Cunningham: "Ali hat echt viel vermasselt"

Von Interview: Florian Bogner
Steve Cunningham verlor im Dezember 2008 den IBF-Gürtel gegen Tomasz Adamek
© Getty

Am Samstag steigt Steve Cunningham gegen Troy Ross in den Ring. 2007 erkämpfte sich der Amerikaner den IBF-Gürtel im Cruisergewicht, schlug anschließend Marco Huck und verlor den Titel an Tomasz Adamek. Nach dem Wechsel zum Sauerland-Boxstall will der 33-Jährige neu durchstarten.

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Im Interview mit SPOX spricht Cunningham über harte Lehrjahre in den Straßen von Philadelphia, die Vorzüge eines deutschen Boxstalls und Donald Duck. Außerdem erklärt er, warum Muhammad Ali als Vorbild nur bedingt taugt.

SPOX: Steve Cunningham, simple Einstiegsfrage: Wie sind Sie zum Boxen gekommen?

Steve Cunningham: Wissen Sie, kämpfen kann jeder. Ich bin in Philadelphia aufgewachsen. Zuerst war ich der Neue, the new kid on the block. Als Jugendlicher musste ich mir Respekt durch Kämpfen verdienen. Faustkämpfe, auf der Straße. All about the fist. Heute knallen sich die Leute gegenseitig ab, doch damals ging es noch Mann gegen Mann. Wer ist der Stärkere? In den Straßen Philadelphias liegt viel Talent. Meldrick Taylor, Saad Muhammad, Bernard Hopkins - die Stadt hat viele Boxer groß gemacht. Es liegt ihr im Blut.

SPOX: Philadelphia, Boxen - da ist man schnell bei Rocky Balboa.

Cunningham: Wollen Sie wissen, was ich über Rocky Balboa denke?

SPOX: Ja, bitte.

Cunningham: Sicher, die Rocky-Filme haben viel für Philadelphia getan. Wegen Rocky kommen Touristen in die Stadt. Wegen Rocky kennt jeder die Treppe zum Kunstmuseum. Die gehört übrigens auch zu meiner Laufrunde, wenn ich in Philly trainiere...

SPOX: Wirklich? Und wenn Sie die Stufen hoch rennen, haben Sie dann den Rocky-Soundtrack im Ohr?

Cunningham: (lacht) No, no. Die Sache ist die: Wir haben unsere echten Schwergewichts-Weltmeister in Philadelphia. Wir haben Joe Frazier und andere echte Champions. Rocky ist nur Fiktion.

SPOX: Sie sind nach der Highschool direkt zur Navy gegangen. Wollten Sie damals schon Boxer werden?

Cunningham: Vor der Navy habe ich vielleicht einmal eine Boxhalle betreten. Ich habe vorher ausschließlich auf der Straße gekämpft. Als ich dann mit 18 zur Navy kam, hatte ich endlich auch die Möglichkeit zu trainieren. Ich wollte boxen - aber ich wusste vorher gar nicht, was es bedeutet.

SPOX: Als sie bei der Navy durchstarteten, wussten Sie es.

Cunningham: Schon nach einem Jahr bei der Navy hatte ich meinen ersten Amateurkampf - und schlug gleich den Navy-Champion im Leichtgewicht. Ich dachte: Wow, I can do this.

SPOX: Als Sie im Jahr 2000 dann ins Profi-Lager wechselten, lieferten sie gleich beeindruckende elf Kämpfe in elf Monaten ab. Wie kam es dazu?

Cunningham: Ich habe meine Profi-Karriere bei einem Promoter begonnen, der ganz neu im Geschäft war. Eine kleine Klitsche in Chicago, die damals noch kein Geld verdient hat. Es ging nur ums Kämpfen. Bang, Boom, Boom. Ich sah Kämpfer im Fernsehen, die ich als Amateur geschlagen hatte. Ich boxte aber immer noch in Turnhallen. Ich wollte auch ins Fernsehen! Und nach einem Jahr stand ich bei 11-0 und wurde Don King vorgestellt.

