Cortina: "Plötzlich hießen sie Lewis oder Hans"

Von Interview: Florian Regelmann
Pat Cortina feiert beim Deutschland Cup sein Debüt als Bundestrainer
© Getty

Pat Cortina feiert beim Deutschland Cup in München sein Debüt als neuer Eishockey-Bundestrainer. Aber wer ist dieser 48-jährige Italo-Kanadier? Im SPOX-Interview erzählt Cortina von dem bemerkenswerten Weg eines Einwanderer-Sohns, von einem echten Kulturschock, Selbstzweifel und seinem persönlichen Stanley Cup.
 

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SPOX: Herr Cortina, Sie sind in Montreal zur Welt gekommen. Wer in Montreal geboren wird, der wird eigentlich sofort in Eishockey und die Canadiens rein geboren, oder?

Pat Cortina: Absolut richtig. Wenn man Münchnern die Bedeutung von Eishockey und Montreal verständlich machen will, müsste man wohl sagen, es ist so, als wenn man heutzutage nahe der Allianz Arena geboren wird, oder nahe der Grünwalder Straße. Das Erste, was Ihr in Deutschland bekommt, ist ein Fußball zum Kicken. Wir bekommen Eishockey-Schläger. Jeder spielt Hockey in Kanada, es ist ein Teil der Kultur. Bobby Orr war einer meiner Lieblingsspieler, ich bin aber als Canadiens-Fan aufgewachsen. Die Habs hatten in den 70er Jahren eine unglaubliche Mannschaft. Larry Robinson war auch einer meiner Lieblinge. Ansonsten natürlich auch Wayne Gretzky, oder Steve Yzerman, das waren so meine Helden.

SPOX: Waren Sie häufig bei Heimspielen der Canadiens?

Cortina: Um ehrlich zu sein nicht so oft. Wissen Sie, ich bin der Sohn von Einwanderern. Und für Einwanderer hat der Sport leider nicht immer die höchste Priorität. Da geht es um wichtigere Dinge. Sie müssen schauen, dass jeden Tag Essen auf dem Tisch steht, dass sie ein Dach über dem Kopf haben. Meine Eltern haben sehr hart gearbeitet, ich war meistens zuhause mit meinen Großeltern. Aber ab und zu waren wir bei Canadiens-Heimspielen. Und wir haben es intensiv im Fernsehen und Radio verfolgt.

SPOX: Wie sehr haben Sie selbst von einer Karriere im Habs-Trikot geträumt?

Cortina: Klar träumst du davon, in der NHL zu spielen. Aber für meine Eltern war die Schule und später einen guten Job zu bekommen immer das Wichtigste. Als ich die Chance hatte, eine Eishockey-Karriere zu verfolgen, waren sie dagegen. Ich wäre auf eine französische Schule gekommen, sie wollten aber, dass ich im englischen Schulsystem bleibe. Das war dann eigentlich der Anfang vom Ende meiner Spielerkarriere. Aber natürlich hast du diesen Traum und stellst Dir vor, wie es wäre, in der NHL zu spielen. Als Sie früher auf der Straße Fußball spielten, wollten Sie sicher auch Lothar Matthäus sein.

SPOX: Sie haben Kanada verlassen, um nach Italien zu gehen, als Sie 23 Jahre alt waren. Wie sehr war Ihnen damals klar, dass Sie einmal als Head Coach Ihr Geld verdienen würden?

Cortina: Ich habe Montreal verlassen, nachdem ich dort schon 13- und 14-Jährige trainiert hatte. Ich dachte, dass ich eine ungefähre Ahnung hätte, was mich erwartet, aber als ich in Italien ankam, habe ich erst gemerkt, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte. Ich hatte meinen Bachelor-Abschluss an der Universität gemacht und wollte nicht wirklich sofort in einem normalen Job arbeiten. Also habe ich mir gesagt: Lass mich das ein Jahr probieren und schauen, was sich ergibt. Es hat mir dann so viel Spaß gemacht. Ich bekam das erste Angebot, dann das nächste, dann wieder das nächste. Der Rest ist Geschichte. Jetzt sitzen wir hier 25 Jahre später.

