"Ray Allen kennt mich nur als Niels"

Von Interview: Haruka Gruber
Niels Giffey in der Saison: 15,6 Minuten, 4,3 Punkte, 1,8 Rebounds
© Imago

Er ist Deutscher, er hat Star-Potenzial, er spielt bei einem College-Titelkandidaten - dennoch ist Niels Giffey für viele ein Nobody. Noch. Denn bereits in seiner ersten Saison gehört er bei der hoch angesehenen University of Connecticut, kurz UConn genannt, zu den wichtigsten Rollenspielern.

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Seine 4,3 Punkte und 1,8 Rebounds in 15,6 Minuten mögen nicht beeindruckend klingen, doch Hall-of-Fame-Coach Jim Calhoun hält große Stücke auf den 19-jährigen Berliner. Mittlerweile spielt mit Center Enosch Wolf sogar ein zweiter Deutscher für die Huskies.

Bundestrainer Dirk Bauermann ist begeistert von Giffey: "Ich verfolge seine Entwicklung genau und schaue mir alle seine Spiele an, wenn sie im Internet übertragen werden. Es freut einen zu sehen, dass er als Freshman eine so große Rolle spielt", so Bauermann gegenüber SPOX.

Im Interview spricht Giffey über Plaudereien mit Ray Allen, die NBA und ein kurioses Vorbild.

SPOX: Vor drei Jahren wurden Sie vom Fachmagazin "FIVE" gefragt, wer Ihre Vorbilder seien. Sie antworteten: Magic Johnson, Julius "Dr. J" Erving und Norbert Stumpe. Wer ist Norbert Stumpe?

Niels Giffey: Basketball-Fans sollten sich keine Sorgen machen, man muss Norbert Stumpe nicht kennen. (lacht) Er war mein erster Jugendtrainer bei meinem Heimatverein BBV Berlin. Gemeinsam mit den damaligen Mitspielern wie Andreas Seiferth, der jetzt im Profi-Kader von Alba Berlin steht, haben wir vor einigen Jahren beschlossen, ihn zu ehren, indem wir immer seinen Namen nennen, wenn wir unsere Vorbilder nennen sollen. Norbert Stumpe ist eine Kultperson mit typisch Berliner Schnauze und einer unglaublichen Herzenswärme. Bei meinem letzten Spiel vor dem Wechsel zu Alba Berlin hat er geweint und mich dann in den Arm genommen, so sehr hat er mit uns gefühlt. Ein klasse Kerl.

SPOX: Sie sind daraufhin zu Alba gegangen, wo Sie sich einen Namen als eines der größten Basketball-Talente Deutschlands machten. Im Sommer jedoch entschieden Sie sich zum Wechsel nach Connecticut. Warum?

Giffey: Ich will bei Alba keinem auf den Schlips treten, aber mir fehlte die Weiterführung aus der Jugend in den Spitzenbasketball. Die Nachwuchsförderung ist überragend, aber anscheinend ist es in Berlin nicht möglich, angesichts des Leistungsdrucks und des Perfektionswillens von Trainer Luka Pavicevic, junge deutsche Spieler in die BBL-Mannschaft zu integrieren. Diese Gefahr sah ich auch bei mir. Als sich die Option mit dem College ergeben hat, musste ich nicht lange überlegen. Wer bekommt schon die Chance, ans andere Ende der Welt zu ziehen, eine neue Kultur kennenzulernen und all das mit Basketball zu verbinden?

SPOX: Sie hatten Angebote von anderen renommierten Universitäten wie UCLA, Michigan und Gonzaga, wo Elias Harris letztes Jahr für Aufsehen sorgte. Wieso bekam Connecticut den Zuschlag?

Giffey: Es gab viele Argumente. Erstens: Trainer Jim Calhoun, ein Hall-of-Fame-Coach, mehr muss man dazu nicht sagen. Zweitens: die Zusammensetzung der Mannschaft. Mit mir haben in dieser Saison fünf weitere Freshmen angefangen, daher dachte ich mir, dass die Eingewöhnung unter Schicksalsgenossen leichter verläuft. Drittens: Die Atmosphäre auf dem Campus ist wirklich verrückt, UConn ist eine richtige Basketball-Uni. Und viertens, was für mich vielleicht am wichtigsten war: Bei UConn werden traditionell sehr gute Flügelspieler ausgebildet. Diese Historie möchte ich fortsetzen.

SPOX: Unter anderem gelangen Ray Allen, Caron Butler und Rip Hamilton über UConn der Sprung in die NBA. Haben Sie sich im Sommer wie es in den USA üblich ist mit den zurückkehrenden Ex-Studenten auf die Saison vorbereiten können?

