NBA

"Niemand gönnt Miami den Titel"

Von Interview: Haruka Gruber
Wayne Winston glaubt an den Titelgewinn der Dallas Mavericks
© spox

Neun Jahre arbeitete er als Analyst der Dallas Mavericks, jetzt ist er der Stats-Guru der NBA. Wayne Winston vor dem Beginn der Finals in der Nacht auf Mittwoch (2.45 Uhr im LIVE-TICKER) über Stimmungen, auffällige Korrelationen und überschätzte Miami Heat.

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Zahlen-Guru und Mavericks-Insider: Wayne Winston ist eine Koryphäe des Basketballs. Der von ihm mitentwickelte Indikator "angepasste Plus/Minus-Statistik" gehört zu den meist elaboriertesten der NBA.

2000 wurde Winston von seinem ehemaligen Studenten und heutigen Mavs-Besitzer Mark Cuban gefragt, ob er ihm nicht mit seinem Wissen helfen könne. Neun Jahre arbeitete Winston, Professor an der Indiana University, als Analyst für Dallas. Mittlerweile führt er ein in Fachkreisen viel beachtetes Blog über empirische Besonderheiten der NBA.

Hier geht's zu Wayne Winstons Blog!

SPOX: Sie sind bekannt dafür, die NBA auf Zahlen und Statistiken herunter zu brechen. Dennoch die Frage: Welche Stimmung herrscht in den USA vor den Finals?

Wayne Winston: Die Stimmung lässt sich einfach zusammenfassen: Niemand gönnt Miami den Titel. Außer den Bewohnern von Miami wird man niemanden finden, der sich freut, wenn die Heat gewinnen würden. Ich kenne wirklich niemanden, und ich habe Freunde, die in den ganzen USA verstreut leben. Jeder drückt Dirk und Dallas die Daumen. Es ist eine tolle Konstellation und die TV-Quoten werden großartig sein.

SPOX: Die Wettbüros in Las Vergas sind sich jedoch sicher, dass Miami gewinnt.

Winston: Las Vergas beziffert die Chancen für Dallas auf 35:65 Prozent. Aber das hängt auch damit zusammen, dass sich die Buchmacher von der öffentlichen Wahrnehmung mit beeinflussen lassen. Und gemeinhin gelten die Heat wegen ihren drei Stars als nahezu unschlagbar. Ich bin jedoch ganz anderer Meinung: Nach meinen Berechnungen hat Dallas in den Playoffs deutlich schwerere Gegner besiegt und ist trotzdem souveräner in die Finals eingezogen. Für mich stehen die Chancen der Mavs bei 65:35 Prozent.

SPOX: Spielt der Heimvorteil der Heat keine Rolle?

Winston: Überhaupt nicht. Das Publikum in Miami ist nicht gerade das beste, es ist aus meiner Sicht sogar wertlos gegen eine so auswärtsstarke Mannschaft wie Dallas. Die Mavs haben selbst in Oklahoma City beide Partien gewonnen - und die Fans der Thunder sind wirklich Angst einflößend. Ich gehe davon aus, dass Dallas eine der ersten beiden Partien in Miami gewinnt und die Serie mit 4-1 oder 4-2 für sich entscheidet. Und selbst wenn es zu einem Spiel 7 in Miami kommt, glaube ich an einen Mavs-Sieg.

SPOX: Alles nur wegen Dirk Nowitzki?

Winston: Nicht ausschließlich, aber vor allem wegen ihm. Endlich haben die Leute begriffen, wie gut er wirklich ist. Die Spinmoves, die Würfe, die er auf einem Fuß stehend und nach hinten abspringend trifft - unglaublich. Hinzu kommen seine gute Verteidigung und das clevere Verhalten beim Defensiv-Rebound. Dirk ist nach der "angepassten Plus/Minus-Statistik" (Erklärung links im Info-Kasten, Anm. d. Red.) mit einem Wert von +20 der mit Abstand beste Spieler der Playoffs. Wenn man ihn durch einen Durchschnittsspieler ersetzt, würden Dallas pro Spiel 20 Punkte abgehen. Nur zum Vergleich: Jason Terry und Jason Kidd zeigen ebenfalls gute Leistungen, aber sie stehen bei +11.

SPOX: Die wohl entscheidende Frage der Finals-Serie: Wer soll Nowitzki stoppen?

Winston: Der Ausgang der Finals hängt tatsächlich von dieser Frage ab. Aus der Starting Five der Heat kann ihn niemand verteidigen, selbst James nicht. In beiden Regular-Season-Spielen zwischen beiden Teams war Dirk fantastisch, zusammengerechnet kommt er auf einen Wert von +38. Das ist sensationell. Daher muss Dirk gedoppelt werden, was wiederum Platz für die Schützen schafft. Wenn die Mavs die freien Dreier treffen, ist es mehr als die halbe Miete.

Wer ist besser - Carlisle oder Spoelstra?

SPOX: Was ist mit Udonis Haslem?

Winston: Haslem konnte ihn in den Finals 2006 stoppen - aber seitdem hat sich einiges verändert. Einerseits fehlt Haslem nach seiner Verletzung noch die Konstanz, andererseits hat sich Dirk deutlich verbessert - und er bekommt mittlerweile als neuer Golden Boy der NBA auch die Fouls gepfiffen, die ihm damals noch verwehrt wurden.

SPOX: Andersherum gefragt: Hat Dallas eine Antwort auf LeBron James?

