NFL

Der Pendler zwischen Himmel und Hölle

Von Florian Regelmann
Die Playoff-Bilanz von Steelers-Superstar Ben Roethlisberger: 10-2
© Getty

Ben Roethlisbergers Karriere hing am seidenen Faden, weil er sich eine Zeit lang selbst verlor. Nun steht der Superstar-Quarterback vor seinem nächsten großen Triumph. SPOX über die Wandlung von Big Ben.

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Um die Story des Benjamin Todd Roethlisberger zu verstehen, ist eine kleine Zeitreise nötig. Wir brauchen dafür gar nicht die Zeitmaschine von Doc Brown und Marty McFly, wir müssen nicht weit zurück - es reicht ein Ausflug in den April 2010.

Es ist ein Mittwoch, an dem Pittsburgh durch eine Nachricht aufgeschreckt wird, die sich wie ein Lauffeuer verbreitet. NFL-Commissioner Roger Goodell hat Ben Roethlisberger für die ersten sechs Spiele der neuen Saison suspendiert. Weil er gegen die Verhaltensrichtlinien der NFL verstoßen habe. Goodell geht noch weiter. Er ordnet an, dass sich Roethlisberger einer umfassenden Untersuchung seiner Verhaltensmuster unterziehen muss, wenn er wieder in der NFL spielen will. Ein echter Schocker.

"Ich habe einen langen Weg vor mir, um das alles wieder gutzumachen bei den Kindern und den Eltern, die im Moment nicht wollen, dass sich ihre Kinder mich zum Vorbild nehmen. Aber ich will es schaffen. Ich will immer der Beste auf dem Football-Feld sein, der ich sein kann. Das hat wohl auch nie jemand in Frage gestellt. Aber jetzt will ich auch ein besserer Mensch abseits des Feldes werden. Das ist mein neues Ziel. Ich weiß, dass ich Taten sprechen lassen muss. Ich bitte alle um die Chance, zeigen zu dürfen, dass man einen neuen Ben sehen wird", sagt Roethlisberger damals.

Die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass er solch ein Statement überhaupt abgeben musste, kann man nicht in wenigen Sätzen beantworten. Die Suspendierung ist der Höhepunkt einer äußerst unappetitlichen Geschichte, die sich in der Offseason abspielt.

Vergewaltigung auf einer Toilette?

Eine 20-jährige Frau aus Georgia bezichtigt Roethlisberger der Vergewaltigung auf einer Bar-Toilette. Es muss viel Alkohol im Spiel gewesen sein - so viel steht fest. Dass am Ende der Ermittlungen wegen eines unzureichenden DNA-Beweises keine Anklage gegen Roethlisberger erhoben wird, schützt ihn vor einem Gerichtsverfahren, nicht aber vor den Konsequenzen durch Goodell.

Zu viel hat sich Roethlisberger schon geleistet. 2009 wird Roethlisberger schon einmal beschuldigt, eine Frau vergewaltigt zu haben. Eine Hotel-Angestellte in Nevada, die er mit dem Vorwand eines angeblich defekten TV-Geräts auf sein Zimmer gelockt haben soll. Auch hier wird nie Anklage erhoben, aber der üble Geruch bleibt an ihm haften.

Die Liste der Sommer-Katastrophen ist lang. 2006 wird Roethlisberger bei einem Motorrad-Unfall schwer verletzt - er trägt keinen Helm. Und fährt ohne Genehmigung. Wenige Monate später soll es Filmaufnahmen gegeben haben, die Roethlisberger erneut auf dem Motorrad zeigen. Erneut ohne Helm. Als er die Kameras entdeckt, soll er den Mittelfinger gezeigt haben.

Pittsburgh hätte ihn fast verstoßen

Roethlisberger bewegt sich irgendwo im luftleeren Raum, mindestens flegelhaft und ganz nahe an der Grenze zum Kriminellen. In Pittsburgh kursieren Geschichten, die das Bild eines Ekelpakets zeichnen. Einer, der glaubt, sich alles leisten zu können. Ohne zu zahlen eine Bar verlässt. Respektlos gegenüber seinen Teamkollegen auftritt. Sich nur mit Freunden umgibt, die ihm nach dem Mund reden.

