NFL

Hollywood lässt grüßen

Von Jan-Hendrik Böhmer
Troy Smith erlief beim Sieg über die Broncos einen Touchdown selbst und warf einen weiteren
© Getty

San-Francisco-49ers-Quarterback Troy Smith wuchs in einer miesen Gegend auf. Der Sport war seine Zuflucht vor Drogen, Kriminalität und einem kaputten Elternhaus. Er galt als kommender NFL-Star, bis ihn eine seltene Krankheit aus der Bahn warf. Jetzt ist er wieder da. SPOX hat Smith getroffen und erzählt seine Geschichte.

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Troy Smith kann sich das Lachen einfach nicht verkneifen. Als er durch die Katakomben des Wembley Stadium läuft, stehen seine Teamkollegen Spalier. Sie klopfen ihm bei jedem seiner Schritte auf die Schulter, applaudieren, jubeln. Gerade hat Smith in seinem ersten NFL-Start seit 2007 das Spiel entschieden. Sein Team zum Comeback-Sieg geführt. Jetzt grinst er wie ein schüchterner Junge, dem der ganze Rummel fast ein wenig peinlich ist.

Als ihm 49ers-Coach Mike Singletary dann auch noch den Spielball in die Hand drückt, wird es Smith zu viel. Er unterbricht seinen Trainer bei dessen Lobeshymne und ergreift selbst das Wort. "Dieser Ball gebührt nicht mir", ruft Smith und hält die Trophäe, die traditionell dem besten Spieler des siegreichen Teams überreicht wird, in die Mitte des Raumes. "Dieser Ball gehört den Jungs um mich herum. Ohne sie wäre ich nichts."

Gänsehaut. Vermutlich bei jedem hier in der nach Desinfektionsmittel riechenden Kabine. "Das ist etwas ganz Besonderes", sagt Linebacker Patrick Willis leise. "Einen Quarterback zu haben, der versteht, dass es nicht nur um ihn geht, ist etwas Großartiges. Troy ist großartig", sagt er und ist sich sicher: Smiths Worte sind keine leere Phrase, die ein Spieler drischt, um sich vor der Presse zu präsentieren und sich bei seinen Teamkollegen beliebt zu machen.

Es ist das Motto, das sich durch sein Leben zieht. Ein Leben wie ein Hollywood-Drehbuch.

Drogen, Schwierigkeiten, Polizei

Der erste Akt spielt in Cleveland. In einem der miesesten Viertel der Stadt. Hier wohnt Smith mit seinen zwei Geschwistern - und seiner Mutter Tracy. Doch die ist nie da. Sie treibt sich nachts in der Gegend herum, lässt ihre Kinder im Stich und hat offenbar psychische Probleme. Was damals genau passierte, kann oder will heute niemand mehr sagen.

Sie habe "Schwierigkeiten" gehabt, heißt es nur. In ihrer Polizeiakte finden sich mehrere Gefängnisaufenthalte und Berichte über Drogenmissbrauch. "Damals kam einfach alles zusammen. So viele Dinge sind auf mich eingeprasselt", rechtfertigt sie sich später gegenüber "ESPN". "Ich konnte mich nicht mal um mich selbst kümmern, wie sollte ich da für meine Kinder da sein? Ich musste erstmal mein Leben auf die Reihe kriegen."

Football als Flucht vor der Familie

Troy flüchtet. Auf die Straßen, Sandplätze und in die Parks der Stadt. Er spielt Fußball, Basketball, Tennis - eigentlich alles, Hauptsache Sport. Am liebsten spielt er aber Football - auf einem kleinen, staubigen Spielfeld direkt gegenüber von seinem Elternhaus. "Ich war einfach den ganzen Tag dort", sagt Smith. Sein Trainer, Irvin White, informiert die Behörden, nimmt Smith in sein Haus auf und wird sein erster Mentor.