Winston: In den Finals schmerzt es noch mehr als zuvor, dass Caron Butler fehlt. Er erledigte in der Regular Season einen außerordentlich guten Job gegen James. Shawn Marion ist okay. Mit ihm auf dem Parkett leidet zwar das gesamte Scoring der Mavs, gegen die Thunder hat er aber Kevin Durant und phasenweise Russell Westbrook gut verteidigt. Mein Tipp wäre Corey Brewer. Rick Carlisle mag es wie alle anderen Trainer nicht besonders, einem neu verpflichteten und nicht besonders erfahrenen Spieler viele Minuten zu geben, weil es eine unbekannte Variable ist. Mit seiner Größe und Schnelligkeit sollte er aber wie gemacht für James und sogar Wade sein. Außerdem kann er im Vergleich zu DeShawn Stevenson auch punkten.

SPOX: Soll statt Stevenson lieber Brewer, der in den Playoffs erst 23 Minuten gespielt hat, gegen Wade auflaufen?

Winston: Stevensons größtes Problem: Er ist ein unterirdischer Shooter - aber nimmt unbeirrt dumme Würfe, die nie reingehen. Gegen die Thunder ging sich das noch aus, weil Oklahoma City noch dümmere Entscheidungen getroffen hat. Von daher traue ich dem kompletteren Brewer mehr zu. Vor allem, weil er sich auch mit um James kümmern könnte, während Kidd Wade verteidigt. Kidd hat bereits gegen Kobe Bryant bewiesen, dass er mit Shooting Guards zurechtkommt.

SPOX: Aber Kidd hatte gegen die Thunder Probleme, wenn die Guards hart zum Korb gezogen sind. Wie soll es erst gegen James und Wade werden?

Winston: In der Penetration Defense sind Kidd, Jason Terry und J.J. Barea furchtbar. Aber das wird nicht zu sehr ins Gewicht fallen, weil Tyson Chandler am Korb auf James und Wade wartet. Sie werden Respekt vor ihm haben, genauso wie vor ihnen schon Kobe. Wegen Chandler hat er sich fast ausschließlich auf Jumpshots verlassen und ist nur ganz selten zum Korb gezogen.

Finals-Splitter: Wade setzt mit dem Training aus

SPOX: Wenn Chandler jedoch als Help-Defender gefragt ist, wird Chris Bosh freistehen.

Winston: Deswegen wird es eine der wichtigsten Entscheidungen der Mavs sein, wie sie Dirk in der Verteidigung einsetzen. Wegen der möglichen Foulproblematik ist es zwar riskant, aber es bleibt nichts anderes übrig, als dass sich Dirk um Bosh kümmert. Es wird eine Heidenarbeit, dennoch kann er Bosh bei 15 bis 20 Punkten halten. Gegen die Lakers und Paul Gasol hat es bereits wunderbar geklappt. So müsste Chandler nur mit halbem Auge auf Miamis Center Joel Anthony achten, der ohnehin keine Gefahr darstellt, und kann sich darauf konzentrieren, die Mitte zuzumachen. Ich bin mir sicher: Wenn Chandler schon früher verpflichtet worden wäre, hätten die Mavs bereits zwei, drei Titel gewonnen.

SPOX: Welchen Einfluss werden die Bankspieler haben?

Winston: Einen gewaltigen. Einige werden jetzt den Kopf schütteln, dennoch bin ich der Ansicht, dass Miamis Defense hoffnungslos überschätzt ist und die Heat davon profitiert haben, dass die bisherigen Gegner so ungefährlich waren. Philadelphia sowieso, aber auch Boston und Chicago sind offensiv sehr leicht ausrechenbar. Dallas hingegen ist dank der Bank unglaublich variantenreich. Terry, Barea, vor allem aber Peja Stojakovic zieht mit seinem Dreier das Spielfeld in die Breite. Selbst wenn er nicht so hochprozentig trifft wie gegen die Thunder, darf er nicht alleine gelassen werden.

SPOX: Und die Heat-Bank?

Winston: Schwer zu sagen. Von James Jones habe ich eine hohe Meinung, mit seinem Dreier kann er wie Stojakovic einer Defense richtig wehtun. Aber gegen Chicago flog er aus der Rotation. Ob er verletzt war oder der Coach unzufrieden - man weiß es nicht so genau. Ähnlich schwer einzuschätzen sind Haslem und Mike Miller. Mal sind sie wertvoll, mal tauchen sie ab.

SPOX: Während Mavs-Coach Carlisle seine Rotation gefunden hat, experimentiert sein Gegenüber Erik Spoelstra noch immer. Ein Vorteil für Dallas?

Winston: Carlisle hat die richtigen Schlüsse aus der Regular Season gezogen und Lineups gefunden, die ausgezeichnet funktionieren. Bei einem knappen Ergebnis stehen am Ende immer Chandler, Dirk, Marion, Terry und Kidd auf dem Parkett - diese Fünf sind statistisch gesehen das beste Lineup der gesamten NBA. Wenn Dirk wiederum eine kurze Pause braucht, spielen Chandler, Marion, Stojakovic, Terry und Kidd. Auch das geht sich wunderbar aus. Das Einzige, was einem Sorgen bereitet, ist die Kombination Kidd/Barea: Sie ist die mit Abstand unproduktivste Formation der Mavs. Aber ansonsten spricht vieles für Dallas. Miami ist von James, Wade und Bosh abgesehen offensiv nicht besonders gefährlich. Und es fehlt bislang die Stabilität in der Rotation. Welche Rollenspieler werden die Stars ergänzen, wenn es gegen Dallas in die Entscheidung geht? Haslem? Miller? Anthony? Jones? Mike Bibby? Mario Chalmers? Es könnten einige Fragezeichen zuviel sein.

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