Super-Ösis und "BLEDA WIND"

Von Alice Jo Tietje
Der Überraschungssieger strahlt und strahlt
© getty

Die 62. Vierschanzentournee ging mit einer Sensation zu Ende. Thomas Diethart sicherte sich überraschend den Gesamtsieg und sprang für seinen österreichischen Landsmann ein. Hingegen blieben die DSV-Adler unter den Erwartungen. Auch sonst schrieb die Traditionsveranstaltung mal wieder ihre eigene Geschichte, sei es mit einer neuen Technik oder eines umstrittenen Abbruchs. SPOX zeigt Euch die Tops und Flops.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Tops:

Wie Phoenix aus der Asche:

Es ist schon beeindruckend, was die Österreicher aufzubieten haben. Wenn Favorit Gregor Schlierenzauer weit abgeschlagen landet, holen eben andere die Kohlen aus dem Feuer. Allen voran Thomas Diethart mit seinem sensationellen Tournee-Sieg: Dem Nobody ist etwas gelungen, womit vor der Tournee keiner gerechnet hat.

Der 21-Jährige flog erst im Dezember in die Weltspitze, im ersten Springen in Oberstdorf kam er wie Phoenix aus der Asche. Platz drei hieß es am Ende. Die Zuschauer und auch Experten fragten sich: Wer ist dieser junge Ösi und hat er eine Chance auf die Tournee? Jene Frage beantwortete er in Garmisch-Partenkirchen eindrucksvoll: Nach dem Premieren-Erfolg im Weltcup war klar, dass man ihn zu den Favoriten zählen muss.

Diethart konnte die Gesamtwertung an sich reißen und sollte sie nicht mehr aus den Händen geben. Als hätte er nie etwas anderes gemacht, entschied er auch den ersten und zweiten Durchgang in Bischofshofen für sich: "Wenn mir das einer vor der Tournee prophezeit hätte, hätte ich darüber gelacht. Es ist ein Wahnsinn. Ich bin überwältigt", sagte Diethart.

Aber auch Thomas Morgenstern hat großen Anteil am tollen Ergebnis der Österreicher, die gleich vier Springer unter den Top 10 haben: Noch im Dezember stürzte er schwer und konnte trotzdem bei der Tournee den rot-weiß-roten Doppelsieg perfekt machen. Und das, obwohl der Triumphator von 2011 sich noch nicht mal die Bindung selbst zumachen konnte. Dabei war ihm stets ein Betreuer auf dem Sprungturm behilflich.

Oldies springen wie die jungen Götter:

Das Sprichwort Oldie but Goldie passt auf Noriaki Kaisai wie die Faust aufs Auge. Als er seinen ersten Weltcup 1989 absolvierte, war Diethart noch gar nicht auf der Welt. Zwar wartet er seit beinahe sieben Jahren auf einen Weltcup-Sieg, dennoch gehört der Japaner in dieser Saison konstant zu den besten Springern.

Auch bei Olympia will der Mann aus Shimokawa wieder seine Chance ergreifen und hat dabei ein schlichtes Erfolgsrezept: "Ich habe einen starken Willen. Ich verliere nicht gerne, auch wenn es mir in den vergangenen Jahren immer wieder passiert ist." Klingt doch einleuchtend. In seiner 25. Weltcup-Saison schaffte es Kasai jedenfalls auf Platz 5 der Tournee-Gesamtwertung. Und das mit 41 - einundvierzig - Jahren. Chapeau!

Noch nicht ganz so alt, aber ebenfalls schon lange dabei ist Simon Ammann. Mit 32 Lenze gehört der Schweizer auch zu den älteren Eisen im Springer-Zirkus, kann sich aber ebenso wie Kasai mit guten Leistungen empfehlen. Allerdings hat Ammann im Gegensatz schon fast alles gewonnen, wie zum Beispiel gleich vier Olympische Medaillen. Einzig der Tournee-Sieg fehlte dem Schweizer noch.

Diesmal war er erneut nah dran. Aber: Knapp vorbei ist eben auch daneben. "Du hast mir ein Schnippchen geschlagen", sagte er lächelnd zum siegreichen Österreicher, denn Ammann weiß nur allzu gut, "wie es ist, wenn man als Junger den Arrivierten den Sieg wegschnappt".

