Matthäus: "Ballbesitz ist nicht gleich Dominanz"

SID
Lothar Matthäus nennt den FC Barcelona als sein Ideal für das Fußballspiel
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Frage: Bedeutet Dominanz gleichzeitig auch viel Ballbesitz?

Matthäus: Absolut. Viel Ballbesitz heißt aber nicht, dass ich dominant bin. Denken Sie an die van Gaal Zeit zurück: Die Bayern hatten 60-70 Prozent Ballbesitz gehabt und haben dann meistens in der eigenen Hälfte gespielt. Das ist eigentlich nicht das, was wir sehen wollen. Der Gegner kann sich dann wieder formieren. Daher ist es wichtig, dass du intelligente Spieler hast, die die Situation erkennen: Wann ist die Möglichkeit da, intelligent umzuschalten? Und wann müssen wir in Ballbesitz bleiben? Das ist etwas, was die Spieler vom Grundsatz her mitbringen müssen. Als Trainer kannst du darauf ein bisschen in der tagtäglichen Arbeit eingehen, damit die Spieler wissen: Jetzt halten wir den Ball und locken den Gegner raus, oder jetzt ist die Lücke im richtigen Moment frei zum schnellen Umschalten. Aber das auf dem Platz zu erkennen, liegt im Endeffekt an der Intelligenz des Spielers.

Frage: Kann ich diese Intelligenz des Spielers fördern als Trainer, oder ist das etwas, was ein Spieler mitbringen muss?

Matthäus: Ich glaube, dass man in den Trainingsspielen schon Einfluss nehmen kann. Diese sind ja nicht nur dafür da, die Spieler spielen zu lassen, sondern dass man auch mal anhält und erläutert, was möglich gewesen wäre, damit sie es beim nächsten Mal besser machen. Es ist für mich wichtig, das klar anzusprechen, so dass der Spieler es auch versteht. Du kannst also schon Einfluss nehmen, aber wenn der Spieler es mitbringt, ist es für mich als Trainer schon einfacher.

Frage: Sie arbeiten dementsprechend besonders gerne mit Spielern zusammen, die über ihre Spielintelligenz kommen und setzen dann vielleicht eher weniger Schwerpunkt auf zum Beispiel physische Attribute?

Matthäus: Jede Position braucht einen unterschiedlichen Typ. Ich habe mich beispielsweise mal mit Arsene Wenger unterhalten. Er hat sein System und auf jeder Position weiß er genau, was für einen Spielertypen er haben will. Natürlich kann sich ein Verein wie Arsenal auch erlauben, genau nach diesem Spielertypen zu suchen. Wenn dagegen die Trainer häufig gewechselt werden, kommt es meist auch zum Wechsel der Spielphilosophie. Ich persönlich brauche auch kräftige Spieler in dementsprechenden Positionen, in der Innenverteidigung zum Beispiel. Ich brauche schnelle, dribbelstarke Spieler auf den Außenpositionen. Du kannst aber nicht sagen "Hey, es geht nur mit diesen Spielertypen!". Du formst dir deine Mannschaft, und dazu gehören natürlich teilweise auch mal größere Spieler. Auch für Standardsituationen brauchst du ja einige Spieler, die eine gewisse Größe mitbringen. Otto Rehhagel ist damit 2004 Europameister geworden, weil er 6-7 Spieler hatte, die mindestens 1,88 Meter groß waren. Wir wissen, Halbfinale, Finale, zwei Eckbälle, das war die Taktik von Otto 2004, als er mit robusten Spielern den Titel gewonnen hat.

Frage: Sie haben Arsene Wenger und Otto Rehhagel genannt. Welche Trainer aus Ihrer langen Laufbahn haben Sie am meisten geprägt?

Matthäus: Es wäre jetzt nicht fair zu sagen, der Trainer sei besser gewesen als der andere. Jeder hatte seine Qualitäten und seine Schwächen. Heynckes zum Beispiel hat bereits in den 80ern sehr viel mit dem Ball gearbeitet. Heutzutage mache ich jede Übung mit dem Ball, auch im Konditionstraining. Nur Laufen, ohne Ball, hat uns keinen Spaß gemacht, das macht den Spielern heute auch keinen Spaß. Du musst da auch als Psychologe deine Spieler bei Laune halten. Dafür hat der Jupp Heynckes in seiner frühen Trainerzeit weniger die Kommunikation mit den Spielern gesucht. Das hat zum Beispiel Ottmar Hitzfeld anders gehalten. Er hat die Mannschaft toll im Griff gehabt. Auch wenn es Härtefalle gab, war nie einer sauer. Er wusste, wie er mit den Spielern umzugehen hatte.

Frage: Lange Zeit haben Sie mit Trapattoni zusammengearbeitet...

Matthäus: Trapattoni war ein Taktikkünstler: "Die Null muss stehen!" Im UEFA-Pokalendspiel 1991 (mit Inter Mailand gegen AS Rom, Anm. d. Red.) war ich der offensivste Spieler. Wir hatten das Heimspiel 2:0 gewonnen, auswärts stand es 1:0 für den Gegner. Er wechselte einen Verteidiger ein und einen Stürmer aus. Ich war der einzige, der vorne stand, das Spiel war komplett defensiv ausgerichtet. Er hat viel Wert auf taktische Disziplin gelegt. Udo Lattek war wieder ein ganz anderer Typ. Motivator, Zuckerbrot und Peitsche. Er ist mit den Spielern abends einen Trinken gegangen und am nächsten Tag hat er ihnen in den Arsch getreten. Aber das gehört auch dazu, dass man Vertrauen aufbaut zu den Spielern, und dazu gehören viele Gespräche. Du musst natürlich wissen, mit welchen Typen du es zu tun hast. Welche Kindheit hatte er? Welche Schulbildung? Wie sieht sein Privatleben aus? Nicht dass ich mich da einmische, aber ich habe zu meinen Spielern häufig gesagt, ihr könnt mit mir über alles sprechen. Ich bin nicht nur euer Trainer, sondern auch euer Freund. Ich habe mehr Erfahrung als ihr, nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb. Wenn einer die ganze Nacht nicht geschlafen hat, weil das Kind krank war, dann möchte ich das wissen, damit ich ihn einschätzen kann am nächsten Tag auf dem Platz. Deswegen erwarte ich, dass ein Spieler offen zu mir ist, damit ich auch korrekt mit ihm umgehen kann. Mir ist das offene Verhältnis zwischen meinen Spielern sehr wichtig, denn nur dann kann ich sie korrekt behandeln.

Frage: Kommen wir zum Fußballerischen. Seit Ihrer Spielerzeit hat sich ja viel gewandelt, zum Beispiel die Position des Liberos gibt es nicht mehr.

Matthäus: Naja, heute sehen wir viele Mannschaften, die mit Dreierkette spielen. Wieder zurück zum "Libero", mit Anführungszeichen. Ich habe ja selber diese Position gespielt in einer Dreierkette mit Thomas Linke und Sami Kuffour, aber das war ja kein klassischer Libero, sondern ich war ein defensiver Mittelfeldspieler. Wenn es gebrannt hat, war ich dahinter, und sonst habe ich vor der Vierkette gespielt und die zwei Außenverteidiger haben sich zurückfallen lassen.

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