"Hätte gerne die Scheiße rausgespielt"

Von Aufgezeichnet von: Haruka Gruber
Erlebte eine auch aus persönlicher Sicht enttäuschende EM: Per Günther
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Die deutschen Basketballer stellen sich nicht der Kritik? Von wegen! Per Günther, der auch aus persönlicher Sicht ein enttäuschendes Turnier erlebte, spricht nach der EM vor den anwesenden Journalisten Klartext und bezieht Stellung - vor allem gegen den bemutternden DBB und die Kommunikationsstrategie von Bundestrainer Frank Menz.

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Frage: Was war entscheidend dafür, nach dem Vorrunden-Aus zum Abschluss gegen Israel zu gewinnen?

Per Günther: Es war die Leichtigkeit, wodurch alles in Spaß, Energie und Spielfreude umschlägt. Ich glaube, unterbewusst war Druck, Anspannung da. Wenn man sich die fünf Spiele anschaut, waren wir in den beiden Spielen am besten, in denen wir keine Belastung hatten. So wie gegen Frankreich. Es ist eine Tendenz zu erkennen. Es war eine Beklemmung da. Heute gegen Israel war es scheißegal. Heute ging es um die Goldene Ananas. Dass wir Basketball spielen können, das weiß man. Manchmal trifft man ein paar Dreier und dann fühlt man sich wieder gut.

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Frage: Als fatal erwiesen sich immer wieder die zweiten Viertel, in denen Deutschland einbrach. Woran lag es?

Günther: Wir haben immer drei Viertel gewonnen, dafür das zweite Viertel immer deutlich verloren. Es hat etwas mit der Breite des Kaders zu tun. Wir haben es nicht geschafft, die erste Fünf mit Heiko, Lucca, Niels, Robin und Tibor gut genug von der Bank zu unterstützen. Wir waren zu abhängig von ein, zwei Spielern. Dann ist es natürlich schwierig bei einem Programm mit 5 Spielen in 6 Tagen, wenn nicht alle auf der Höhe sind und nur drei, vier Spieler im vollen Rhythmus sind.

Frage: Vor allem die extreme Abhängigkeit von Heiko Schaffartzik wird jetzt in der Nachlese aufgearbeitet. Wie stehen Sie zur Hierarchie-Debatte? Bei "Buschi.TV" gab der Bundestrainer offen zu, dass Schaffartzik die gesamte Mannschaft nach oben, aber auch nach unten mitzieht.

Günther: Erstmal ist es ein Fakt, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Heiko ist ein absoluter Charakter und in der jungen Mannschaft der Kopf - mit allem, was dazugehört. Er ist so wichtig: menschlich, basketballerisch, taktisch. Er macht alles. Nicht, weil er es unbedingt möchte und alles an sich reißt. Sondern weil es zwischendurch Phasen gab, in denen kein anderer ihm helfen konnte. Sicherlich trudelt man als Mannschaft manchmal in eine Situation rein, in dem es zu viel wird. Die Lösung kann nur sein, dass wir als Mitspieler ihm helfen, statt zu sagen: "Heiko, mach mal weniger." Die Intention bei Heiko ist immer, dass er jedes Spiel gewinnen will. Und das ist eine sehr ehrliche Intention, deswegen gibt es unter uns Spielern diese Debatte nicht. Wenn wir Videoanalysen machen, sehen wir, dass Heiko verteidigt, wirft, alles macht. Sicherlich schnauzt er mal einen an oder manchmal hat ein Mitspieler das Gefühl, dass sich Heiko im Ton vergriffen hat. Aber das ist immer in einer ehrlichen, in keiner bösartigen Art. Wenn man weiß, dass Heiko alles dafür tut, um zu gewinnen, dann ist das beim Anführer so. Dann mault Heiko einen an, weil man nicht schnell genug läuft, aber das gehört dazu. Das muss er als Anführer machen.

Frage: Warum haben Sie Schaffartzik nicht mehr geholfen?

Günther: Ich habe gehofft, dass ich ihm helfen kann, aber ich habe es nicht geschafft. Wenn man selbst nicht gut spielt, bist du in deinem eigenen kleinen Kosmos und bist mit dir beschäftigt. Ich persönlich habe es nicht geschafft, mich von meinen eigenen Leistungen zu befreien und die Mannschaft trotzdem irgendwie zu führen. Das habe ich nicht hingekriegt. Natürlich ist das frustrierend. Das ist das, was ich sonst in Ulm mache und was sonst mein normaler Job ist.

Frage: Ist Schaffartzik zu sehr auf sich konzentriert?

Günther: Heiko kommt immer auf uns zu, freut sich wie ein kleines Kind, wenn ich ab und zu eine gute Aktion hatte. Weil er dann denkt, dass ich ihn dann mehr unterstützen kann. Es ist viel für ihn. Er ist auch immer derjenige, der nach den Spielen vor den Journalisten steht und immer das Richtige sagen muss. Es ist wirklich ein sehr schwieriger Sommer für Heiko. Dass er trotzdem auf so einem hohen Niveau Basketball spielt, ist sehr beeindruckend.

Frage: Wie fällt Ihr persönliches Fazit aus?

Günther: Es war nicht das, was ich mir erhofft habe. Ich kam mit anderen Erwartungen zur Vorbereitung. Nach der Vorbereitung waren die Erwartungen wieder sehr gering. Ich bin zum Turnier und wollte alles probieren. Aber ich hatte wenig Rhythmus. Ich habe natürlich gemerkt, dass ich von Spiel zu Spiel besser in Tritt kam. Jetzt bin ich voll da, wenn das Turnier vorbei ist.

