"Wir wollen keinen zweiten Mourinho"

Von Interview: Haruka Gruber
Sport-Kompetenz in Hoffenheim: Peters (r.) mit Chefcoach Rangick (M.) und Co-Trainer Zeidler
© Imago

Das Konzept der "Zweiten Identität": Mit ungewöhnlichen Methoden sollen Hoffenheims Talente zu besseren Fußballern werden. Ex-Hockey-Bundestrainer Berhard Peters, Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung des Bundesligisten, über die Philosophie, das Unterrichtsfach "Glück" - und das Sprichwort "Dumm kickt gut".

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SPOX: In Ihrer Zeit als Hockey-Bundestrainer haben Sie häufig eine Foto-Collage dabei gehabt, um sich in Stresssituationen vor Spielen mit einem Blick auf das Bild zu entspannen. Zu sehen war ein Sandstrand, auf den Sie das Foto Ihres Gesichts und Schlüsselsätze wie "Losgelöst vom Ergebnis" oder "Wenn ich locker bin, bin ich gut!" geklebt haben. Auch wenn Sie seit vier Jahren in Hoffenheim einen anderen Job nachgehen: Benutzen Sie nach wie vor die Collage?

Bernhard Peters: Solche Hilfsmittel gehören zu meiner Arbeit, unanhängig davon, ob ich meine Zeit hauptsächlich auf dem Sportplatz oder im Büro verbringe. Der einzige Unterschied sind die Schlüsselsätze. In meinem Büro hängen heutzutage vier Tafeln. Auf einem steht beispielsweise: "Akzeptiere das Schwierige auf dem Weg, es macht Erfolg erst wertvoll." Diese Botschaften sind auf Collagen geklebt, die meine Frau aus Bildern meiner Karriere zusammengestellt hat.

SPOX: Was genau bringt es einer Führungsfigur im Profifußball, solche Schlüsselsätze immer wieder vor Augen zu haben?

Peters: Jede Führungsfigur muss bei aller Hektik und allem Druck eine innere Balance finden, sonst findet sie nicht die Ruhe, um sich selbst zu reflektieren. In einer solch stressigen Branche wie dem Fußball gilt das ganz besonders. Deswegen empfehle ich unseren Trainern und den Spielern auch diese und andere Arten der Entspannung.

SPOX: Klingt ungewöhnlich.

Peters: Das gehört zu unserem Ansatz. Wir sehen die Menschen nicht nur als funktionierende Figuren, sondern wollen die Gesamtpersönlichkeit fördern und aufzeigen, wie wichtig es ist, eigene Handlungsweisen zu überdenken und eine klare eigene Idee zu haben.

SPOX: Warum sehen Sie als Fußball-Verein den Spieler nicht einfach nur als Sportler?

Peters: Aus zwei Gründen: Einerseits legt Dietmar Hopp  großen Wert auf einen menschlichen Führungsstil, weil es sein Leitsatz ist, dass beispielsweise junge Spieler nach der Zeit in Hoffenheim wissen sollen, wie sie im Leben zurechtkommen, nachdem es mit der Profi-Karriere geklappt hat oder eben nicht. Andererseits habe ich festgestellt, dass es leistungsfördernd ist, wenn ein Fußballer neben dem Sport auch eine zweite Identität besitzt.

SPOX: Das heißt?

Peters: Wer auch außerhalb des Platzes ein zufriedenes Leben führt, weil er weitere Hobbys hat, sich fortbildet und über ein gesundes, soziales Netzwerk verfügt, strahlt auch im Fußball eine gewisse Sicherheit in Drucksituationen aus. Er kann selbstbewusst mit Druck oft besser umgehen. Deswegen fördern wir vor allem die Jugendspieler dabei, wenn sie parallel zum Training einer sinnvollen Beschäftigung oder Ausbildung nachgehen.

SPOX: Ist demnach Ihr Ideal jemand wie Andreas Beck, der während der Vorbereitung "Der große Gatsby" liest?

Peters: Wenn es Andi Beck zufrieden stellt, dann gerne. Aber es geht nicht darum, dass jeder intellektuelle Bücher lesen oder anfangen soll, Klavier und Geige zu erlernen. Das ist viel zu plakativ. Vielmehr wollen wir die Spieler dabei unterstützen, neben dem Fußball auch eine zweite Identität zu entwickeln.

SPOX: Sie sagten vor drei Jahren: "Es wird niemand zu einem wirklich guten Spieler, wenn er fünf- oder sechsmal in der Woche trainiert und ansonsten nur RTL 2 guckt." Entwickelt sich demnach eher eine geistige Identität, wenn man "Wer wird Millionär?" schaut?

Peters: Das ist eine nett gemeinte Provokation. (lacht) Ich kann nicht sagen, wer von den Spielern mittlerweile "Wer wird Millionär?" schaut. Was sich jedoch mit Statistiken belegen lässt: In den letzten Jahren haben wir immer mehr intelligente Burschen  in den Nachwuchsleistungszentren dazubekommen, die verstehen, worauf wir mit unserem Konzept hinauswollen.

