"Ross Brawn ist eine Lichtgestalt"

Von Alexander Mey
Die größte Erfolgsgeschichte der Formel 1: Michael Schumacher und Ross Brawn
© Getty

Der Erfolg von Brawn GP hat einen Namen - und zwar buchstäblich. Er lautet Ross Brawn. Der Teamchef ist seit dem Brasilien-GP mit drei verschiedenen Rennställen Weltmeister. SPOX macht sich gemeinsam mit den Formel-1-Experten Hans-Joachim Stuck, Marc Surer und Keke Rosberg auf die Suche nach den besonderen Talenten, die Brawn zum Superhirn der Formel 1 machen.

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Ross Brawn hat Michael Schumacher überholt. Seit Sonntag ist der Engländer acht Mal Formel-1-Weltmeister - und das mit drei verschiedenen Teams. 1995 führte er Benetton zum Konstrukteurs-Titel. Zwischen 1999 und 2004 feierte er sechsmal in Folge mit Ferrari. Sieben Titel als Technischer Direktor - jetzt, mit seinem eigenen Brawn-GP-Rennstall hat er es zum ersten Mal als Teamchef ganz nach oben geschafft.

"Ferrari hat mir bei meinem Abschied eine Kopie des WM-Pokals für Konstrukteure geschenkt, die sich in meinem Büro befindet. Darauf sind all diese Plaketten, auf denen Ferrari, Lotus oder McLaren steht. Jetzt kommt eine Brawn-GP-Plakette dazu - das ist unbeschreiblich", freute sich Brawn. "Ich bin sehr stolz und geehrt, dass das Team meinen Namen trägt."

Button: "Dieser Kerl verdient eine Medaille"

Ross Brawn ist am Zenit. Mehr als mit dem eigenen Team, das auch noch den eigenen Namen trägt, im ersten Jahr Weltmeister zu werden, kann man nicht erreichen. Noch dazu, wenn man weiß, welche Führungsqualitäten Brawn aufbieten musste, um das Team im vergangenen Winter überhaupt am Leben zu erhalten.

"Ohne Ross würde dieses Team nicht existieren", sagte Fahrer-Weltmeister Jenson Button. "Dieser Kerl verdient eine Medaille."

Große Reden musste Brawn zwischen Dezember und März vor seinen 700 Mitarbeitern halten. "Meine Leute waren kurz davor, auf der Straße zu stehen, und ich sagte ihnen: 'Ich weiß nicht, was passieren wird, aber wenn wir etwas möglich machen können, dann nur mit Eurer Unterstützung. Sonst geht es nicht.' Und sie haben es einfach durchgezogen'", sagte Brawn.

Stuck und Rosberg loben Brawns Führungsqualitäten

Aus dem großen Strategen, dem Superhirn Ross Brawn ist ein großer Anführer geworden. Eine Entwicklung, die auch den langjährigen Formel-1-Experten Hans-Joachim Stuck tief beeindruckt hat.

"Ross Brawn ist für mich eine Lichtgestalt", sagt Stuck im SPOX-Gespräch. "Er ist eine der wenigen positiven Erscheinungen im Fahrerlager. Er ist immer ansprechbar, steht immer Rede und Antwort. Bei ihm ist das Glas immer halbvoll, nicht halbleer. Er hat sich im Laufe der Jahre eine gewisse Aura geschaffen. Wir haben auch privat ein ganz gutes Verhältnis, er ist einfach ein guter Typ."

Auch Ex-Weltmeister und SKY-Experte Keke Rosberg lobt vor allem Brawns Führungsqualitäten: "Er hat es verstanden, die richtigen Leute um sich herum zu sammeln, diese Leute richtig zu fördern, richtig zu führen, und aus diesen Menschen das Maximale herauszuholen."

Erste Formel-1-Meriten bei Williams

Nicht viele wissen, dass Rosberg in seiner Zeit bei Williams Anfang der 80er Jahre mit Brawn zusammen gearbeitet hat. Brawn war zusammen mit Designer Frank Dernie in der Aerodynamik-Abteilung tätig. Auch 1982, als Rosberg Weltmeister wurde.

Der studierte Ingenieur und ehemalige Mitarbeiter der britischen Atomenergiebehörde kam 1976 erst zu March in die Formel 1, wechselte aber schon wenig später zu Williams. Zu dem Zeitpunkt noch als kleiner Angestellter.

