen, drückt sich an Verteidiger Florent Pietrus vorbei, bereit zum Pick'n'Roll. Plötzlich schnellt er zum Korb, stiehlt sich hinter Pietrus frei und wird vom eingelaufenen Guard Renaldas Seibutis gefüttert.

Von drei Franzosen umstellt steigt er dennoch sofort hoch und hämmert den Ball kraftvoll in den Korb. Im Sprint geht es umgehend zurück in die Defense, das Scoreboard springt um, 67:55 für Litauen.

Bei dem beschriebenen Center handelt es sich um Jonas Valanciunas. Vor drei Monaten gerade einmal 21 Jahre alt geworden, gilt der 2,13-Meter-Riese als eines der größten Talente im europäischen Basketball. "Er ist nicht zu stoppen und einfach unglaublich", wird sein Teamkollege Robertas Javtokas ein paar Tage später zu Protokoll geben.

"Nach oben sind ihm keine Grenzen gesetzt", staunt Kleiza, der immerhin sieben Jahre lang NBA spielte. In jungen Jahren schickt sich Valanciunas an, das neue Gesicht des basketballverrückten Staates am Baltikum zu werden - und nebenbei die NBA zu erobern.

Kometenhafter Aufstieg

In einer Ära, in der europäische Big Men vor allem mit treffsicheren Schützen der Marke Dirk Nowitzki und Andrea Bargnani in Verbindung gebracht werden - und einiges leisten müssen, um in der NBA das Label "soft" abzulegen - steht Valanciunas für guten alten Power-Basketball unter den Brettern. In der Kleinstadt Utena geboren, ist sein Talent schnell entdeckt: Mit 16 ist er Profi, mit 17 wechselt er zum Euroleague-Teilnehmer Lietuvos Rytas, heute Klub von Dirk Bauermann.

Es folgen Titel und Auszeichnungen, unter anderem wird er All-Star-MVP und 2011 Basketballer des Jahres. Zu dieser Zeit hat die NBA natürlich längst ein Auge auf den Jungstar geworfen: 2011 draften ihn die Toronto Raptors an fünfter Stelle, parken ihn aufgrund einer kostspieligen Ausstiegsklausel aber noch ein weiteres Jahr in Litauen. Als "noch ziemlich unterentwickelten" Spieler bezeichnet ihn Präsident Bryan Colangelo damals, das Team fliegt extra einen Konditionstrainer ein, um den Teenager in NBA-Form zu bringen.

Mit Erfolg: Valanciunas' erste Saison in der besten Basketball-Liga der Welt kann man getrost als gelungen bezeichnen. In seinem ersten Spiel legt er gegen Indiana gleich mal zwölf Punkte und zehn Rebounds auf, durchschnittlich 8,9 Punkte, 6 Rebounds und 1,3 Blocks sammelt er für die Raptors in knapp 24 Einsatzminuten.

Seine Entwicklung dabei ist erstaunlich: Im März wird er Rookie des Monats in der Eastern Conference, im April sind es im Schnitt schon über 31 Minuten auf dem Parkett, in denen er 14,9 Punkte verbucht.

Old School mit feinem Händchen

Mit seiner Spielweise stößt der Litauer in die Lücke, die ihm die aktuelle Center-Generation gelassen hat: Die Zeiten eines Shaquille O'Neal sind vorbei, kaum ein Akteur dominiert noch im Eins-gegen-Eins im Post. Bei Valanciunas ist das anders. "Ich verbringe die meiste Zeit unter dem Korb", sagt er in einem Interview mit "RealGM". "Ich mag harten Basketball mit krachenden Dunks und Blocks, und natürlich schnappe ich mir auch so viele Rebounds wie möglich."

Dabei ist er aber kein "One-Trick Pony", das sich nur auf seine körperlichen Vorteile verlässt. Über ein Viertel seiner Körbe im ersten Jahr sind Dunks, gleichzeitig versenkt er allerdings 46 Prozent seiner Würfe aus der Mitteldistanz und ist mit einer veritablen Wurffinte und guter Beinarbeit ausgestattet. Ein weiteres großes Plus ist seine Treffsicherheit von der Freiwurflinie, wo er Quoten von über 80 Prozent erreicht.

