"Die Leute denken, hier steht nur eine VW-Fabrik"

Von Interview: Daniel Reimann
Marcel Schäfer (l.) ist seit Jahren Leistungsträger beim VfL Wolfsburg
© Getty

Einst von Felix Magath gefördert - heute VfL-Rekordspieler: US-Sport-Freak Marcel Schäfer spricht bei SPOX über Probleme mit Wolfsburgs Riesenkader, Quarterback-Träume und den vermeintlichen Standort-Nachteil. Außerdem: Weshalb die deutsche Linksverteidiger-Debatte überflüssig ist.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Schäfer, stimmt es, dass Sie ein riesiger US-Sport-Fan sind?

Marcel Schäfer: Ja, ich bin sogar oft bei Live-Events in den USA. Letztes Jahr war ich mit meinen Kumpels Daniel Baier und Christian Gentner bei den Conference Finals, Heat gegen Celtics. Vor zwei Jahren waren wir auch gemeinsam in Dallas, das war wahnsinnig interessant. Mich fasziniert die NBA einfach. Deshalb habe ich SPOX sogar in meinem Handy gebookmarked. Ihr berichtet einfach am meisten über US-Sport hierzulande. Ich schaue oft rein, um up to date zu bleiben.

SPOX: Wenn wir schon beim Thema sind: Am Sonntag steigt wieder Heat vs. Celtics. Damit steht die Abendplanung im Hause Schäfer, oder?

Schäfer: Da ich zwei kleine Kinder habe, ist es mit der NBA aufgrund der Tip-Off-Zeiten oft kompliziert. Die wichtigsten Spiele vom Wochenende habe ich bereits auf dem Zettel, aber es kommt auf die Uhrzeiten an.

SPOX: Heat gegen Celtics startet um 19 Uhr (Bei SPOX im LIVE-STREAM). Kinderfreundlich, oder?

Schäfer: Gut zu wissen, das ist natürlich klasse! Da werde ich vielleicht mal reinschauen, wenn ich Zeit habe. Normalerweise gehört mein Sonntag ja der NFL. Dani Baier und Christian Gentner sehen auch oft zu, dann unterhalten wir uns nebenbei in einem Chat und fachsimpeln. In dieser Hinsicht sind wir richtige Freaks, wir sind total NFL-begeistert. Vor allem Baier hat dieses Jahr mächtig Glück. Seine 49ers sind jetzt im Super Bowl.

SPOX: Im Gegensatz zu Ihren Giants, die nicht an den Erfolg der vergangenen Saison anknüpfen konnten.

Schäfer: Richtig. Obwohl ich mit dieser Saison gar nicht so unzufrieden bin. 9-7 ist nicht die allerschlechteste Bilanz. Aber das macht den US-Sport auch aus: Er ist immer wieder für Überraschungen gut.

SPOX: Ihre Begeisterung für US-Sport war sogar so groß, dass Sie einst Quarterback werden wollten.

Schäfer: Mein primärer Wunsch war es, Fußballprofi zu werden. Schließlich hat mein Vater selbst in der 2. Liga gespielt und ich bin mit dem Fußball aufgewachsen. Aber ich hatte in der Tat schon immer eine riesige Sympathie für US-Sport, ich war ein Fan von Football und Basketball. Früher war das in Deutschland ja noch viel präsenter. In den Kaufhäusern gab es eine Ecke für US-Sport, mit sämtlichen Trikots und Fan-Artikeln. Das gibt es in dieser Form heute leider nicht mehr.

SPOX: Haben Sie dort auch Ihren Giants-Jogginganzug her?

Schäfer (lacht): Nicht nur den! Von den Giants habe ich die komplette Ausstattung. Da gibt es wenig, was ich nicht habe: Socken, Hausschuhe - das volle Programm. Ich bin ein eingefleischter Fan.

SPOX: Aber Sie sind nicht traurig, dass Sie heute "nur" Linksverteidiger und nicht Quarterback sind, oder?

