Das Comeback des Ex-Supertalents

Von Für SPOX in Hamburg: Ingo Rohrbach
Wollen noch mal gemeinsam ganz oben angreifen: Jürgen Brähmer mit Coach Michael Timm (l.)
© Getty

Eine Weltkarriere scheiterte an Skandalen und Verletzungen. Doch nach unzähligen Rückschlägen versucht Jürgen Brähmer den Neuanfang - mit voller "Gewalt". Im Gespräch mit SPOX äußert sich der ehemalige WBO-Weltmeister im Halbschwergewicht über sein Comeback nach fast zwei Jahren Abstinenz, die erhoffte Rückkehr in die Weltspitze und einen möglich WM-Fight in naher Zukunft. Trainer Michael Timm traut seinem Schützling noch einiges zu.

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SPOX: Jürgen, vor 21 Monaten standen Sie zum letzten Mal im Ring. Hat bei Ihnen schon ein wenig Ringrost angesetzt?

Jürgen Brähmer: (lacht) Das ist gut beschrieben: "Ringrost". Ein wenig, aber am Training gibt es nichts auszusetzen. Beim Sparring musste ich definitiv am Timing arbeiten. Da wollte ich zu viel, zu schnell, mit Gewalt. Da sah man, dass ich ein paar Monate nicht im Ring stand.

SPOX: Wie ist Ihr Eindruck, Michael?

Michael Timm: Das Training ist bisher gut gelaufen. Ich bin sehr zufrieden mit Jürgen. Was mir noch nicht gefällt, ist, dass ich schon gemerkt habe, dass er schon ein wenig Ringrost angesetzt hat. Das Boxen ist ein bisschen abhanden gekommen. Es wird höchste Zeit, dass er wieder in den Ring kommt und möglichst schnell hintereinander ein paar Kämpfe absolviert.

SPOX: Jürgen, Sie wurden als Riesentalent in Deutschland gehandelt. Sie haben viel erreicht und waren Weltmeister, aber seit einiger Zeit befinden Sie sich auf einer Durststrecke - haben auf unglückliche Weise den Titel verloren sowie den Boxstall, keinen Fernsehvertrag usw. Wie bewerten Sie das? Ein bisschen verschwendete Zeit?

Brähmer: Die Situation zu bewerten, ist relativ schwer, weil man selber damit zu tun hatte. Der Markt ist da. Ich glaube auch, wir als Sportler haben wenig Einfluss darauf, ob der Vertrag verlängert wird oder nicht. Das hatte andere Gründe, aber über diese möchte ich in der Öffentlichkeit nicht reden.

SPOX: Michael, wie bewerten Sie Jürgens momentane Situation und seine bisherige Karriere? Wäre sogar mehr drin gewesen?

Timm: Ich muss ganz ehrlich sagen, es wäre bedeutend mehr drin gewesen. Woran es letztendlich gescheitert ist, dass er in den letzten 2 Jahren nicht geboxt hat und seinen Titel verteidigen konnte, das wissen wir: es lag daran, dass er oft verletzt war und von Krankheiten zurückgeworfen wurde. Dass er dann den Titel verloren hat, hat ihn nicht weiter deprimiert - im Gegenteil: Er möchte unbedingt noch mal Weltmeister werden. Deshalb zieht er das harte Training jetzt durch, um sein Ziel zu erreichen. Aber man muss natürlich eingestehen, dass viele Jahre vergangen sind, in denen er viel verschenkt hat. Zum Beispiel die Zeit, die er im Gefängnis verbracht hat.

SPOX: Michael, Sie sind der Ziehvater der ersten Stunde von Jürgen Brähmer. Es gibt die Beziehung Fritz Sdunek und Vitali Klitschko. Vitali sagt stets zu Fritz, dass er ihm Bescheid geben soll, wenn es nicht mehr so gut läuft. Würden Sie das Ihrem Schützling auch sagen?

Timm: Das würde ich jedem meiner Sportler raten. Da passe ich auf. Ich habe schon genug Opfer gesehen. Dafür sind wir als Trainer zu sehr in der Verantwortung. Wir müssen die Sportler auch schützen. Ich würde das Jürgen in jedem Fall zum richtigen Zeitpunkt sagen.

SPOX: Aber bei Jürgen es ist noch nicht soweit?

Timm: Nein, soweit ist er noch nicht. Wir müssen jetzt natürlich den Kampf abwarten. Ich kann aber sagen, dass er sich stets gesteigert hat in der Vorbereitung. Ich hoffe natürlich, dass er das in den Ring mitnehmen kann. Sollte er das schaffen, werde ich ihm in jedem Fall noch nicht zum Aufhören raten.

SPOX: Was steckt noch in Ihnen, Jürgen? Können Sie noch mal Weltmeister werden, auch wenn Sie schon etwas älter geworden sind?