Das Gesamtpaket an Roethlisbergers Fehltritten führt dazu, dass ein Großteil der Menschen in Pittsburgh sich eine Zeit lang wünscht, dass die Steelers ihren Star-Quarterback mit dem 102-Millionen-Dollar-Deal einfach rausschmeißen. Pittsburgh ist eine stolze Stadt. Die Steelers eine stolze Franchise. Und die Steeler Nation eine stolze Gemeinschaft, in der für Leute mit dem Benehmen Roethlisbergers eigentlich kein Platz ist.

Tatsächlich: Pittsburgh ist kurz davor ihn zu verstoßen, und das obwohl es über Roethlisbergers sportliche Fähigkeiten nie zwei Meinungen gab. Zum Zeitpunkt seiner Suspendierung hat Roethlisberger schon zweimal den Super Bowl gewonnen und sich ein Image als unglaublich tougher Quarterback aufgebaut. Roethlisberger ist der Winner-Typ schlechthin. Er ist Big Ben. Aber eben nur auf dem Feld.

Superman Roethlisberger...

"Ich wusste nicht, wie ich mit dieser ganzen Big-Ben-Sache umgehen sollte. Ich habe schon in meinem zweiten Jahr den Super Bowl gewonnen und Big Ben wurde immer größer und größer. Irgendwann habe ich ihn mit vom Feld runter genommen und er hat Ben Roethlisberger überschattet. Das war, als ob Superman Clark Kent vereinnahmt hätte, man hat gar nicht mehr gesehen, wer Ben Roethlisberger eigentlich ist", gesteht Roethlisberger im Sommer in einem emotionalen TV-Interview.

"Ich habe das damals nicht gesehen, aber wenn ich jetzt zurückschaue, ist es total offensichtlich. Es war hart für mich, das zu sehen. Ich bin aus einer Kleinstadt aus Ohio nach Pittsburgh gekommen und plötzlich war ich hier. Plötzlich war ich der Quarterback der Steelers. Jeder kennt die Reputation und Tradition der Steelers. Da so schnell hineingeworfen zu werden, hat mich total überwältigt. Ich habe mich für ein paar Jahre selbst ein wenig verloren", erklärt ein sehr ehrlicher Roethlisberger seine Probleme.

Wir wechseln ins Hier und Jetzt. Gut zehn Monate sind seit der Suspendierung vergangen. Und jetzt steht Roethlisberger mit seinen Steelers schon wieder im Super Bowl. Zum dritten Mal in den letzten sechs Jahren. Holt er sich seinen dritten Ring, überholt er sein Idol John Elway und zieht mit Troy Aikman und Tom Brady gleich. Zu Joe Montana und Terry Bradshaw fehlt dann nur noch ein Ring.

Elitärer und legendärer geht es kaum. Dabei hing seine Karriere vor wenigen Monaten noch am seidenen Faden. Er ist mal wieder zwischen Hölle und Himmel hin- und hergependelt. Er hat aber nun endgültig genug davon. Und er weiß, wem er zu Dank verpflichtet ist.

Der Wandel des Ben Roethlisberger

"Ich habe mich schrecklich gefühlt, dass die Rooneys (Steelers-Besitzer, Anm. d. Red.) wegen mir kritisiert wurden. Das hat mich innerlich gekillt. Ich habe ihnen oft gesagt, dass ich es zu schätzen weiß und immer zu schätzen wissen werde, dass sie zu mir gehalten haben. Die Steelers sind wie eine Familie. Und Familien lassen einen nicht fallen. Ich will meine Karriere als Steeler beenden", sagt Roethlisberger fast beschwörend. Er hat die Steelers-Bosse jedenfalls nicht enttäuscht.