Lasershow:

Im Fernsehen können die Fans seit Jahren verfolgen, wo der nächste Springer landen muss, um sich an die Spitze zu setzen. Die Zuschauer vor Ort mussten sich hingegen bisher auf ihr Gefühl verlassen. Bei der diesjährigen Tournee kam es erstmals zur Revolution: Eine grüne Linie wurde mittels Beamer auf den Aufsprunghügel projiziert und zeigte dem Publikum, wie weit der Springer zu hüpfen hat. Gleichzeitig passt sich die Linie den Windverhältnissen an.

Eine neue Technik, die gut ankommt. "Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, dieses Hilfsmittel in Form einer Laserlinie auch direkt an die Schanze zu bringen, damit auch die Fans im Stadion davon profitieren", erklärte der zufriedene Renndirektor Walter Hofer.

Einzig Gregor Schlierenzauer zeigt sich noch skeptisch gegenüber der sogenannten "best-to-beat-Linie": "Es ist zu viel, was drumherum passiert", hatte der Österreicher erklärt. Fans und der Großteil der Athleten jedoch sind für die grüne Linie, die auch unter Umständen bei Olympia zum Zuge kommen könnte. Das überaus komplexe System wird so etwas transparenter.

Schmitts leiser, stilvoller Abschied:

Eine Ära, die stillvoll und doch so still zu Ende geht: Martin Schmitt wird wohl nicht mehr in den Weltcup-Zirkus der Skispringer zurückkehren, obwohl er bei der Tournee nochmal sein Bestes versuchte. Nach den ersten beiden Springen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen war die Vierschanzentournee für den 35-Jährigen beendet, da sich Werner Schuster entschieden hatte, Schmitt nicht weiter zu nominieren.

Doch es war alles andere als ein Abschied im Groll, denn er konnte die Entscheidung des Trainers nachvollziehen: "Ich kann ihm nur Danke sagen für seine Fairness und seine Aufopferung. Er ist ein großer Sportsmann", erklärte auch Schuster. Nach seinem letzten Sprung in Garmisch-Partenkirchen winkte der zweimalige Gesamtweltcup-Sieger noch einmal seinen Fans zu und blickte auf die Plakate der Zuschauer, die einfach "Danke Martin für die schöne Zeit" sagten.

Eine offizielle Rücktrittserklärung gab Schmitt bisher noch nicht ab, jedoch sieht alles nach einem stillen Abschied des früheren Shootingstars aus. "Es ist geplant, dass ich mich weiter im Skispringen einbringe. In welcher Form genau wird man sehen. Da brauche ich etwas Abstand."

Wir sagen: Danke Martin!

Flops:

Zwei Favoriten auf Abwegen:

Sie galten vor der Tournee als absolute Top-Favoriten und erlitten dann das gleiche Schicksal. Weder Kamil Stoch noch der zweimalige Tournee-Sieger Schlierenzauer hatten etwas mit dem Sieg zu tun. Ersterer, der als Weltcup-Führender anreiste, landete beim ersten Springen bereits weit entfernt auf Platz 13 und musste früh seine Hoffnungen begraben. Zwar lief es danach besser, doch am Ende reichte es für den Polen in der Gesamtwertung nur für Platz sieben.

Noch einen Platz dahinter landete Schlieri. Der Österreicher kämpfte mit Problemen in der Anlaufposition und suchte nach der richtigen Technik: "Es ist der Hund drin in meinem Gefühl. Der Schwerpunkt in der Hocke täuscht mich. Wenn der Absprung nicht passt, setzt sich das im Flug fort. Dann fehlen schnell ein paar Meter." Nur in Innsbruck konnte der 23-Jährige mit Rang vier am Podest schnuppern, fiel aber im Abschluss-Springen danach sogar auf Platz 18 ab.