Frage: Es entstand eine Fitness-Debatte. Es klang zwischen den Zeilen, als ob sie geschlampt hätten.

Günther: Ich finde es persönlich enttäuschend, dass mir diese Fitness-Sache sechs, sieben Wochen später noch nachhängt und darüber diskutiert wird. Jeder kann sich meine Laktatwerte anschauen. Vom Anfang der Vorbereitung war ich in der Mitte des Teams.

Frage: Welche Lehren ziehen Sie daraus?

Günther: Ich weiß nicht, ob ich gar keinen Urlaub mehr machen soll nach der Saison. Vielleicht muss ich durchtrainieren. Vielleicht ist das die Lösung.

Frage: Wie war der Austausch mit Menz in diesem Sommer?

Günther: Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Frank. Wir haben von Anfang an offen und sehr viel darüber geredet. Er sagt auch immer, ich würde es sehr gut reflektieren. Um es klarzustellen: Es geht darum, dass ich selbst nicht zufrieden war mit meinen Leistungen in der Vorbereitung. Aber natürlich war es schon so, dass ich mir gewünscht hätte, dass ich ab und zu aus dem Loch geholt werde. Ich habe scheiße gespielt. Aber ich hätte gerne 25 Minuten scheiße gespielt, um die Scheiße rauszuspielen. Dann geht's weiter und man kann von vorne aufbauen.

Frage: Was lief bei Ihnen falsch in der Vorbereitung?

Günther: Es lief einfach nicht, wir hatten einen großen Kader und haben mit vielen Spielern gespielt. Ich hatte ein bisschen das Gefühl, dass der Supercup ausgerechnet in Ulm zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gekommen ist. Ulm war mein Tiefpunkt in der Vorbereitung. Ich hatte sehr hohe Erwartungen und ich war richtig heiß, bei mir zu Hause zu spielen. Ich dachte, beim vorherigen Test gegen Spanien hätte ich gut gespielt. Deswegen traf es mich auch sehr, dass ich nur einmal 8 Minuten und einmal 5 Minuten gespielt habe. In den 13 Minuten habe ich katastrophal gespielt. Das war für mich sehr frustrierend. Das ist einfach traurig. Es ist meine erste EM, ich habe mich sehr darauf gefreut, ich habe jahrelang in der Bundesliga gut gespielt. Daher dachte ich, es wird jetzt das Ding, bei dem ich mich zeigen kann. Ich habe es aber einfach nicht geschafft, mich so vorzubereiten, dass ich so spiele, wie ich es will.

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Frage: Wie kam die Art von Menz an? Vor allem seine ruhige Art in den Auszeiten wurde in den Medien kritisiert.

Günther: Bei uns kam wenig von den Meldungen an. Ich persönlich habe wenig gelesen, weil ich mich abschotten wollte. Daher weiß ich nicht, was gesagt wurde. Was ich aber weiß: Dass es als Sportler nicht einfach ist, wenn man zu viele Entschuldigungen bereitgestellt bekommt. Hinter den Kulissen ist Frank anders, aber ich bin 25 Jahre alt, habe drei sehr gute BBL-Saisons und letztes Jahr eine gute Eurocup-Saison gespielt. Es ist so, wie wenn man 19, 20 Jahre ist und man von zu Hause ausziehen will. Und dann sagt einem die Mutter noch, was man anziehen soll. Natürlich hat Frank Recht, wir sind das zweitjüngste Team der EM. Aber ich persönlich würde mich nicht hinstellen und sagen: "Ich bin ja noch so jung und unerfahren." Wir haben stattdessen das Gefühl, dass wir mit fast jedem mitspielen können. Großbritanniens Myles Hesson macht ein gutes Spiel gegen uns und ist ein Jahr jünger als ich und hat letztes Jahr in der drittklassigen ProB gespielt. Was soll ich dazu sagen? Soll ich mich fragen, wie ich gegen ihn spielen soll, weil ich unerfahren bin? Wir haben in der Vorbereitung gegen Griechenland eine Klatsche kassiert, weil wir international noch etwas lernen müssen. Auf der anderen Seite hätten wir die drei Spiele bei der EM, die wir hintereinander verloren haben, gewinnen können.

Frage: Die Aussagen von Menz nach den Niederlagen sind ebenfalls ein Thema.

Günther: Der Trainer ist voll davon überzeugt: Wir sind das zweitjüngste Team. Das ist eher etwas, was die Offiziellen sagen. Wir als Sportler haben dafür zu viel Stolz. Ich sage nicht, dass wir die drei Spiele nicht gewinnen können. Der Trainer hat hingegen mehr die mittelfristige Entwicklung im Blick. Die EM ist ein wichtiger Schritt, in den nächsten zwei, drei Jahren will er eine neue Mannschaft entwickeln, es sind Lernprozesse. Deswegen war er manchmal weniger unzufrieden als der Sportler, der sich überlegt, wann er die nächste EM spielt. Der Sportler lebt natürlich mehr im Moment. Deswegen gibt es schon die Kritik an Frank Menz. Er sieht das immer im Zusammenhang mit der längerfristigen Entwicklung, weswegen er nicht unzufrieden damit ist, was passiert ist.

Frage: Wie bewerten Sie Menz' ersten Sommer als Bundestrainer?

Günther: Es ist für alle eine riesen Erfahrung. Frank ist seit 20 Jahren Profi-Trainer und er wird genauso wie alle anderen seine Lehren ziehen. Er verfolgt sein Konzept und wir haben Spiele gewonnen, gegen Kroatien und Frankreich. Das war ein guter Einstieg. Es wäre für ihn sicher schön gewesen, wenn wir in die Zwischenrunde gekommen wären.

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