"Er drückte mir den Football in die Hand und sagte mir, dass ich das Team anführen kann", erinnert sich Smith. "Das hat mein Leben verändert. Denn auch wenn ich noch ein Kind war, wusste ich jetzt: Wenn ich dieses Team zum Sieg führen kann, kann ich auch alle anderen Teams zum Sieg führen. Daran habe ich seitdem immer geglaubt."

Der Sport verändert Smiths Leben. Er hat endlich ein Ziel, will es als Sportler weit bringen. Und das rettet ihm vermutlich das Leben. "Viele von den Jungs, mit denen ich aufgewachsen bin, sitzen mittlerweile im Gefängnis oder sind tot", sagt Smith beim Blick zurück.

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"Niemand wollte ihn im Team haben"

Doch er rappelt sich auf, schreibt bessere Noten und darf auf eine Privatschule in der Vorstadt. Es scheint so, als könne er seine Probleme endlich hinter sich lassen. Jedenfalls bis er bei einem High-School-Basketball-Spiel seinen Gegenspieler mit dem Ellenbogen bewusstlos prügelt. Smith fliegt aus dem Team - und muss die Schule wechseln. Zurück in sein altes Viertel, zurück zu seiner Mutter, die mittlerweile wieder für ihn sorgt.

"Danach war er gebrandmarkt. Niemand wollte ihn im Team haben", erinnert sich Ted Ginn Sr., der Vater seines besten Freundes Ted Ginn Jr. Ginn und er kennen sich bereits seit sie sieben Jahre alt sind. Damals schlichen sie sich sonntags zusammen aus der Kirche und spielten Fangen. Jetzt spielen sie zusammen bei den 49ers.

Ginn Sr. wird Smiths zweiter Mentor. Und er bringt ihn endgültig zum Football. Er macht aus dem kleinen, dafür aber extrem mobilen Jungen einen echten Quarterback. Mit hartem Training auf und noch härteren Regeln abseits des Platzes. Keine Partys, kein Herumlungern mit Freunden - nicht einmal Sonnenbrillen sind erlaubt. Nur Football.

Das klingt hart, aber es wirkt. Zusammen mit Ginn Jr. und Donte Whitner (der spielt mittlerweile als Safety für die Buffalo Bills) führt Smith die Glenville High in die State Playoffs und erhält anschließend ein Stipendium an der Ohio State University.

Prügelei, Geld und Stress mit dem großen College-Trainer

Es ist das Ende des zweiten Aktes, aber noch lange nicht das Ende von Smiths Problemen. Denn auch zu Beginn seiner College-Karriere fällt Smith immer wieder durch Ausraster auf. Nach einer Schlägerei auf einem Parkplatz auf dem Uni-Gelände wird er zu einer Geldstrafe verurteilt, als er 500 Dollar von einem Fan annimmt, sperrt ihn die Liga für zwei Spiele.

Ein Journalist schreibt damals: "Ärger ist für Smith wie ein alter Mantel, den er immer wieder aus dem Schrank holt, anzieht und sich einfach weigert, ihn wegzuschmeißen."

Als Smith während seiner Sperre dann auch noch eine Vorlesung sausen lässt, um bei einem Football-Camp eines Ex-NFL-Profis dabei zu sein, gerät er mit seinem Trainer Jim Tressel aneinander. Der sagt zu Smith: Wenn du dir noch ein Ding erlaubst, bist du weg.

Das sitzt. Smith konzentriert sich fortan nur noch auf Football, schottet sich komplett ab, studiert Spielzüge und Videos. "Das ist meine einzige Zuflucht, meine Rettung", sagt er. "Es ist das Einzige, was mir hilft, mich auf dem Spielfeld wohlzufühlen."

Der beste Spieler des Jahrzehnts

Und er beginnt tatsächlich, sich wohlzufühlen. Nach der Zwangspause auf der Bank kommt er zurück und liefert überragende Spiele ab. Er führt die Buckeyes zu prestigeträchtigen Siegen über die Erzrivalen aus Michigan und Notre Dame, holt den Fiesta Bowl und steht im Finale um die Meisterschaft. Die Krönung seiner Karriere dann 2006, als er mit der Heisman Trophy als bester College-Spieler des Landes ausgezeichnet wird. Und er gewinnt sie nicht nur, er dominiert die Wahl. So klar wie er hat noch nie jemand gewonnen.