Schäfer: Nein, das nicht. Wenn überhaupt, dann hätte ich nur als Kicker eine Chance gehabt. Quarterback ist und bleibt ein schöner Traum - mehr nicht.

SPOX: Linksverteidiger ist das Stichwort einer lauten Debatte, die seit Jahren in Bezug auf die deutsche Nationalelf geführt wird. Was denken Sie als Linksverteidiger darüber? Haben wir ein "Linksverteidiger-Problem" im DFB-Team?

Schäfer: Dieses Problem besteht vor allem in den Medien, ähnlich wie das englische Torwart-Problem. Die Linksverteidiger haben es in der Nationalmannschaft schwer: Sie stehen im Fokus, werden besonders kritisch beäugt. Das hängt auch mit Philipp Lahm zusammen, denn er hat eine außergewöhnliche Qualität. Das macht es für seinen Gegenpart schwerer, da von ihm ähnliche Leistungen erwartet werden. So wie derzeit bei Marcel Schmelzer, der seinen Job sehr gut macht. Er ist momentan der beste deutsche Linksverteidiger, man muss ihm nur einmal über einen längeren Zeitraum das Vertrauen aussprechen. Dass er die nötige Qualität besitzt, hat er in Dortmund oft genug bewiesen.

SPOX: Ihr letztes Nationalspiel liegt gut zweieinhalb Jahre zurück. Ist für Sie das Kapitel DFB-Team abgeschlossen oder träumen Sie nach wie vor von einer Rückkehr?

Schäfer: Solange ich Fußball spiele, werde ich immer davon träumen. Allerdings bin ich schon 28 und die zahlreichen jungen Spieler in der Nationalelf spielen einen sehr guten Fußball. Außerdem läuft es für meinen Verein derzeit noch nicht rund. In einer solchen Situationbrauche ich mich nicht mit der Nationalelf zu beschäftigen. . Als wir 2009 Meister wurden, war das anders. Damals standen uns Spielern plötzlich viele Türen offen und ich bekam meine Chance im DFB-Team. Von solchen Erfolgen sind wir derzeit ziemlich weit entfernt.

SPOX: Auch für Sie persönlich lief die Saison nicht reibungslos. Felix Magath nahm Ihnen die Binde ab und setzte Sie oft auf ungewohnten Positionen ein. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Schäfer: Ich habe unter Magath tatsächlich fast jede Position einmal gespielt (lacht). Doch für mich stand dabei der Lerneffekt im Mittelpunkt. Auf anderen Positionen sind andere Fähigkeiten gefragt, so konnte ich viel adaptieren, was mir jetzt, wo ich wieder regelmäßig links hinten auflaufe, hilft.

SPOX: Zum Beispiel?

Schäfer: Ich begann hin und wieder im defensiven Mittelfeld. Dabei trainiert man zwangsläufig seine Übersicht, man benötigt eine enorme Ruhe am Ball, man muss den Spielrhythmus mitbestimmen. All diese Dinge kann ich auch auf meiner angestammten Position nutzen.

SPOX: Trotz der zahlreichen Positionswechsel gehörten Sie immer zum Stammpersonal in Wolfsburg - selbst in Zeiten von Magaths 40-Mann-Kader. Mittlerweile sind Sie sogar Wolfsburgs Rekordspieler. Haben Sie nie um Ihren Platz im Team gefürchtet?

Schäfer: Konkurrenz belebt das Geschäft, so ist nun einmal der Fußball-Alltag. In Wolfsburg wurde fast jedes Jahr mindestens ein Spieler für "meine" linke Seite geholt und dennoch habe ich mich immer durchgesetzt. Auch wenn unsere Kaderbreite alles andere als normal ist, sehe ich das positiv: Man muss sich einer großen Konkurrenz stellen. Umso stolzer bin ich, dass ich stets meinen Platz behalten habe.

SPOX: Aber birgt ein derart aufgeblähter Kader nicht zu viel Potenzial für Unzufriedenheit?