Giffey: Ray Allen kam vorbei und hat gemeinsam mit Donyell Marshall und Kevin Ollie, der seit dieser Saison Calhouns Co-Trainer ist, gegen uns gespielt. Allens Präsenz ist beeindruckend. Er ist der Paradebeispiel dafür, wie weit es jemand bringen kann, wenn man die fundamentalen Dinge beherrscht. Außerdem ist er super nett. Wir haben uns gemeinsam locker aufgewärmt, Witze gerissen und er fragte mich, wie es mir geht und ob ich hier gut behandelt werde. Aber ich habe keine Ahnung, ob er meinen Nachnamen weiß, er kennt mich wohl nur als der Niels aus Deutschland.

SPOX: Harris hat bei Gonzaga mit John Stockten und seiner Familie eine Anlaufstation, außerdem erkundigt sich auch Dirk Nowitzki gelegentlich nach seinem Befinden. Wer ist Ihre Bezugsperson?

Giffey: Kontakt zu Dirk habe ich leider nicht. Aber ich tausche mich gelegentlich mit Detlef Schrempf aus, den ich vor einiger Zeit bei einem internationalen Sichtungsturnier in den USA kennenlernte. Mit seinem Sohn Alex lief ich bereits für die Jugendnationalmannschaft auf. Ansonsten vermisse ich aber nichts, vor allem, weil sich der Trainerstab sehr um mich kümmert.

SPOX: Selbst Calhoun, der zu den bekanntesten, aber auch härtesten Basketball-Trainern überhaupt gehört?

Giffey: Auf dem Feld ist er hart, sein Tonfall ist schon ungewohnt für jemanden, der vorher nur das Training aus Deutschland kannte. Ansonsten ist er jedoch sehr bemüht. Ich merke, dass er mir zeigen will, dass er sich für mich interessiert und das Gespräch sucht, weil ich womöglich meine Familie und die alte Umgebung vermisse.

SPOX: Wie verlief abseits des Basketballs die Eingewöhnung?

Giffey: Sehr gut. Ich bin im Grundstudium und habe die erste Zeit genutzt, um zu sehen, in welche Richtung ich mich spezialisieren will. Es läuft wohl auf eine Kombination aus Business und Erdkunde hinaus. Vom Unterrichtsstoff her ist es okay, auch der Zeitaufwand hält sich im Rahmen. Das Niveau ist vergleichbar mit der Abiturphase. Was mir aber schon zu schaffen macht, ist die sprachliche Umstellung.

SPOX: Dabei war zu lesen, dass am College alle so begeistert seien von Ihrem fließenden Englisch.

Giffey: Na ja, dass muss man relativieren, für die Amerikaner ist es schon eine Sensation, wenn ein Ausländer auf jede Frage antworten kann. Im Unterricht merke ich aber, dass es vor allem nach einer Trainingseinheit schwierig ist, die Konzentration hochzuhalten und eine Vorlesung in einer anderen Sprache zu verfolgen. Da reicht das Schul-Englisch nicht immer aus.

SPOX: Wie läuft sonst das College-Leben? So, wie man es aus US-Komödien kennt?

Giffey: So ungefähr. In meinem Wohnheim ist es ruhig, aber in den etwas abgelegen liegenden Häusern der Studentenverbindungen geht es manchmal schon zu wie in einem Hollywood-Film. Da treffen die Klischees alle zu. Ich beobachte das amüsiert, aber ich halte mich natürlich zurück. (lacht)

SPOX: Was hat Sie in den ersten Wochen bei UConn am meisten beeindruckt?

Giffey: Diese Basketball-Begeisterung. Zu den Heimspielen kommen über 10.000 Zuschauer, das wäre in der BBL undenkbar, außerdem überträgt das Fernsehen manchmal landesweit live. In Berlin erkennt dich keiner, hier werde ich sogar nach Autogrammen gefragt. Ein ungewohntes, aber schönes Gefühl.

SPOX: Und basketballerisch?

Giffey: Im Grunde hat mich nichts so richtig überrascht. In den ersten Wochen fand ich die Athletik der meisten Mitspieler imponierend, mit der Zeit habe ich aber erkannt, dass ich genauso Alley-oops stopfen kann.

SPOX: Sie sind gar nicht der typische Shooter aus Europa?

Giffey: Ich sehe mich als typischen Allrounder. Ich verfüge über einen guten Wurf, kann zum Korb ziehen, den Gegner in der Defense rausnehmen. Wenn ich in den USA mit jemandem verglichen werde, dann immer mit Kyle Singler...

SPOX: ... dem College-Superstar von Duke?

Giffey: Der Vergleich freut mich, auch wenn ich anerkennen muss, dass er noch einen Schritt voraus ist. Er spielt einen Zacken aggressiver und ist in allen Facetten solider.

