Der junge Tyson und ein Schmetterling

Von Stefan Maurer
Jermaine Taylor und Arthur Abraham eröffnen am Samstag in Berlin das Super-Six-Turnier
© Imago

Arthur Abraham und Jermain Taylor stehen sich zum Auftakt des mit Spannung erwarteten Super-Six-Turniers in Berlin gegenüber (Sa., 23 Uhr im LIVE-TICKER). SPOX hat sich beide Kämpfer vorgeknöpft und in ihre Einzelteile zerlegt. Die Analyse im Head-to-Head.

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Arthur Abraham ist in 30 Profikämpfen ungeschlagen und schickte seine Gegner 24 Mal vorzeitig auf die Bretter. Taylor hat im Gegensatz dazu drei seiner letzten vier Kämpfe verloren. Trotzdem ist der ehemalige Super-Champ im Mittelgewicht der bisher beste Abraham-Gegner und mehr als eine ernsthafte Prüfung.

Abraham: Promoter Kalle Sauerland ist von den Trainingseindrücken seines Schützlings begeistert: Ich habe Arthur gesehen, er ist in unglaublicher Form." Auch sein Coach Ulli Wegner ist zufrieden: "Arthur liegt voll und ganz im Plan." Das Team hat sich, wie schon vor den vergangenen Kämpfen, nach Zinnowitz auf Usedom zurückgezogen. Abraham liebt die Ruhe und Luft im hohen Norden und macht gerne lange Läufe am Strand. Das Trainingslager machte ihm vor allem Spaß, weil er nach dem Aufstieg ins Supermittelgewicht nicht mehr extrem abnehmen musste: "Kein Gewicht mehr machen zu müssen, ist für mich eine ganz große Erleichterung. Ich habe beim Training jeden Tag gute Laune, bin motivierter und fokussierter als früher, weil ich da oft nur das Abnehmen im Kopf hatte."

Taylor: Mr. Bad Intentions verlegte sein Trainingslager von Miami nach Houston. Im SPOX-Interview erklärte der 31-Jährige diesen Schritt: "Manchmal muss man eben etwas riskieren und Dinge verändern. In Miami gab es eine Menge Sachen, die mich abgelenkt haben. Der Wechsel war definitiv die richtige Entscheidung." Vorbereitet hat sich der Amerikaner also nicht an einem beschaulichen Ort wie Zinnowitz, sondern in einer Metropole, und sein Gym gehört keinem Geringeren als George Foreman. Der gab Taylor auch den einen oder anderen Tipp in Sachen Technik und Ringtaktik. Respekt zeigte Trainer Ozell Nelson vor Abrahams Schlaghärte. Deshalb haben beide "an Wegen und Winkeln gearbeitet, um den Schlägen die Wucht zu nehmen".

Abraham: Der Deutsche hat 30 Kämpfe bestritten und alle gewonnen. Die richtig starken Gegner hatte der armenisch-stämmige Boxer aber noch nicht vor den Fäusten. Auf seinen bisher stärksten Gegner Edison Miranda angesprochen, sagte der 30-Jährige: "Miranda ist nicht mehr als ein mittelklassiger Boxer."

Taylor: Hier liegt Taylors größter Vorteil, obwohl er nur zwei Kämpfe mehr absolvierte als King Arthur. Das weiß auch der ehemalige Schlumpfboxer: "Taylor hat zwei Mal Bernard Hopkins, den langjährigen Super-Champion im Mittelgewicht, geschlagen. Das sagt alles. Mehr muss man nicht über ihn sagen und wissen." Doch Taylor stand nicht nur mit Hopkins im Ring, er kämpfte zwei Mal gegen Kelly Pavlik, gegen Winky Wright und Carl Froch - elf seiner letzten zwölf Gegner hielten schon einmal einen Weltmeister-Titel. Promoter Lou DiBella formulierte es so: "Es gibt keinen Boxer auf der Welt, der eine ähnliche Vita hat."