SPOX: In Hoffenheim gilt dementsprechend nicht das alte Sprichwort "Dumm kickt gut"?

Peters: Dieser Satz ist kompletter Unfug. Sicherlich ist im Fußball die Sozialstruktur heterogener als im Hockey, wo viele Spieler einen akademischen Hintergrund haben. In Hoffenheim trainieren wie bei allen anderen Klubs weniger kluge, mittelmäßig kluge und sehr kluge Fußballer - aber genau das macht die Aufgabe so spannend. Ich bin überzeugt, dass jeder Fußballer durch individuelle Stimulation auf anderen Gebieten leistungsfähiger wird.

SPOX: Können Hoffenheims Jugendspieler nach wie vor das Unterrichtsfach "Glück" belegen?

Peters: Wir arbeiten bereits ab der U 11 mit praktischen Maßnahmen zum Teambuilding, um die soziale Kompetenz innerhalb einer Gruppe zu stärken. Ab der U 14 bieten wir unseren Spielern im Rahmen der sozialpädagogischen und sportpsychologischen Betreuung einen Workshop unter dem Schlagwort "Glück" an. Das Ziel ist die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit.

SPOX: Was heißt das genau?

Peters: Es geht darum, den Jugendlichen dabei zu helfen, Lebenskonzepte zu entwickeln und an ihren Kommunikationsfähigkeiten zu arbeiten. Sie sollen in Gesprächsrunden lernen, sich im sportlichen und im persönlichen Bereich zu artikulieren. Wie kriege ich all meine Verpflichtungen mit Familie, Freundin und Fußball unter einen Hut? Wie verarbeite ich den Druck in der Schule und im Nachwuchsleistungszentrum?

SPOX: Reicht dies nicht zu weit in die Privatsphäre?

Peters: Wir respektieren jede Persönlichkeit und gehen  auf die Spieler vertrauensvoll ein, die sich öffnen wollen.  Ein Fußballer kann nur sein ganzes Potenzial wecken, wenn er sich gut aufgehoben fühlt - von daher werden unsere Trainer daraufhin sensibilisiert, einfühlsam zwischen Nähe und Distanz zu balancieren, um das Vertrauensverhältnis zu den Spielern zu stärken.

SPOX: Als Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung sind Sie zuständig für den Trainerstab von Hoffenheim und geben die Coaching-Philosophie vor. Worauf achten Sie?

Peters: Wir versuchen unsere Trainer auf der Fachebene und Führungsebene zu begleiten, ein Hauptaugenmerk liegt darauf, wie sie sich auf der Beziehungsebene zu den Spielern verhalten. Sie sollen ihren Trainerstil und ihr Verhältnis zu den Spielern reflektieren und daraus ein eigenes Prinzip der emotionalen Führung formulieren. Sie sollten bereit und so geschult sein, dass sie die Spieler sich kognitiv am Training beteiligen lassen. Die Spieler sollen verstehen, welchen Zweck eine Übung hat und welchen langfristigen Plan der Trainer verfolgt. Das hat einen viel höheren Lernwert, als wenn der Trainer stumpf alles vorgibt.

SPOX: Inwieweit dienen Erfolgstrainer wie Jose Mourinho oder Felix Magath als Anschauungsmaterial?

Peters: Wir reden natürlich über verschiedene Arten der Menschenführung und welche erfolgreich sind im Fußball. Aber: Unsere Trainer brauchen sich explizit nicht an irgendwelchen Rollenvorbildern orientieren. Wir wollen keinen zweiten Mourinho oder Magath. Eine Kopie ist nicht authentisch und damit weniger glaubwürdig. Wir wollen Trainer, die ihre eigene Identität finden, ein eigenes Profil aufbauen und sich stetig selbst hinterfragen.

SPOX: Sie selbst folgen der Maxime "Ein Lehrender muss ein Lernender sein" und hospitieren nach wie vor regelmäßig bei ausländischen Klubs. Bei Manchester United waren Sie vor Ort, aber es heißt, dass Sie vor allem von den spanischen Klubs beeindruckt waren.

Peters: Ich war unter anderem beim FC Barcelona und in Villarreal und habe eine Menge herausgezogen. Vor allem war es beeindruckend, welche Spielformen entwickelt wurden, um die taktische Handlungsschnelligkeit zu trainieren, was heutzutage zu den entscheidenden Kriterien im modernen Fußball gehört.

SPOX: Sie sprachen nach der Rückkehr aus Villarreal vom "komplexen Chaos". Was verstehen Sie darunter?

Peters: Bereits in den Jugendmannschaften werden in Spanien sehr komplexe Formen mit Ball durchgeführt. Mal sind zwei Tore aufgestellt, dann gibt es plötzlich vier Tore, später versuchen die Gegner nur einen Raum zu erreichen. So werden intuitive Entscheidungsprozesse immer wieder variiert - und so unterbewusst verinnerlicht. Das macht Spieler handlungsschneller und entscheidungsstabil.

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