SPOX: Duke galt vor der Saison als Titel-Favorit, doch auch UConn gehört mit einer 11-1-Bilanz völlig überraschend zu den besten Teams der Saison. Ist die Championship möglich?

Giffey: Wenn wir einige Kleinigkeiten verbessern, kann was gehen. Ich bin ohne Erwartungen hier her gekommen, und dann fliegen wir auf einmal nach Hawaii zum Maui-Invitational-Turnier und besiegen dort erst Michigan State und Kentucky, obwohl sie zuvor viel höher eingestuft waren als wir. Kentucky haben wir im Finale regelrecht vernichtet, einfach mal so, das war schon geil. Spätestens dort wurde uns klar, dass wir um den Titel mitspielen.

SPOX: Gegen Kentucky gelangen Ihnen 14 Punkte, seitdem zeigt die Formkurve jedoch nach unten. Warum?

Giffey: Ich muss ganz offensichtlich an der Konstanz arbeiten. Gegen Kentucky 14 Punkte zu erzielen, ist das eine, gleich im Spiel darauf gegen eine kleine Uni wie New Hampshire nur 4 Zähler zu liefern, das andere. Dass ich deswegen aus der Starting Five auf die Bank gerutscht wurde, ist nicht verwunderlich, so ärgerlich es sein mag.

SPOX: Ein Muster an Beständigkeit ist hingegen Ihr Mitspieler Kemba Walker, der mit 26,9 Punkten der Topscorer der gesamten NCAA ist und als ein hoher Draft-Pick für 2011 gehandelt wird. Wie ist Ihr Verhältnis?

Giffey: Dass er das Herz und Hirn der Mannschaft ist und das gesamte Spiel bei uns lenkt, sieht jeder. Das heißt jedoch nicht, dass er den Star raushängen lässt, ganz im Gegenteil. Kemba ist ein total korrekter Typ und steht damit stellvertretend für das gesamte Team. In der Kabine sieht es so aus, wie man es erwartet: Die Hälfte der dunkelhäutigen Jungs ist schwer tätowiert mit Ghetto-Sprüchen wie "Work like a Slave, eat like a King", ich hingegen bin einer der ganz wenigen Weißen, der langweilige, untätowierte Weiße aus Deutschland eben. Dennoch sind alle herzenslieb zu mir, und Kemba macht da keine Ausnahme.

SPOX: Wie erleben Sie den Hype um Walker?

Giffey: Bereits in der Preseason saßen manchmal nur vier Leute auf den Zuschauerrängen in der Trainingshalle, alle mit dicken Blöcken vor sich. Dann kam der Coach zu uns und erklärte uns: 'Okay, heute sind die Grizzlies da, die Blazers, und und und...' Was mich jedoch beeindruckt: Wie Kemba mit all dem Trubel umgeht. Er ist der nette Junge geblieben und hat in der Kabine noch nie angefangen, über die NBA zu fantasieren und von irgendwelchen Luxus-Autos herumzuspinnen. Was das anbelangt, ist er mein Vorbild.

SPOX: Sind Sie zu UConn gegangen, um sich ebenfalls für die NBA anzubieten?

Giffey: Anfangs überhaupt nicht. Vor einem Jahr habe ich in Deutschland gesessen und nicht mal gewagt, an die NBA zu denken. Ich sah Tibor Pleiß oder Robin Benzing und fragte mich: Wie machen die das? Wie können die so gut sein, dass sich NBA-Teams mit ihnen beschäftigen? Und dann zieht man hier her - und merkt im Training, auch im Eins-gegen-eins mit Kemba, dass der Schritt nach ganz oben nicht unmöglich ist. Plötzlich kommt eine Legende wie Jim Calhoun zu mir und sagt, dass er mich in die NBA bringen will, weil ich das Potenzial mitbringen würde, sonst hätte er mich auch nicht geholt. Ich träume so oft von der NBA wie noch nie in meinem Leben.

SPOX: Und Sie trauen sich die NBA tatsächlich zu?

Giffey: Ja - aber das bedeutet nicht automatisch, dass ich durchdrehe. Die Worte vom Coach motivieren mich eher, noch härter zu arbeiten und auf dem richtigen Weg zu bleiben. Und mit Assistenzcoach Ollie habe ich ja den perfekten Lehrmeister. Er hat mir erzählt, dass er in seiner College-Karriere nie zweistellig gescort hat und deswegen auch nicht gedraftet wurde. Dass er sich aber dennoch in die NBA kämpfte und sich dort 13 Jahre hielt, weil er unglaublich viel geschuftet hat. So soll mein Weg auch aussehen.

SPOX: Und wenn Sie es in die NBA geschafft haben und von den US-Journalisten nach Ihren Vorbildern gefragt werden, antworten Sie: "Norbert Stumpe"?

Giffey: Natürlich!

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