Brähmer: "Älter" hört sich jetzt schon komisch an. Ich muss sagen, ich bin nicht der Typ, der sich kaputt gearbeitet hat, dementsprechend habe ich noch genug Energie. Ich fühle mich sehr wohl. Um wieder an die frühere Leistungen anzuknüpfen, war für mich eine andere Sache wichtig - nämlich meine vertragliche Situation. Diese Situation war schwierig. Aber diese Probleme wurden alle geklärt und jetzt kann ich mich wieder vollkommen auf den Sport konzentrieren. Mir macht das Boxen einfach riesig Spaß, daher war es mir wichtig, all die nebensächlichen Dinge zu klären. Ich möchte definitiv noch mal nach ganz oben.

SPOX: Was haben Sie noch im Tank?

Brähmer: Ich glaube, ich habe noch einiges im Tank! Die Trainingsleistungen bestätigen das. Man merkt natürlich, dass noch viel Luft nach oben ist. Aber ich sage immer, erst wenn man merkt, es geht nichts mehr voran, sollte man aufhören. Und bei mir geht noch einiges voran. Selbst in den letzten Trainingswochen habe ich immer wieder gemerkt, dass ich mich stets verbessere.

SPOX: Sehen Sie das genauso, Michael? Hat Jürgen noch das Zeug dazu, oben anzugreifen?

Timm: Er ist definitiv nicht mehr der Jürgen Brähmer, den wir 1999 unter Vertrag genommen haben. Das ist ganz klar und auch ganz normal. Wir werden alle älter und auch Jürgen weiß das. Man merkt, dass es dann nicht mehr so klapp, wie mit 20. Dann kommt natürlich dazu, dass er zwar fleißiger ist und sich alles erarbeiten will, aber dann steht das große Muss dahinter - es muss laufen, ich will unbedingt. Da wird der Druck automatisch größer. Man versucht, es so hinzubekommen, wie man es mal gemacht hat, aber das klappt natürlich nicht immer. Es ist bedeutend schwieriger geworden und es läuft nicht mehr so, wie mit 20 beim Jürgen.

SPOX: Aber trotzdem läuft es noch gut?

Timm: Es läuft auf jeden Fall noch so gut, dass ich sagen kann, wir können es schaffen, noch mal Weltmeister zu werden.

SPOX: Am 28. Januar steigt in Hamburg Dein Comeback-Kampf. Wie schätzen Sie Ihren kommenden Gegner ein, Jürgen? Der Spanier Jose Maria Guerrero ist relativ groß. Wie sehen Sie Ihre Chancen?

Brähmer: Ich rechne mir gute Chancen aus. Ich vergleiche ihn ein bisschen mit Mario Veit. Er hat die körperliche Größe, ist zwar nicht ganz so schnell wie er, aber er hat enorme Beweglichkeit im Oberkörper. Ich glaube, es wird eine interessante Aufgabe. Ich freue mich richtig auf die Herausforderung.

SPOX: Denken Sie, dass Sie durch K.O. gewinnen werden?

Brähmer: Ich gebe keine K.O.-Prognosen ab. Aber ich will natürlich versuchen, den Gegner zu beherrschen. Sollte das klappen, kommt der Rest von allein. Wichtig ist mir natürlich, wieder die Boxatmosphäre zu spüren.

SPOX: Sie sind jetzt wieder der Hauptfight. Spüren Sie einen speziellen Druck?

Brähmer: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube auch nicht, dass ich der Hauptfight bin. Es kämpfen so viele gute Namen bei dem Event (u. a. Ruslan Chagaev, d. Red.). Ich denke nicht, dass ich da besonders im Mittelpunkt stehe. Daher verspüre ich auch keinen Druck.

SPOX: Wie sieht es nach dem Kampf aus? Sollten Sie erfolgreich sein - wann boxen Sie wieder um den Weltmeistertitel? Sehen wir Sie noch mal als Weltmeister?

Brähmer: Das ist mein ganz großes Ziel. Sonst würde ich hier nicht stehen. Das motiviert mich. Die Gewichtsklasse ist zwar eine ganz starke, aber das sind die meisten. Ich freue mich auf die interessanten Aufgaben. Wenn alles gut läuft, hoffe ich, vielleicht schon gegen Ende des Jahres wieder um den Weltmeistertitel zu boxen.

SPOX: Wie Jürgen schon sagt, das Halbschwergewicht ist eine harte Klasse. Trauen Sie ihm zu, noch mal Weltmeister zu werden?

Timm: Das traue ich ihm ernsthaft zu. Aber nur wenn wir die Möglichkeit bekommen, bis dahin noch mindestens drei Kämpfe machen zu können. Er muss die Ringsicherheit wieder bekommen, das Feeling für den Wettkampf. Denn zwischen Training und Wettkampf liegt immer noch ein himmelweiter Unterschied. Sollte das alles passen, bin ich fest davon überzeugt, dass er auch Nathan Cleverly und einige Andere schlagen kann.

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