2010 erklärt ihn ESPN-Experte Adam Rittenberg sogar zum Spieler des Jahrzehnts in der College-Division Big Ten. Noch vor einem gewissen Tom Brady.

Krankheit als Karriere-Knick

Smith ist gerüstet für eine NFL-Karriere. Er wird von Baltimore gedraftet und obwohl er eigentlich nur die Nummer drei der Ravens ist, hat er nach einer Verletzung von Starter Kyle Boller und einem überragenden Spiel gegen die Steelers den Starter-Posten sicher. Er ist die Zukunft.

Denken jedenfalls alle. Denn als er sich auf die Saison 2008 vorbereitet, stellen die Ärzte bei ihm eine seltene Form der Mandelentzündung fest. Die harmlos klingende Krankheit wirft ihn völlig aus der Bahn. Er kann nicht trainieren, muss zusehen, wie Rookie Joe Flacco das Ruder übernimmt - und nicht wieder abgibt. Smith kommt nur noch in sechs Spielen zum Zug - muss häufig sogar als Receiver auflaufen. 2009 bestreitet er magere vier Spiele.

Als die Ravens 2010 auch noch Marc Bulger als Flacco-Backup verpflichten, scheint die Karriere von Smith endgültig beendet. Die Ravens setzen ihn auf die Straße, kein anderes Team interessiert sich für ihn. Seine letzte Chance: die Practice Squad der 49ers.

Hart arbeiten und demütig bleiben

Smiths Hollywood-Geschichte driftet ab. Der einstige Hoffnungsträger ist nur noch Kanonenfutter für die Stars. Er ist abgeschrieben. Niemand hat ihn mehr auf der Rechnung.

Er selbst sieht darin allerdings eine Chance. Und er ist dankbar dafür. "Als Quarterback, als Spieler und als Mann muss man bescheiden bleiben. Egal was passiert: Ich glaube fest daran, dass gute Dinge passieren, wenn man hart arbeitet und sich in Demut übt", sagt er.

Und genau diese Einstellung ist es, die ihm am Ende vielleicht doch zum Happy End verhilft. Denn 49ers-Coach Singletary gefällt, was er sieht. "Seit Troy aus Baltimore zu uns kam, hat er sich immer weiter verbessert. Er hat einen guten Job gemacht", lobt er. Es ist einer der Gründe, warum er ihn zur Nummer 1 macht, als Stamm-Quarterback Alex Smith ausfällt.

Endlich das Happy End?

Das Ergebnis ist bekannt. Nach einem holprigen Start dreht Smith mit einer guten Leistung das wichtige Spiel seiner 49ers gegen die Denver Broncos. Und wird gefeiert. "Seine Geschichte hat uns Energie verliehen", sagt Teamkollege Takeo Spikes. Vielleicht ist es genau die Energie, die die 49ers nach dem verkorksten Saisonauftakt brauchen.

Singletary überlegt aktuell sogar, Smith auch nach der Genesung des eigentlichen Stamm-Quarterbacks weiter spielen zu lassen. Das klingt endlich nach Happy End.

Einziger Luxus: eine Pizza

Smith selbst lässt das allerdings kalt. Er bereitet sich genau so hart vor wie immer. Als er erfuhr, dass er gegen die Broncos starten wird, blieb er alleine im Hotelzimmer, während seine Teamkollegen die Sehenswürdigkeiten Londons besuchten.

"Meine Zuflucht", wiederholt er, als er mittlerweile in ein graues Sakko gehüllt die Umkleidekabine des Wembley Stadium verlässt. Ohne Sonnenbrille. Einziger Luxus: eine Pizza. Als er sie beim Rausgehen entgegennimmt, grinst er wieder. Wie ein kleiner Junge.

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