SPOX: Ein schräger Vogel.

Cunningham: (lacht) Absolut. Er ist wirklich verrückt, aber gleichzeitig auch ein verdammt intelligenter Geschäftsmann. Intelligent auf seine Art. Er macht alles im Don-King-Style, er dreht sich die Dinge so hin, dass er am meisten Profit daraus schöpft. Deswegen ist er so erfolgreich - obwohl er vielleicht auch manchmal zum Nachteil des Boxers handelt. Ich sage jedem Boxer: Nimm' dir einen Anwalt! Für Don Kings Boxer gilt das ganz besonders.

SPOX: Klingt nicht wirklich überzeugt.

Cunningham: Ich werde nicht schlecht über Don King reden. Die Bibel gibt mir vor, jeden Menschen zu achten. Wissen Sie, Gott hat diesen Weg aus einem bestimmen Grund für mich ausgewählt.

SPOX: Und Don King Ihren Weg kreuzen lassen.

Cunningham: Exactly. Ich habe meine Fights bekommen, auch wenn ich gerne mehr gehabt hätte. Eins kann ich über Mr. King mit Sicherheit sagen: Wenn Du für ihn kämpfst, dann sind das immer sehr bedeutsame Kämpfe.

SPOX: Seit kurzem sind Sie nun beim Sauerland-Boxstall. Über Ihren Wechsel sagten Sie: Es ist riskant, aber schlau. Erklären Sie das.

Cunningham: Es ist doch so: Als Boxer unterschreibt man bei einem Promoter, aber eigentlich ist da eine Firma dahinter. Eine Firma mit Anwälten. Und der Boxer selbst ist eigentlich auch eine Firma, eine Ich-AG, die auch einen eigenen Anwalt braucht. Man bekommt soviel Papierkram, den man nicht versteht. Ich verstehe manche Passagen auch nach zehn Jahren im Geschäft immer noch nicht. Was wollen die von mir? Die Frage ist am Ende die: Passen die Ziele des Promoters zu meinen eigenen Zielen? Und bei Sauerland sehe ich großartige Perspektiven.

SPOX: Warum?

Cunningham: Wir haben etwas, was sie wollen: Einen guten Kämpfer auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Sie haben etwas, was wir wollen: Eine Fanbasis, Kämpfe und einen TV-Vertrag. Außerdem hat mich beeindruckt, wie respektvoll und anständig Sauerland mich von Anfang an behandelt hat.

SPOX: Gab es in den USA abfällige Stimmen über Ihren Wechsel?

Cunningham: Nicht eine einzige. Sauerland ist in den USA sehr angesehen. Ein Beispiel: Jeder hat gesehen, wie ich Sauerlands Marco Huck 2007 geschlagen habe. Verstehen Sie mich nicht falsch, Huck ist ein guter Kämpfer. Aber obwohl ich ihn besiegt habe, hat Huck danach mindestens acht weitere Fights bekommen und ich nur zwei. Sauerland agiert sehr schlau und vor allem immer im Interesse des Boxers.

SPOX: Was mögen Sie an Deutschland in Bezug auf Boxen?

Cunningham: Den Respekt der Fans. In Amerika gibt es nur einen Sender und nur eine Handvoll Boxer, die im Fernsehen zu sehen sind: de la Hoya, Mayweather, Mosley, Hopkins - that's it. In den USA zählt nur, was man im Fernsehen sieht. Dazu hat Cruisergewicht echt einen miesen Stand. 'Du kämpfst Cruisergewicht? Was ist das?' Hier ist das anders. Es geht hier nicht um Namen oder Gewichtsklassen. Wenn du ein guter Boxer bist, dann jubeln dir die Menschen zu. Die Leute respektieren, was du tust - wenn du gut bist.

SPOX: Am Wochenende boxen Sie gegen Troy Amos-Ross um den IBF-Titel. Ein Kämpfer, der zuletzt mit einer Reality-Boxshow, einer eigenen Modeline und zahlreichen Hollywood-Auftritten für Aufsehen sorgte. Ist der überhaupt ernst zu nehmen?