Abraham: Die größte Stärke des Berliners. Super-Six-Organisator Kalle Sauerland sagte in einem Conference Call mit beiden Boxern: "Ich sehe in ihm eine Supermittelgewichts-Version des jungen Mike Tyson. Er vereint im Ring alle Aufmerksamkeit auf sich, weil er in Sekundenbruchteilen einen Kampf mit beiden Händen, mit einem Haken oder einem Uppercut, entscheiden kann." Sieben seiner letzten acht Gegner mussten vorzeitig auf die Bretter.

Taylor: Im Gegensatz zu Abraham ist Taylor kein One-Punch-Knockouter, er macht seine Gegner durch viele Schläge und Kombinationen mürbe. In seinen letzten Kämpfen hatte er sowohl Pavlik als auch Froch am Boden, doch beide kamen wieder hoch. Sein letzter K.o.-Sieg stammt aus dem Februar 2005.

Abraham: Edison Miranda, 23. Speptember 2006, Rittal Arena in Wetzlar, Runde vier: Miranda bricht Abraham den Kiefer an zwei Stellen - Abraham siegt nach zwölf Runden einstimmig nach Punkten - mehr muss man nicht wissen. Falls doch, sagte Graciano Rocchigiani in der "Welt": "Er hat acht Runden lang mit einem mehrfach gebrochenen Unterkiefer geboxt. Das ist tierisch. Das ist nicht zu toppen. Er kann Schmerzen im Ring offenbar wegdrücken."

Taylor: Zwei Mal in seiner Karriere ging Taylor K.o.: Gegen Super-Sixer Carl Froch 14 Sekunden vor Kampfende und gegen Kelly Pavlik in Runde sieben. Sein Kinn ist prinzipiell kein schlechtes, doch in den letzten Kämpfen fiel es Taylor schwer, es den ganzen Kampf zu schützen. Abraham ist ein Punching-Monster, passt Taylor nicht auf, ist ein vorzeitiges Ende jederzeit möglich.

Abraham: Der König musste in seiner Karriere nur sechs Mal über die volle Distanz gehen. Keiner seiner Gegner hatte dabei das Potential von Taylor. Es ist schwer vorherzusehen, wie Abraham ab Runde neun reagieren wird. Abraham sagte: "Ich denke nie, dass ich einen Kampf vorzeitig gewinne. Ich glaube immer, über die Runden gehen zu müssen." Richtig vorbereitet scheint er also zu sein.

Taylor: Das größte Problem des Amis, der in seinen letzten Fights kontinuierlich abbaute, je länger das Geschehen im Ring andauerte, ist die Ausdauer. Sein Trainer Ozell Nelson sagte: "Um dieses Problem zu beheben, sind wir zu unseren Wurzeln, zu unseren alten Trainingsmethoden, zurückgekehrt. Dass er in den letzten Kämpfen gegen Ende nicht stark aussah, ist einfach zu erklären. Er musste kurz vor dem Kampf zehn Kilo abspecken. Da bleibt die Ausdauer auf der Strecke." Abspecken musste er vor allem aufgrund seiner Liebe zu einem gepflegten Big Mac. Doch laut Nelson gab es in dieser Vorbereitung nicht einen einzigen.

Abraham: Raul Marquez, der im November 2008 durch K.o. gegen Abraham verlor, war bei Taylor im Camp und sprach mit ihm über den Deutschen: "Abraham ist ein Bulle. Er ist groß und stark. Im Ring war es, als würde ich in eine Steinmauer laufen. Er ist der stärkste Fighter, mit dem ich je im Ring stand." Nichtsdestotrotz ist Abraham der kleinste und wohl auch leichteste Boxer, der im Turnier antritt.

