Kofler, Schlieri - oder doch ein Deutscher?

Von SPOX
Wer holt sich in diesem Winter den Tournee-Sieg?
© Getty

Am Freitag startet die 60. Vierschanzentournee in Oberstdorf mit ihrem ersten Springen (16.30 Uhr im LIVE-TICKER). Wer ist der stärkste Österreicher? Was ist für die Deutschen Richard Freitag und Severin Freund drin? Während der Quali am Donnerstag sorgte ausgerechnet Oldie Martin Schmitt für einen Hoffnungsschimmer. Und wie stark ist Simon Ammann noch? Drei Meinungen zur Tournee.

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Die Tournee aus Sicht Österreichs

von Christoph Nister, Redakteur bei Österreichs größtem Sportportal laola1.at

Ganze neun Jahre dauerte Österreichs Durststrecke bei der Vierschanzentournee nach Andreas Widhölzls Millenium-Erfolg, ehe Wolfgang Loitzl 2009 die leidgeprüfte rot-weiß-rote Seele mit seinem Sieg erlöste. Seither ist das Skisprung-Spektakel fest in ÖSV-Hand. Mit Andreas Kofler und Thomas Morgenstern zählen zwei, die den Geschmack des Sieges bereits kosten durften, erneut zum engsten Favoritenkreis. Speziell Kofler wirkt lockerer denn je und führt nicht von ungefähr den Gesamtweltcup an.

Doch aller guten Dinge sind bekanntlich drei und so tippe ich auf den dritten österreichischen Favoriten im Bunde, Gregor Schlierenzauer. Seit seinem kometenhaften Einstieg in den Springerzirkus Ende 2006 träumt er vom Tourneesieg. Mehrfach war er nahe dran, immer wieder scheiterte er knapp. Nun ist die Zeit reif. Auch, weil er mit dem Sturz in Engelberg eine Warnung zur rechten Zeit erhielt. Nichts wird einem geschenkt, nur mit hundertprozentiger Entschlossenheit, mentaler Stärke und höchster Konzentration kann man sich den Traum vom Sieg erfüllen.

Gepaart mit dem unbedingten Siegeswillen ist das Gesamtpaket Schlierenzauer meine persönliche Nummer eins. Von der internationalen Konkurrenz sehe ich den Norweger Anders Bardal, der mit seiner Konstanz besticht, als größten Herausforderer. Keinesfalls zu unterschätzen ist die deutsche Mannschaft. Zehn Jahre nach dem "Grand Slam" von Sven Hannawald zählen mit Severin Freund und Richard Freitag gleich zwei DSV-Springer zum Kreis der Sieganwärter.

Das Duo hat allerdings eine schwere Bürde zu tragen: Jene des Mitfavoriten. Während Kofler und Co. Jahr für Jahr die Gejagten sind, müssen Freund und Freitag erst noch in diese Rolle hineinwachsen.

Besonders vor Heimpublikum ist der Druck eine nicht zu unterschätzende Belastung. Ein heißer Kampf um den Sieg wäre im Sinne der deutsch-österreichischen Rivalität, die das Salz in der Suppe darstellt, wünschenswert, doch befinden sich beide Nationen (noch) nicht auf Augenhöhe. Ein Podestplatz ist für Freund und/oder Freitag möglich, der Sieg geht aber neuerlich nach Österreich.

Die Tournee aus Sicht der Schweiz

von Andreas Kopp, Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung

Nach dem Rücktritt Andreas Küttels muss Simon Ammann ohne seinen "ewigen" Team- und Trainingskollegen auskommen. Marco Grigoli und Gregor Deschwanden, die Nummern 2 und 3 im Schweizer Team, haben noch keinen einzigen Weltcup-Punkt gewonnen. Echte Leistungsvergleiche sind für Ammann im Training kaum mehr möglich. Swiss Ski wird erst nach den beiden Continental-Cup-Springen in Engelberg entscheiden, ob Grigoli und Deschwanden zur Vierschanzentournee reisen. Ihre Aufgabe würde auch darin bestehen, ein leistungsförderndes Klima für Ammann zu schaffen.