Ende der 80er Jahre ging Brawn als Chefdesigner zu Arrows, fertigte also ganz klassisch Zeichnungen des Autos auf dem Papier an, erstellte Modelle und brachte diese dann über Windkanaltests auf die Rennstrecke.

Erstes Treffen mit Schumi bei den Sportwagen

1989 bis 1991 machte Brawn einen Abstecher zu den Sportwagen und verhalf als Designer Jaguar zum Gewinn der Sportwagen-WM. Dort duellierte er sich übrigens mit dem Team Sauber-Mercedes, für das ein gewisser Michael Schumacher fuhr.

"Egal mit welchem Fahrer, unser Jaguar war immer eine Sekunde schneller. Als aber Michael in den Mercedes stieg, hängten sie uns plötzlich ab. Von da an wusste ich: Michael ist etwas Besonderes", sagte Brawn über die damalige Zeit.

Stuck: "Ross vereint zwei Bereiche in seiner Person"

Wenig später landeten beide gemeinsam bei Benetton. Schumacher als Fahrer, Brawn als Technischer Direktor. Brawn bekam Rory Byrne als Chefdesigner an seine Seite und zeichnete ab sofort die neuen Autos nicht mehr selbst. Er war mehr und mehr für die Abläufe und die Koordination verantwortlich - und natürlich für Strategie und Taktik.

Eine Tätigkeit, dessen Anforderungsprofil er in den kommenden fast 15 Jahren perfektionierte. Besagte sieben WM-Titel und spektakuläre strategische Meisterleistungen wie zum Beispiel die legendäre Vierstopp-Strategie für Schumi beim Frankreich-GP 2004 machten Brawn zum Maß aller Dinge.

"Ross vereint zwei Bereiche in seiner Person. Die Konstruktion und die Taktik", erklärt Stuck. "Andere Teams haben Technokraten an der Spitze, die für jeden Bereich einen anderen Mann brauchen. Wenn aber zu viele Leute mitreden, kommt nichts dabei heraus. Brawn reißt alles an sich. Er ist als guter Konstrukteur in die Formel 1 hineingewachsen und hat dadurch die nötige Erfahrung."

Brawn ist vor allem ein guter Stratege

Alleinherrschaft gepaart mit Gutmütigkeit und Führungsstärke. Ist das das Erfolgsrezept von Brawn? "Besonders wichtig ist, dass Brawn auch ein guter Stratege ist. Davon gibt es sehr wenige in der Formel 1. Ein Adrian Newey zum Beispiel trägt zur Strategie in den Rennen gar nichts bei", sagt Stuck. "Ich sehe im Fahrerlager keinen zweiten Ross Brawn."

Adrian Newey, der Technische Direktor von Red Bull, hat fast ebenso viele WM-Titel gewonnen wie Brawn und gilt auch als Meister seines Fachs. Neweys Fach ist aber eben ausschließlich die Konstruktion von Autos, nicht die Organisation eines kompletten Teams und die Festlegung von Rennstrategien.

Surer: Gesamtkonzept hat WM 2009 entschieden

Trotzdem zieht SKY-Experte Marc Surer gegenüber SPOX einen Vergleich mit Newey heran, um ein weiteres Erfolgsrezept von Brawn zu erläutern - die Fähigkeit, aus neuen Ausgangslagen das Beste herauszuholen.

"In den letzten Jahren waren nur noch Spezialisten am Werk. Es gab niemanden mehr, der das Gesamtkonzept im Auge hatte, der die Fähigkeit hatte zu erkennen, was man braucht, um ein Auto grundsätzlich schnell zu machen. Den brauchte man aber auch nicht mehr, denn das Reglement ließ nur Raum für Detail-Entwicklungen", erklärt Surer. "Anfang 2009 hatten alle ein weißes Blatt Papier, und die Detail-Spezialisten sind an ihre Grenzen gestoßen."

Abschalten bei Gartenarbeit und Fischen

Brawn nicht. Er hat einem 15 Monate lang entwickelten verkappten Honda seinen Namen gegeben und daraus ein Weltmeister-Auto gemacht. "Das wird schwer zu toppen sein", sagte Brawn nach dem Brasilien-GP.

Wie er das trotzdem schaffen will, kann er sich ja im Winter überlegen, wenn er wieder seinen beschaulichen Hobbies Gartenarbeit und Fischen frönt. Dabei fällt ihm vielleicht der eine oder andere Kniff ein, mit dem er die Konkurrenz Anfang 2010 überraschen kann.

Es wäre schließlich nicht das erste Mal.

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