SPOX: Sie hatten zuvor Ihr ganzes Leben in Kanada gelebt. Wie sehr hat Sie der Schritt nach Italien verändert?

Cortina: Ich bin zwar in Kanada geboren, aber als Kind italienischer Eltern. Es war also nicht ganz neu für mich alles. Aber lassen Sie mich eines sagen: Meine Eltern kommen aus Mittel-Süditalien. Und wo wird in Italien Eishockey gespielt?

SPOX: Im Norden.

Cortina: Genau. Das war schon ein kleiner Kulturschock für mich. Ich bin zum Großteil mit Einwanderer-Söhnen zur Schule gegangen, die aus der gleichen Ecke kamen wie ich. Mit Francescos und Giuseppes. Und dann komme ich nach Italien und plötzlich hießen sie Lewis oder Hans. Namen, die ich überhaupt nicht gewohnt war. Ich dachte mir: Warte mal, diese Jungs sprechen nicht meine Sprache. Wo bin ich denn hier gelandet? Oder die Berge. Ich hatte noch nie in meinem Leben Berge gesehen. Wenn du jung bist, bist du manchmal noch sehr ignorant, aber auch offen. Ich habe die Zeit einfach genossen. Ich habe versucht, einen guten Job zu machen und es als Erfahrung fürs Leben gesehen. Im Rückblick muss ich sagen, dass es mich tatsächlich verändert hat. Es hat meinen Charakter verändert.

SPOX: Inwiefern?

Cortina: Ich war 23 Jahre alt. Kanadier sind ziemlich einfache Menschen. Sie sind ziemlich authentisch. Was du siehst, bekommst du auch. In Italien sind die Menschen komplett anders. Ich meine das nicht negativ. Aber sie sind schlau, listig, smart, immer einen Schritt voraus. Das Gleiche gilt für die Deutschen. Wir Nordamerikaner sind viel einfacher gestrickt. Wir haben nicht diese Kultur, das Schulsystem ist anders, hier gibt es eine Seele, die wir einfach nicht haben. Es gibt sicherlich viele, bei denen das anders ist. Aber die Masse ist meiner Meinung nach hier aufgrund der Kultur viel reicher als in Nordamerika. Deshalb war ich anfangs sehr schüchtern und introvertiert, aber sei mal introvertiert in Italien? Das funktioniert dort nicht. Also musste ich mich anpassen.

SPOX: Sie haben dann erfolgreich in Italien als Coach gearbeitet, bis ein großer Schritt kam. Der Wechsel nach Ungarn. Eishockey und Ungarn passten damals noch gar nicht in einen Satz. Wie hat es Sie überhaupt dahin verschlagen?

Cortina: Ich habe ja zunächst zehn, zwölf Jahre lang Vereinsmannschaften in Italien trainiert. Danach hat sich die Möglichkeit ergeben, die italienische Nationalmannschaft zu übernehmen. Nachdem mein Vertrag nach drei Jahren ausgelaufen war, haben sie sich entschieden, ihn nicht zu verlängern. Zu einem Klub in Italien wollte ich nicht mehr zurückgehen. Ich habe vielmehr auf ein Angebot aus Deutschland gehofft. Also habe ich gewartet, gewartet und gewartet, aber es ist nichts passiert. Mein Glück war, dass ich während meiner Zeit als Nationaltrainer von Italien auch nebenbei für die IIHF als eine Art Mentor für "Dritte-Welt-Länder" im Eishockey gearbeitet hatte. Dort hatte ich den Generalsekretär des ungarischen Verbands kennen gelernt. Als dann im Januar in Ungarn ein Team einen Trainer suchte, hat er mich kontaktiert. Aus Deutschland war immer noch kein Angebot da, also habe ich es mit meiner Frau besprochen und gemacht. Es ging ja erst mal nur um drei Monate, ich wollte wieder in die Coaching-Routine zurückkehren.

Teil 2: Cortina über seinen persönlichen Stanley Cup und die Aufgabe beim DEB

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