Cunningham: Er war zweimal bei Olympia. Er hat die Reality-Show 'The Contender' gewonnen. Das muss man auch erstmal schaffen. Ich nehme jeden Gegner ernst. Wenn ich gegen Donald Duck kämpfen müsste, würde ich auch Donald Duck ernst nehmen.

SPOX: Klingt sehr bodenständig - für einen Boxer.

Cunningham: In erster Linie will ein guter Christ sein. Zweitens ist es für einen Afroamerikaner, der aus Philly kommt, nicht leicht, sich gegenüber allen Vorurteilen zu behaupten. Die Welt sieht einen Schwarzen und denkt sofort an Hip-Hop, Goldzähne, Baggy-Pants und Bling-Bling. Aber das trifft vielleicht auf ein Prozent von uns zu. Es ist mein Job, der Welt zu zeigen, dass nicht alle Afroamerikaner so ticken. Das ist doch alles nur Gehabe und Image und wird teilweise nur dazu verwendet, uns schlecht aussehen zu lassen.

SPOX: Kein schlechter Ansatz.

Cunningham: Für mich geht es darum, nicht nur intelligent zu sein, sondern auch dementsprechend zu handeln. Mit der Navy die Welt bereist zu haben, hat meine Sicht auf die Welt entscheidend verändert. Vorher kannte ich nur die schmutzigen Straßen von Philadelphia, Schießereien auf der Straße, den ganzen Drogen-Mist. Und plötzlich nahm mich die Navy mit nach Griechenland, nach Italien, raus in die Welt.

SPOX: Sind wir am Beginn einer neuen Ära im Boxsport? Die Großmäuler verschwinden und die verantwortungsvollen, ruhigeren Boxer - siehe Klitschkos - treten auf?

Cunningham: Ich weiß nicht, ob das eine neue Ära ist. Ich verstehe nach wie vor jeden, der es anders handhabt. Ich betreibe vor einem Kampf keinen Trash-Talk, weil ich ihn nicht brauche. Meine Faust macht den Trash-Talk im Ring. Aber nehmen wir Floyd Mayweather: Er hat echt ein Problem mit seinem Trash-Talk. Aber: Wenn er was sagt, kommt im Ring auch immer etwas hinterher. Viele wollen auch einfach nur Muhammad Ali imitieren. (lacht) Ali hat echt viel vermasselt in dieser Richtung. Es gibt nur einen Ali, aber 100 Boxer, die ihn nachäffen.

SPOX: Hand aufs Herz - wen wollen Sie in Ihrer Karriere noch boxen?

Cunningham: Gegen wen ich eines Tages gerne mal kämpfen würde? (Pause) Puh, ich würde wirklich gerne mal gegen einen der Klitschkos boxen. Das wäre Wahnsinn.

SPOX: Die Jungs sind groß.

Cunningham: (lacht) Das ist das Problem - ihre schiere Größe und wie sie ihren Größenvorteil im Ring gnadenlos ausspielen. Sie kämpfen sehr intelligent, nutzen ihren Raumvorteil, die Länge ihrer Arme. Aber das wäre für mich die größte Herausforderung meines Lebens, an diesen Armen vorbei und durch ihre Deckung zu kommen.

SPOX: Ihre vierjährige Tochter Kennedy steht bereits seit Ihrer Geburt vor einer großen Herausforderung - sie wurde mit dem Hypoplastischen Linksherz-Syndrom (HLHS) geboren.

Cunningham: Meine kleine Kennedy wurde mit einem Herzfehler geboren, den man nur mit drei komplizierten Operationen korrigieren kann. Kennedy hat bereits zwei hinter sich. Wir warten derzeit auf die dritte, die am ungefährlichsten sein soll. Sie schlägt sich wirklich gut, ist der Mittelpunkt der Familie. Sie würde am liebsten den ganzen Tag tanzen. Wir sagen immer: Sie ist der wahre Champion in unserer Familie. Denn sie bekämpft einen Gegner, der unsichtbar ist.

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