Matthäus: "Ballbesitz ist nicht gleich Dominanz"

SID
Lothar Matthäus nennt den FC Barcelona als sein Ideal für das Fußballspiel
© Getty

Rekordnationalspieler Lothar Matthäus spricht mit den Kollegen von "Spielverlagerung.de" über seine Arbeitsweise als Trainer und die Zusammenarbeit mit seinen früheren Coaches und deren Führungsstil. Außerdem erklärt er taktische Veränderungen von heute im Vergleich zu seiner aktiven Zeit.

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Frage: Herr Matthäus, wie verfolgen Sie aktuell den Fußball?

Matthäus: Ich verfolge eigentlich alle Ligen in Europa, auch in Ländern, denen in Deutschland nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ich habe viel im osteuropäischen Ausland gearbeitet, auch in Israel, und ich weiß nach wie vor, welche Mannschaften dort ganz oben stehen. Hauptsächlich schaue ich aber natürlich die deutsche Bundesliga. Das ist ein Muss, genauso wie internationale Spiele.

Frage: Wie viele Spiele schauen Sie grob in der Woche, wie viele davon im Stadion?

Matthäus: Wenn es in meinen Plan passt, schaue ich mir so viele Live-Spiele wie möglich an. Ich würde sagen, monatlich zwischen 4 und 8 Spielen im Stadion. Aber ich schaue auch viel Fernsehen - was die Zeit hergibt, schaut man Fußball. Frauen schauen Mode und wir Männer schauen eben Fußball.

Frage Ist das eine Möglichkeit, sich über fußballerische Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten?

Matthäus: Es gibt nicht immer etwas Neues zu entdecken, aber manche Spielszene prägt sich ein. Du fragst dich beispielsweise, warum macht der Trainer das, warum stehen die beim Freistoß so tief oder warum lassen sie sich so tief fallen? Da fallen viele Dinge auf, bei denen man sagt: "Mensch, das ist eine gute Idee!" oder "Da kannst du was verbessern!". Das musst du gespeichert haben bzw. du schreibst es auf und versuchst dann, es in deine Arbeit einfließen zu lassen.

Frage: Ein guter Übergang zu Ihrer Trainerkarriere. In Deutschland ist in diesem Bereich relativ wenig bekannt über Sie. Für welche Philosophie steht der Trainer Lothar Matthäus?

Matthäus: Ich möchte immer erfolgreichen, attraktiven Fußball spielen. Ich glaube, das ist eine Standardantwort, die jeder Trainer bringt. Nur: Wir Trainer sind von dem zur Verfügung stehenden Material abhängig. Der FC Barcelona kommt meiner Idee natürlich am nächsten, aber das würden 99 Prozent der anderen Trainer auch sagen. Das ist ja eigentlich das, was wir sehen wollen: erfolgreichen, attraktiven Fußball. Aber es geht nicht immer, weil der FC Barcelona nur einen Trainer haben kann. Wenn ich beispielsweise wie in Bulgarien mit schlecht ausgebildeten Spielern arbeite, muss ich eben ein bisschen von meiner Grundphilosophie abgehen und die Möglichkeiten, die ich habe, bestmöglich ausnutzen.

Frage: Das heißt?

Matthäus: In Bulgarien haben wir schon versucht, offensiv zu attackieren gegen Mannschaften, bei denen wir gemeint haben, dass das möglich ist. Aber wenn du gegen eine übermächtige Mannschaft spielst, musst du davon abgehen. Wir kämpfen auch nicht mit einer Pistole gegen einen Panzer. In solchen Spielen sind dann das schnelle Umschalten von Defensive auf Offensive, das Kompaktstehen und das Schaffen vieler Anspielmöglichkeiten wichtiger. Grundsätzlich möchte ich immer, dass die Spieler in Bewegung sind, dass die Spieler Freude haben, dass Leidenschaft dabei ist, dass man auch nach einem verlorenen Ball nicht stehen bleibt, dass man sich wieder hinter dem Ball versucht zu formieren, dass man nicht diskutiert. Das sind Dinge, die man im Fußball immer beachten muss.

Frage: Unterschiedliche Trainer setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Sehen Sie sich vor allem als Motivator, als Ausbilder der Spieler, als taktischer Vermittler? Wo ordnen Sie sich ein?

Matthäus: Erst einmal ist wichtig, in welchem Job du arbeitest, als Nationaltrainer oder als Klubtrainer? Du hast als Klubtrainer natürlich viel mehr Einflussmöglichkeiten. Als Nationaltrainer hast du deine Spieler zwei, drei Tage. Es sind einige Spieler angeschlagen, bei einem Freundschaftsspiel kommen die Spieler erst 48 Stunden vor Anpfiff, was sollst du da machen? Hier ist man vor allem als Psychologe gefragt. Die zwei, drei Trainingseinheiten musst du versuchen zu nutzen, um die Spieler zu motivieren, bei Laune zu halten, auf sie einzugehen. Im taktischen Bereich kannst du Standardsituationen üben. Als Klubtrainer hast du natürlich ganz andere Möglichkeiten, du bist ganz anders organisiert und kannst mit dem gesamten Team oder in Gruppen mit den einzelnen Mannschaftsteilen gezielt arbeiten.

Frage: Nationalmannschaften haben Sie nun näher erläutert. Wenn Sie bei Klubmannschaften länger etwas entwickeln können, zwingen sie ihrem Gegner ihr System auf? Haben Sie eher eine feste Formation oder stellen Sie sich stark auf den Gegner ein?

Matthäus: Ich möchte Dominanz erzeugen auf dem Platz. Meine Mannschaft soll das Spiel bestimmen. Das ist natürlich nicht immer möglich. Man muss sich auch auf die Stärken und auf die Schwächen des Gegners einstellen. Dafür studiert man ihn auf Video und schickt seine Leute dorthin, um herauszufinden, welche Taktik die andere Mannschaft spielt und ob sie zum Beispiel zu Hause so spielen wie auswärts. Man muss sich informieren und dann muss man versuchen, den Gegner mit den Möglichkeiten, die man hat, so zu bearbeiten bzw. sein Spiel so durchzuziehen, dass es gelingt.

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