Taylor: Was soll man sagen. Taylor ist einer der athletisch begabtesten Boxer, die der Sport zu bieten hat. Taylor selbst sagte: "Ich bin der größere und stärkere Boxer, deshalb werde ich siegen" Der ehemalige vierfache Weltmeister im Mittelgewicht ist neben seiner überragenden Athletik, mit einer starken Beinarbeit und unglaublich schnellen Händen gesegnet. Zwei der Super-Sixer, Carl Froch und Andre Dirrell, gehen davon aus, dass Taylor gewinnt, wenn es ihm gelingt, "dass Tempo über den gesamten Kampf hoch zu halten."

Abraham: Abrahams Stil als unorthodox zu bezeichnen, ist keine Untertreibung. Er kämpft weder schön, noch wirkt er besonders schnell. Ex-Gegner Raul Marquez sagte dem "Ring Magazine": "Er sieht so schlagbar aus." Doch Abraham hat ein gutes Auge, ein überragendes Gefühl für einen Kampf und seinen Verlauf, und er kann mit beiden Händen ein vorzeitiges Ende herbeiführen. Es zählt das Credo: Aussehen ist nicht alles.

Taylor: Holla, die Waldfee. Taylors linker Jab ist eine Augenweide, seine rechte Hand nicht zu verachten und seine Beine können zumindest zum Anfang eines Kampfes "Schwirren wie ein Schmetterling". Doch er wird auch schnell müde, dann schwirrt er nicht mehr und lässt  oft die Hände fallen. Der Taylor der späten Runden ist ein anderer Boxer als der zu Beginn eines Kampfes.

Abraham: Der deutsche Box-Journalist Gunnar Meinhardt ("Welt") sagte im Gespräch mit dem "Ring Magazine": "Er hat aufgrund seiner Herkunft einen starken Geist und Willen. Arthur wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und weiß, wie hart er für sein jetziges Leben arbeiten musste." Abraham selbst sieht den Kampf gelassen, macht sich aber selbst im Unterbewusstsein Druck. Sein großes Ziel ist es, in Amerika eine Box-Ikone wie Oscar de la Hoya oder Floyd Mayweather zu werden. Auf diesem Weg wäre ein Sieg gegen Taylor der erste Schritt. Taylor glaubt indessen, "dass sich die Tatsache, dass Arthur vor seinem Heimpublikum antreten muss, negativ auswirken kann. Er hat den Druck, einen guten Kampf bieten zu müssen".

Taylor: "No excuses, no pressure." So lautet die einfache Strategie von Jermain Taylor. Der Kopf war nicht gerade die große Stärke von Taylor, doch der Last-Second-K.o. gegen Froch gab ihm zu denken: "Das war ein Weckruf im richtigen Moment. Mir wurden dadurch die Augen geöffnet. Mein Lebensstil und meine Essgewohnheiten passten nicht zu meinem Job." Nach den Siegen gegen Bernard Hopkins schlich sich bei Taylor Bruder Leichtfuß ein, er glaubte, unschlagbar zu sein.

Taylor ist der größere, athletischere, erfahrenere und bessere Boxer. Abraham ist eine Kampfmaschine mit unglaublich harten Schlägen und einem großen Kämpferherz, oder wie Ring-Magazine-Kolumnist Doug Fischer schreibt: "Arthur hat Eier, Eier mit einem großen E."

Eine Vorhersage ist schwierig, da Abraham noch nie einen Boxer von Taylors Kaliber im Ring hatte, aber Taylor hat seinen Höhepunkt wohl schon hinter sich. Das macht ihn aber auch gefährlich - er will beweisen, dass er es noch kann, dass man ihn noch nicht abschreiben darf.

Aufruf an die SPOX-User: Sendet Arthur Eure Wünsche für den Kampf gegen Jermain Taylor! Einfach unten kommentieren - und Ihr habt die Chance, eine von fünf Power-Workout-DVDs mit Arthur Abraham zu gewinnen. Mehr Informationen zum Box-Superstar gibt es unter www.arthur-abraham.de