Klinsmann: "Fußball ist globaler Wild West"

Von Interview: Stefan Rommel
Jürgen Klinsmann übergab den 16 Teilnehmerländern der Frauen-WM die Mannschaftsbusse
© Imago

2006 führte Jürgen Klinsmann die deutsche Nationalmannschaft auf den dritten WM-Platz. Jetzt, fünf Jahre später, überreichte der 46-Jährige als Botschafter des FIFA-Sponsors Hyundai die 16 Mannschaftsbusse an die Teilnehmerländer der Frauen-WM. SPOX traf den Ex-Bayern-Trainer zum Gespräch über die Liebe der Amerikaner zu Dirk Nowitzki, die Versäumnisse im Profi-Fußball, die neue Trainer-Generation und die Faszination des FC Barcelona.

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SPOX: Herr Klinsmann, Sie sind zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel und Thomas Gottschalk bei US-Präsident Barack Obama zum Essen ins Weiße Haus eingeladen. Wie kommen Sie zu der Ehre?

Jürgen Klinsmann: Ich bekam eine Einladung zum Mittagessen von Vize-Präsident Joe Biden. Die Kanzlerin hat mir dann noch eine Einladung zum Abendessen geschickt. Jetzt esse ich also zu Mittag und zu Abend im Weißen Haus. Das ist außergewöhnlich und unheimlich spannend. Ich bin zwar nur einer von mehreren Delegationsmitgliedern, aber trotzdem ist das für mich eine große Ehre.

SPOX: Obama ist ein großer Basketball-Fan. Verfolgen Sie wie er derzeit auch die NBA-Finals?

Klinsmann: Aber selbstverständlich. Seit wir vor 13 Jahren in die USA gezogen sind, bin ich Basketball-Fan. Wir hatten auch lange Dauerkarten für die Lakers, aber leider nicht immer genügend Zeit. Aber in der ganz besonderen Konstellation mit Dirk Nowitzki in den Finals muss man einfach zum Fan werden.

SPOX: Das sagen Sie... In Deutschland ist die Berichterstattung darüber leider sehr überschaubar.

Klinsmann: Das ist mir auch aufgefallen. Dabei müsste Dirk Nowitzki derzeit das Thema schlechthin sein. Das ist momentan das Highlight in der Sportwelt! Was Dirk da bewegt, ist phänomenal. Er bekommt in den Staaten die Front Pages der Zeitungen, er erfährt eine unglaubliche Anerkennung. Die Fangemeinde ist ziemlich gespalten, zwischen LeBron James und ihm. Aber die neutralen Basketball-Fans wollen, dass sich Dirk jetzt endlich diesen Titel holt: "We want the German to win!"

SPOX: Dabei wird Nowitzki dem amerikanischen Bild des Sporthelden mit seiner ruhigen und besonnenen Art gar nicht gerecht.

Klinsmann: Ich denke, dass es derzeit genau diese Art ist, die ihn so beliebt macht. Er ist nicht der große Showman oder Sprücheklopfer. Er liefert seine Leistung ab, das reicht. Und er ist mittlerweile schon ein "Veteran", deshalb wünscht man ihm auch den Titel.

SPOX: Was muss Nowitzki noch machen, um in Deutschland auf einer Stufe mit Schmeling, Beckenbauer, Becker oder Schumacher zu stehen?

Klinsmann: Dirk ist das Aushängeschild des deutschen Basketballs, seit Detlef Schrempf aufgehört hat. Und über seinen Sport hinaus ist er ein ausgezeichneter Repräsentant für Deutschland. Aber: Um ganz nach oben, auf die höchste Stufe der Anerkennungsleiter zu kommen, braucht er auch diesen Titel.

SPOX: Haben Sie eigentlich noch regelmäßigen Kontakt zu Billy Beane (General Manager des MLB-Klubs Oakland Athletics, Anm. d. Red.)?

Klinsmann: Wir telefonieren alle paar Wochen. Er ist mit seiner Investorengruppe immer noch bei den San Jose Earthquake involviert, sein Hauptaugenmerk liegt aber weiter klar auf dem Baseball.

SPOX: Von seinen Ideen haben Sie sich einst auch inspirieren lassen. Glauben Sie immer noch daran, dass der Fußball von anderen Sportarten lernen kann?