Und er büffelt Englisch, um auf und neben dem Platz zu Hause zu sein. Bereits in Litauen lernte er mit Hilfe eines Privatlehrers, wie er SPOX damals verriet. In Toronto geht es nahtlos weiter. "Im letzten Jahr habe ich ihm etwas zugerufen und er sagte immer nur 'Okay, Coach.' Er hatte keine Ahnung, wovon ich rede", erinnert sich Raptors-Trainer Dwayne Casey schmunzelnd. "Mittlerweile versteht er alle NBA-Fachbegriffe."

Erst 21 und schon die Hoffnung einer ganzen Nation? "Er ist sehr jung und talentiert", attestiert niemand Geringeres als Volksheld und Center-Ikone Arvydas Sabonis. "Jetzt spielt er in der besten Liga der Welt. Er muss seinen Körper noch besser einsetzen und lernen, von draußen zu werfen. Und hart arbeiten. "

Dominanz in der Summer League

Diesen Ratschlag nimmt sich Valanciunas in der Offseason zu Herzen und legt Extraschichten im Kraftraum ein. "Jonas' Oberkörper ist großartig", schwärmt Casey kurze Zeit später über seinen Big Man. "Er muss aufpassen, dass ihn das nicht langsamer werden lässt, aber bisher macht er einen guten Job."

Das kann man so unterschreiben: In der Summer League wartete der Center mit ausgebauter Physik auf und dominierte die Konkurrenz mit durchschnittlich 18,8 Zählern und 10 Rebounds. Dafür wird er zum MVP gekürt - eine Ehre, die unter anderem auch schon John Wall und Blake Griffin zuteilwurde. "Jedes Mal, wenn ich den Ball unter dem Korb bekomme, sammle ich mehr Erfahrung", weiß Valanciunas. "Ich will so viel dazulernen wie möglich."

Eine akurate Selbsteinschätzung ist das eine, Fleiß und der unbedingte Wille, sich weiter zu verbessern, das andere. Beim Riesentalent aus Osteuropa stimmt beides. "Bei Jonas steht das außer Frage. Er liebt den Sport und das ist immens wichtig", gibt es Lob vom neuen Raptors-General-Manager Masai Ujiri. "Er arbeitet hart, ohne dass man es ihm zweimal sagen muss, hängt sich voll rein und meckert nie. Es geht ihm nur um Basketball."

Erst Europameister - und dann All-Star?

Ohne Fehl und Tadel ist natürlich auch ein Talent wie Valanciunas nicht. Seine Defense ist passabel, aber nicht weltbewegend. Auch in der Offense geht ihm hin und wieder noch die Übersicht ab, die Anzahl der Turnover ist zu hoch.

Immer mal wieder hört man darüber hinaus, dass die Lobhudelei von außen zu einem überhöhten Selbstverständnis geführt habe. Mit den Jahren wird sich das legen, glaubt der erfahrene Nationaltrainer Jonas Kazlauskas: "Es wird Höhen und Tiefen geben. Wir verlangen von ihm, dass er wie ein 27-Jähriger spielt. Das ist unmöglich."

7 Punkte und 6 Rebounds sind es bisher pro Partie bei der EM. "In der Offensive ist er stark, aber er muss überall gut sein", treibt Kleiza seinen Teamkameraden an. Valanciunas müsse einfach weiter hart arbeiten.

Und dann? "Er wird in der kommenden Saison noch öfter den Ball bekommen", verspricht Casey, für den sein Center der kommende Franchise Player in Toronto ist. "Für mich ist er ein zukünftiger All-Star." Die Zukunft Litauens und die Zukunft der Raptors - eine gewaltige Last auf den Schultern des 21-Jährigen. Da kommen die Extraschichten im Kraftraum gerade recht.

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