Auch wenn es die Zeit erst noch zeigen wird: Roethlisberger hat sich allem Anschein nach geändert und seinen Worten Taten folgen lassen. Er ist neuerdings unwahrscheinlich höflich und bemüht im Umgang mit den Journalisten, was diese vorher auch nicht kannten. Er achtet mehr auf die Fans, die ihm eine zweite Chance gaben und vom ersten Moment seiner Rückkehr mit offenen Armen empfingen.

Er ist vor allem ein besserer Teamkamerad geworden. Zeigte bei seiner Suspendierung laut Goodell noch kein einziger Mannschaftskollege großes Interesse daran, ihn zu verteidigen - ihm wurde sogar das Kapitänsamt entzogen -, hat er sich das Vertrauen seiner Kollegen inzwischen hart erarbeitet.

Roethlisberger war wild entschlossen, seiner Karriere eine Wendung zu geben und hätte nach eigenen Angaben sogar in der UFL oder der Arena League gespielt, wenn er keine andere Wahl gehabt hätte. Soweit musste es nicht kommen.

Mr. Toughness

Aus dem unreifen Rüpel ist ein bescheidener 28-jähriger Mann geworden. Auf dem Feld ist er aber selbstredend immer noch Big Ben. In dieser Saison gibt es wohl sogar die beste Big-Ben-Version seiner Karriere zu bestaunen. Wenn man Roethlisberger bewerten will, muss man zuerst einmal verstehen, dass er in vielerlei Hinsicht nicht mit einem Tom Brady oder Peyton Manning zu vergleichen ist. Oder auch einem Aaron Rodgers.

Wer Quarterback der Steelers ist, der wirft gleich zu Beginn sein ganzes Ego aber mal ganz weit aus dem Fenster. Anders geht es nicht. Das ging schon Legende Terry Bradshaw so. Pittsburgh definiert sich per Franchise-Grundgesetz über die Defense. Und über Siege.

Für Statistiken, die einen dann zum Pro-Bowl-Quarterback machen könnten oder die einen für jeden offensichtlich auf die Stufe mit den Bradys und Mannings dieser Welt stellen würden, ist kein Platz. Es geht nur ums Gewinnen. Ums Gewinnen von Super Bowls.

Und diesbezüglich macht Roethlisberger niemand etwas vor. Es gibt schlicht und ergreifend keinen anderen Quarterback, der so tough ist. Der sich auf so unglaubliche Weise aus scheinbar sicheren Sacks herauswindet und noch Big Plays daraus kreiert. Der mit gebrochener Nase oder schmerzhaftem Pferdekuss die First Downs erläuft. Mit dem Kopf voran.

Der Meister der Game-Winning-Drives

Super Bowl. Die letzten Minuten. Ballbesitz. Du darfst Dir einen Quarterback aussuchen. Wen wählst du? Selbst außerhalb Pittsburghs gibt es eine ganze Menge Experten, die sofort mit Ben Roethlisberger (10-2-Bilanz in den Playoffs) antworten würden.

Schließlich ist er einer der besten Clutch-Quarterbacks der Geschichte. Und deshalb ist trotz der atemberaubenden Defense auch ohne jeden Zweifel die Nummer 7 der Hauptgrund, der für den siebten Super-Bowl-Triumph der Steelers spricht. Aber noch wichtiger: Man hat den Eindruck, dass Roethlisberger dieses Mal besser vorbereitet wäre, wenn die Welt ihm zum dritten Mal zu Füßen liegen sollte.

"Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass ich viel erwachsener geworden bin. Ich will, dass die Leute sehen, was für eine Person ich bin. Ich will ihr Vertrauen zurückgewinnen. Ich will, dass Kinder mein Trikot tragen. Ich will ein Vorbild sein. Ich höre oft, dass Spieler sagen, dass ihnen solche Dinge egal sind. Mir nicht. Ich will, dass die Leute mich mögen." Sie sollen nicht nur Big Ben mögen. Sie sollen Ben Roethlisberger mögen.

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