DSV-Team fliegt hinterher:

Puh, was war das für eine zähe Tournee für die deutschen Hoffnungsträger! Mit Andreas Wellinger schaffte es am Ende gerade mal einer in die Top Ten. "Die Gesamtwertung sieht wirklich fürchterlich aus", musste Bundestrainer Schuster konstatieren. Mit fünf Podiumsplätzen durch vier verschiedene DSV-Athleten war das deutsche Team zur Tournee gereist und nicht nur die Fans, sondern auch die Springer hatten sich einiges ausgerechnet.

Am Ende kämpfte jeder mit seinen eigenen Problemen, abgesehen vom jungen Marinus Kraus blieben alle hinter ihren eigenen Erwartungen zurück. Gerade von Severin Freund hatte man sich mehr erhofft. Den DSV-Adlern fehlte es an Selbstvertrauen und Souveränität bei den Sprüngen. "Es ging immer aufwärts, und es geht auch weiter aufwärts. Nur dieser Trend konnte bei der Tournee nicht nachgewiesen werden. Und das ist bitter", stellte Schuster fest.

Im Hinblick auf die anstehenden Winterspiele in Sotschi kann den Fans etwas bange werden, sollten sich die Skispringer nicht schnell wieder berappeln können.

Die Punktrichter:

Früher wurden nahezu inflationär 20er-Wertungen verteilt, was mittlerweile zum Glück geändert wurde. Heute allerdings hat sich der Trend in die andere Richtung entwickelt: Es erscheint kaum noch möglich, den Punktrichtern ästhetisch zu genügen. Schon im letzten Jahr hatte sich unter anderem ÖSV-Cheftrainer Alexander Pointner fürchterlich über die Benotung aufgeregt, bei der 62. Auflage der Tournee lief es nicht viel besser.

So fragt sich beispielsweise: Was hätten Peter Prevc oder Thomas Diethart bei ihren Sprüngen in Bischofshofen noch machen müssen, um die perfekte Wertung zu bekommen?! Etwa den großartigen Telemark rückwärts setzen?! Als ob es nicht schon schwierig genug ist, einen solchen Satz an den Schanzenrekord zu stehen, meisterten beide die Herausforderung bravourös. Auch wenn Schönheit gewissermaßen im Auge des Betrachters liegt, würde wir Euch, liebe Punkterichter, darum bitten, uns doch mal vorzuzeigen, wie es "perfekt" auszusehen hat...

Vom Winde verweht:

Ja, Skispringen ist eine Freiluftsportart, bei der man mit schlechten Witterungsbedingungen umgehen muss. Doch der Föhn, der da durch Innsbruck wehte, hat es den Springern schon extrem schwer gemacht. Die Entscheidung der Jury, den Wettkampf nach 22 Springern im zweiten Durchgang abzubrechen, hat allerdings die Laune der Athleten und Verantwortlichen nicht gerade gehoben.

Bereits im ersten Durchgang hatte man mit den schweren Bedingungen zu kämpfen. Ein Wolfgang Loitzl, der die Tournee schon einmal gewinnen konnte, musste beispielsweise in der Luft richtig rudern, um gesund bei 70 Metern und auf dem 50. und letzten Platz zu landen. Er war bei weitem nicht der Einzige, der Grund zum Ärger hatte.

Die Jury begründete das vorzeitige Ende bei nur noch acht anstehenden Springern mit der anstehenden Dunkelheit und dem schlimmer werdenden Föhn. Allerdings ließ sich der Eindruck nicht verwehren, dass die Verantwortlichen Angst hatten, durch eine Fortführung des Durchgangs eine überraschende Wendung und eventuelle Entscheidung der Tournee hervorzurufen.

Die rund 22.000 Zuschauer an der Bergisel-Schanze zeigten ebenfalls großes Unverständnis und quittierten die Entscheidung mit Pfiffen. Freuen durfte sich immerhin Anssi Koivuranta: Bisher hatte der Finne noch nie auch nur einen Podestplatz erreicht, jetzt durfte er auf einmal seinen ersten Weltcup-Sieg feiern. Ähh, Glückwunsch?!

Am Schluss lässt es sich wohl am besten mit einem Schild der Fans sagen: "BLEDA WIND".

Die Gesamtwertung der 62. Vierschanzentournee

Artikel und Videos zum Thema