"Stoff für einen Hollywood-Film"

Von Alexander Mey
Jenson Button und Ross Brawn feiern Schampus-überströmt ihre beiden WM-Titel
© Getty

Jenson Button ist Weltmeister, Brawn GP ist Weltmeister. Was für ein Tag für Team und Fahrer beim Brasilien-GP in Sao Paulo! Die ausgelassene Party nach dem Rennen bildete den krönenden Abschluss einer Cinderella-Story, wie sie die Formel 1 in ihrer Geschichte noch nicht erlebt hat.

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5. Dezember 2008, Pressemitteilung von HondaF1: "Wir, die Honda Motor Company, sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir uns von allen Formel-1-Aktivitäten zurückziehen werden, was bedeutet, dass 2008 die letzte Saison war, an der wir teilgenommen haben."

Von einem Tag auf den anderen stehen die 700 Mitarbeiter eines der größten F-1-Teams vor dem beruflichen Nichts. Entweder, es findet sich ein Käufer oder alle Angestellten sitzen auf der Straße.

Brawn-Übernahme erst am 6. März 2009

Gerüchte um angebliche Übernahme-Angebote gab es viele, aber bis zum 6. März 2009 keine Klarheit. Erst drei Wochen vor Saisonstart stand fest, dass das ehemalige Honda-Team von Teamchef Ross Brawn übernommen wird und unter dem Namen Brawn GP an den Start geht.

"Das Team hatte einen langen Winter hinter sich, und es ging nicht nur darum, ob wir Rennen würden fahren können oder nicht. Es ging darum, dass die Teammitglieder ihre Jobs behalten haben und ihre Familien weiter ernähren konnten", erinnerte sich Button nach seinem Titelgewinn.

Button: "Hätte schlimmstenfalls ein Jahr zugeschaut"

Auch seine eigene Karriere stand auf der Kippe. Wer weiß, ob ihn nach zwei erfolglosen Jahren bei Honda ein anderes Team genommen hätte?

"Ich hätte schlimmstenfalls ein Jahr zugeschaut", sagte Button. "Doch bei dem Gedanken war mir nicht wohl, denn jeder weiß, wie schnell man in diesem Geschäft in Vergessenheit gerät." In einem Interview zu Saisonbeginn hatte er zugegeben: "Es war eine sehr schwierige, sehr dunkle Zeit."

Drei Gründe für Brawns anfängliche Überlegenheit

Die Dunkelheit verzog sich nach besagtem 6. März sehr schnell, denn schon bei den ersten Testfahrten schockte Brawn GP die Konkurrenz aus dem Stand. Sowohl auf eine Runde als auch auf die Distanz waren Button und Barrichello unschlagbar. "Deren Zeiten können wir nicht einmal ohne Benzin im Tank fahren", sagte Ferrari-Pilot Felipe Massa.

Gründe für die Überlegenheit der Brawns gab es einige. Erstens den Doppel-Diffusor, den neuartigen Unterboden, den Ross Brawn ausgetüftelt hatte. Zweitens die extrem lange Vorbereitungszeit. Brawn hatte die 2008er Saison frühzeitig aufgegeben und insgesamt 15 Monate lang am 2009er Auto gebastelt. Drittens der Mercedes-Motor, der erst kurz vor Beginn der Testfahrten ans Auto angepasst wurde und sich als Glücksgriff erwies.

"Wir bekamen im Dezember 2008 einen Anruf von Ross Brawn mit der Bitte, kurzfristig Motoren zu liefern, und ich hatte damals das Gefühl, dass der Brawn mit all der Vorbereitungszeit und dem Einfluss von Ross ein gutes Auto sein würde", sagte Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug.

Brawn musste 270 Mitarbeiter entlassen

Er behielt Recht. Im ersten Rennen in Australien fuhr Brawn GP vom ersten Training an alles in Grund und Boden und feierte einen souveränen Doppelsieg.

"Die Arbeit, die alle über den Winter geleistet haben, war sensationell", sagte Ross Brawn nach dem Titelgewinn und bedankte sich vor allem bei den 270 Mitarbeitern, die er aufgrund notwendiger Sparmaßnahmen entlassen musste.

"Ich muss mich bei all denen, die nicht bei uns sein können, weil wir die Größe des Teams verändern mussten, vielmals bedanken, denn sie haben hart gearbeitet und ihren Anteil an unserem Erfolg", sagte Brawn. "Ich hoffe, dass sie sehr stolz auf das sein können, was das Team erreicht hat, und sich mit uns freuen."

Acht Siege in 16 Rennen

Die 270 entlassenen Mitarbeiter mussten aus der Ferne mit ansehen, wie das auch von ihnen konstruierte Auto sechs der ersten sieben Rennen gewann. Button war zu diesem Zeitpunkt im Nachhinein betrachtet in der WM schon uneinholbar enteilt.

Trotz einiger Schwächen in der zweiten Saisonhälfte fuhr Barrichello noch zwei Siege für das Team ein, sodass am Ende acht Siege und der deutliche Titelgewinn bei den Konstrukteuren für den Quasi-Neuling zu Buche stehen.

Von der Arbeitslosigkeit zum doppelten Titelgewinn. "Das ist eine unglaubliche Geschichte und gibt genug Stoff für einen Hollywood-Film", sagte Button und machte sich am Sonntag auf zum Feiern.

Barrichello: "Jenson ist ein großer Champion"

Aber nicht alleine. Teamchef Brawn machte kräftig mit, und auch Teamkollege Barrichello war trotz des verpassten Titelgewinns in Partylaune.

"Jenson hat verdient gewonnen, er ist ein großer Champion", erkannte Rubinho neidlos an. "Ich bin aber auch sehr zufrieden. Vor der Saison haben die Leute schon Blumenkränze an meinen Sarg gelegt, aber ich habe mit einem fantastischen Auto zurückgeschlagen und mich wirklich toll verkauft."

Nachdenklicher Ross Brawn

Und was sagte Ross Brawn zum Happy End seiner eigenen Cinderella-Story? "Es geht dabei nicht nur um den eigenen Namen, es geht um die Menschen, mit denen man das zusammen erreicht hat, mit denen man diese Erfahrung gemeinsam genießen kann. Es geht um dieses Team, egal, ob es meinen Namen trägt oder nicht. Diese Erfolge sind etwas ganz Besonderes, vor allem wegen der Umstände. Es war am Anfang so hart, weil wir gar nicht wussten, ob es dieses Team überhaupt geben wird."

Es hat das Team gegeben - und es war gut so. Denn die Formel 1 2009 hatte dadurch einige neue Farbtupfer.

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