Der vierfache Olympiasieger kam bisher noch nicht auf Touren. Drei 9. Ränge sind die besten Klassierungen der Saison, einzig der allerletzte Wettkampfsprung bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg genügte hohen Ansprüchen. Es war ein Befreiungsschlag in extremis.

Trotzdem scheinen die Chancen gering, dass Ammann bei seiner vielleicht letzten Teilnahme die Vierschanzentournee doch noch gewinnt. Dreimal fuhr er als Weltcup-Führender zur Tournee und scheiterte, nun ist er Weltcup-Elfter. Wieso sollte es ausgerechnet diesmal klappen? Ammann stieß zwischen Oberstdorf und Bischofshofen mehr als einmal an seine körperlichen Grenzen, als Außenseiter steht er nun weniger im Fokus und kann sich etwas mehr Ruhe gönnen.

Genau das wird für die beiden Deutschen Severin Freund und Richard Freitag in den Heim-Springen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen nicht der Fall sein. Gelingt es ihnen, den Druck in positive Energie umzuwandeln, ist der erste Tournee-Tagessieg eines Deutschen seit neun Jahren möglich. Mehr aber noch nicht.

Andreas Kofler gewann vier der bisherigen sieben Springen und liegt im Weltcup klar vorne. Zwei weitere Punkte erheben Kofler zum Topfavoriten: Der Tiroler weiß seit der Saison 2009/10, wie man die Tournee gewinnt und einen Vorsprung verwaltet, zudem hat er die Tage des Schreckens von Harrachov, wo er mehrmals fast gestürzt wäre, ohne mentalen Schaden überstanden. Das war auch schon anders.

Die Tournee aus deutscher Sicht

von SPOX-Redakteur Daniel Börlein

Die klassische Wintersport-Nation ist Deutschland nicht unbedingt. Es gibt zwar viele Disziplinen, in denen deutsche Athleten zur Weltspitze gehören. Den Stellenwert, den der Wintersport in Norwegen, Finnland oder Österreich besitzt, hat er hierzulande aber nicht. Die Deutschen lieben eben ihren Fußball über alles.

Vor zehn Jahren allerdings war ein deutscher Wintersportler der Liebling der ganzen Nation. Damals saßen rund 15 Millionen Menschen vor den Fernsehgeräten und brüllten Sven Hannawald zum Grand Slam bei der Vierschanzentournee. Alle vier Springen der Tournee zu gewinnen, hatte vorher noch niemand geschafft, danach auch nicht und - keine Sorge, Hanni - es wird auch in diesem Jahr keiner schaffen.

Stattdessen wird die Tournee dieses Mal bis zum letzten Springen, vielleicht sogar bis zum letzten Springer spannend bleiben. Die Top-Favoriten auf den Gesamtsieg kommen einmal mehr aus Österreich. Andreas Kofler, vier Siege in sieben Wettkämpfen, ist in diesem Winter bislang die Nummer eins - und schon deshalb ein ganz heißer Tipp auf den Titel.

Dass das aber nichts heißen muss, bewies in den letzten Jahren Gregor Schlierenzauer. Österreichs Superstar wartet, obwohl mit mehr Talent als alle anderen ausgestattet, noch immer auf seinen ersten Gesamt-Triumph. Und wenn er bei der Tournee nicht noch eine Schippe drauflegen kann, wartet er auch mindestens noch ein weiteres Jahr. Doch mit Thomas Morgenstern hat der ÖSV noch ein weiteres heißes Eisen im Feuer.

Nach langer Zeit wird auch das deutsche Team mal wieder ein Wörtchen mitreden, wenn es um den Gesamtsieg geht - dank Severin Freund und Richard Freitag. Derart im Fokus standen beide noch nie.

Zum Problem wird das allerdings nicht werden, denn Freund und Freitag sind gut und cool. Für andere Springer (Bardal, Ito, Stoch, Ammann) wird es mit einem Platz auf dem Podium schwer werden. Denn unter den ersten drei sind am Ende ein Österreicher und ein Deutscher. Mindestens.

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