Klinsmann: Alleine in der Fort- und Weiterbildung der Athleten sind uns andere Sportarten immer noch weit voraus, da finden viele Dinge im Fußball noch gar nicht statt. Die Persönlichkeitsentwicklung des Spielers befindet sich im Fußball noch immer in einem Anfangsstadium. Hockey-, Basketball- oder Handballspieler sind uns da weit voraus. Einzig der FC Barcelona ist hier eine Ausnahme.

SPOX: Warum ist das in anderen Sportarten anders?

Klinsmann: Weil diese Spieler nicht das große Geld verdienen und deshalb nebenher studieren müssen. Sie müssen zu ihrer aktiven Zeit den Kopf benutzen, damit sie nach dem Sport eine Perspektive für ihr restliches Leben haben. Das macht sie als Athleten und Menschen früher reif, als es bei Fußballern der Fall ist. Denn man muss die Sportler ja auch vorbereiten auf den Tag danach. Hier liegt das meiste Steigerungspotenzial. Aber im Fußball wird das kaputtgetreten durch die kurzfristige Denkweise, dass der Spieler in einem begrenzten Zeitraum möglichst viel erreichen soll. Der Erfolg rechtfertigt alles, die Jungs werden ausgequetscht. Aber das ist ein Trugschluss. Da können wir noch sehr viel lernen von anderen Sportarten.

SPOX: Wie sieht das in der Praxis aus?

Klinsmann: Es muss meiner Meinung nach immer eine akademische Schulung geben, eine Weiterbildung. Die sollte parallel zum Sport erfolgen. Wenn man dann aber Profi ist, stoppt diese Weiterbildung plötzlich. Dann heißt es nur noch: "Konzentrier' dich auf deinen Sport!" Das ist eine fatale Denkweise, weil der Mensch dabei auf der Strecke bleibt. Man muss mit beiden Beinen im Leben stehen - und nicht alle Dinge des täglichen Lebens weitergeben an die Berater, die die Dinge im Hintergrund abwickeln. Jeder muss Herr im Hause und Herr seiner Entscheidungen sein.

SPOX: Ist die Unabhängigkeit immer noch ein wichtiges Gut für einen Profi?

Klinsmann: Unabhängigkeit ist ein großes Wort. Man kann unabhängig sein, sein Geld bei Seite schaffen - vergisst dabei aber, sein Leben mit Inhalten zu füllen. Wenn ein Fußballspieler im Laufe der Jahre die Möglichkeit hat, verschiedene Dinge kennenzulernen, andere Sichtweisen zu erfahren, in mehreren Ländern zu spielen, dann soll er es machen. Es ist wichtig für Spieler wie Mesut Özil oder Sami Khedira, bei Real Madrid zu spielen. Genauso wie es für Michael Ballack gut war, in London zu leben. Es verändert deinen Blickwinkel total. Erst dann erkennt man, warum wir alle verschieden sind und anders denken.

SPOX: Jens Lehmann kann offenbar nicht loslassen vom aktiven Geschehen. Dabei stehen ihm doch auf Grund seiner Lebenserfahrung und Ausbildung mit einem abgeschlossenen BWL-Studium alle Türen für eine schöne Zeit nach der Karriere offen.

Klinsmann: Wo ist das Problem? Jens beschäftigt sich schon seit Jahren ständig mit anderen Themenfeldern. Er ist bestens gerüstet für den Tag danach. Aber wenn er jetzt nicht loslassen will, dann eben erst in ein oder zwei Jahren. Ich glaube sogar, dass er die Zeit jetzt mit seiner Reife noch viel mehr genießen kann, als früher...

SPOX: ...im Alter zwischen 20 und 25...

Klinsmann: ...wo man sich einfach nur tierisch hocharbeitet. Wenn er merkt, dass das Gefühl zu spielen so schön ist, soll er doch noch ein oder zwei Jahre haben. Körperlich schafft er das ohne Probleme. Er ist topfit, er kann sich quälen, ist zielstrebig und hat Spaß daran. Dann soll er die zwei Jahre doch noch mitnehmen.

SPOX: Auch als Nummer zwei auf Schalke?

Klinsmann: Das glaube ich nicht...

Teil 2: Klinsmann über die neue Trainer-Generation und Barcas Übermacht