Schäfer: Das ist durchaus richtig. Aber bei uns funktioniert es derzeit gut, wir sind eine harmonische Gemeinschaft. Die Größe des Kaders dient dem Konkurrenzkampf. Unter dem neuen Trainer will sich jeder aufs Neue beweisen, jeder Spieler wittert seine Chance. Für den Trainingsbetrieb ist dieser Kader jedoch wirklich nicht immer optimal: Drei komplette Mannschaften trainieren auf einem Platz...

SPOX: Ein derart breiter Kader war allerdings ein wichtiger Bestandteil von Magaths Konzept, das ein wenig an "trial and error" erinnert. In einem solchen Konzept müssen zwangsläufig einige Spieler auf der Strecke bleiben, schließlich kann in einem 40-Mann-Kader nicht jeder Spielpraxis sammeln.

Schäfer: Erstens war das nicht nur bei Magath der Fall. Und zweitens haben alle Spieler, die eine professionelle Einstellung hatten und gut trainierten, bei ihm eine Chance erhalten.

SPOX: Sie haben oft betont, dass Sie Magath viel zu verdanken haben. Trauern Sie seiner Entlassung manchmal nach?

Schäfer: Als er entlassen wurde, war das für die Spieler, die schon lange mit ihm zusammengearbeitet haben, natürlich keine einfache Situation. Einer davon war ich, ich verdanke Magath ziemlich viel. Unter ihm habe ich den größten Sprung gemacht, er hat mich sportlich und mental enorm gefördert. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

SPOX: Immerhin dürfte das Training jetzt etwas entspannter ablaufen, oder?

Schäfer: Die Einheiten unter Magath wurden öffentlich immer ein wenig verzerrt dargestellt. Natürlich haben wir viel trainiert, aber wir waren auch körperlich in einem außergewöhnlich guten Zustand. Durch das harte Training waren wir beispielsweise 2009 allen anderen Mannschaften konditionell überlegen, in der Rückrunde räumten wir das Feld von hinten auf und wurden Meister. Man trainiert gerne und viel, wenn man weiß, dass solche Erfolge möglich sind.

SPOX: Unter Dieter Hecking werden nun andere Akzente gesetzt. Was zeichnet ihn als Trainer aus?

Schäfer: Jeder Trainer hat eine eigene Philosophie - auch Dieter Hecking. Er setzt auf offensives Pressing, er will den Ball in den eigenen Reihen halten. Zudem ist er wahnsinnig ehrgeizig, er legt sehr viel Wert auf Disziplin und Gemeinschaft. Diese Überzeugung verkörpert er selbst, er geht vorneweg.

SPOX: Auch in der Geschäftsführung werden unter Klaus Allofs neue Wege eingeschlagen. Kürzlich verkündete er, dass es einen Aufschlag bei Spielergehältern aufgrund des Standort-Nachteils in Wolfsburg nicht mehr geben werde. Mal Hand aufs Herz: Ist Wolfsburg wirklich so schlimm?

Schäfer: Nein, das ist ein reines Vorurteil. Die Leute denken, hier steht nur eine VW-Fabrik und sonst nichts. Natürlich ist Wolfsburg eine Autostadt, doch in Sachen Freizeitfaktor hat Wolfsburg einiges zu bieten. Wolfsburg ist klein, aber sehr familiär. Leider wird diese Stadt immer noch von vielen Menschen, die noch nie hier waren, unterschätzt.

SPOX: Einen Nachteil hat die Stadt aber für Sie: Es fehlt an Schafkopf-Mitstreitern.

Schäfer: Das ist tatsächlich ein Problem. Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich in Wolfsburg eine Schafkopf-Schule eröffnen. Die Leute kennen hier nur "Ramschen", das ist ein ähnliches Spiel. Doch das Schafkopfen geht mir wirklich ein bisschen ab, das muss ich zugeben.

SPOX: Gibt es denn keinen einzigen Schafkopfer im Team?

Schäfer: Leider nicht. Höchstens unser Zeugwart, der kann das ein bisschen. Doch der ist eher ein Amateur-Schafkopfer, den kann man als Schafkopfer nicht ernst nehmen (lacht).

Marcel Schäfer im Steckbrief