"Ich bin fast vom Sofa gefallen"

Von Interview: Haruka Gruber
Nie mehr Deutschland? Die Heim-EM 2015 war als Abschiedsvorstellung für Nowitzki gedacht
© Imago

Es war gedacht als Dirk Nowitzkis triumphaler Abschied. Aber Deutschland zog mit seinen drei Mitstreitern Frankreich, Italien und Kroatien die gemeinsame EM-Bewerbung 2015 zurück - entsetzt von der Geldgier des europäischen Basketball-Verbands FIBA Europe. Dabei wurde intern die Chance auf die Ausrichtung anfangs auf bis zu 80 Prozent beziffert. Nun erhält die finanzstarke Ukraine als einziger Bewerber am 18. Dezember den Zuschlag - unter höchst dubiosen Umständen.

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SPOX: Wie wütend sind Sie noch wegen des Gebarens der FIBA Europe?

Ingo Weiss: Ich hatte Gott sei Dank neun Tage Zeit, um mich abzureagieren. Das Ganze fing ja schon am Abend des 7. Dezember an, als ich zuhause auf dem Sofa saß und mir von der FIBA Europe die Verträge zur Ausrichtung der EM 2015 zugemailt wurden. Eigentlich wollte ich nur kurz reinschauen - und ich bin fast vom Sofa gefallen. Es ist unglaublich, was in den Verträgen steht.

SPOX: Was genau brachte Deutschland und die drei Mitbewerber dazu, auf die Kandidatur für die EM 2015 doch zu verzichten, obwohl sie gegen die Ukraine als einzigen Konkurrenten als große Favoriten galten?

Weiss: Es fängt schon damit an, dass die FIBA Europe gleich mal zwei Verträge aufgesetzt hat und nicht wie üblich einen. Das war ein erstes Anzeichen dafür, dass es nicht professionell und transparent zugeht. Das Entscheidende war jedoch, dass das Verhalten des Verbandes ein Akt der wirklichen Unfreundlichkeit ist. Ich kann nicht mittendrin die Spielregeln verändern. Wir wussten natürlich, dass wir für die EM dem Verband per se acht Millionen Euro garantieren müssen, wovon vier Millionen direkt vom Ausrichter und vier Millionen vom offiziellen Sponsorenpartner kommen sollen. Das war uns vollkommen klar, deswegen haben wir uns auch zu viert zusammengeschlossen, um die Gebühr aufzubringen.

SPOX: Aber?

Weiss: Mit der Mail am 7. Dezember hieß es plötzlich, dass wir schon vor der Entscheidung über den EM-Ausrichter am 18. Dezember den offiziellen Sponsorenpartner nennen müssen, obwohl wir gar nicht wissen, wer denn tatsächlich die EM bekommt. Ich wäre höchst unseriös, auf den Markt zu gehen und Weltunternehmen folgendes vorzutragen: "Vielleicht kriegen wir die EM 2015 und deswegen brauche ich schnell einen offiziellen Sponsorenpartner und vier Millionen Euro." Das ist völlig weltfremd, was die FIBA Europe da fordert. Der Verband hat uns auch ernsthaft gefragt, warum wir nicht einfach Frau Dr. Merkel oder Monsieur Sarkozy kurz anrufen und um Geld bitten, die paar Millionen wären doch sicherlich ein Klacks für die Nationen.

SPOX: Der designierte Ausrichter der EM 2015 ist die Ukraine als letzter verbliebener Kandidat. Die Ukraine hat mit dem Verhalten der FIBA Europe keine Probleme?

Weiss: Sie haben eine staatliche Fluggesellschaft, die die vier Millionen Euro als offizieller Sponsorenpartner garantiert. Das scheint offenbar auch das einzige Kriterium zu sein, das zählt. Ich habe allen Respekt vor der Ukraine und Ihrem Präsidenten Sascha Wolkow, aber Fakt ist: Wir haben der FIBA Europe ein über 120 Seiten umfassendes Konzept vorgelegt mit Details über Spielorte, Spielkalender, Hotelbelegung und Marketing. Das Konzept der Ukraine ist hingegen 14 Seiten lang. Selbst die Evaluierungskommission hat festgestellt, dass es in dem Land - von Kiew abgesehen - noch einige Spielhallen beziehungsweise Arenen sowie entsprechende Hotels gebaut werden müssen. Der derzeitige ukrainische Regierungschef hat dafür 180 Millionen Euro freigegeben - aber wer weiß, ob er 2015 noch an der Spitze steht oder es ihm vielleicht so ergeht wie eine vorherige Regierungschefin der Ukraine

SPOX: Der Rückzug aus dem Bewerbungsverfahren ist umso bitterer, weil die EM 2015 der perfekte Abschied für Dirk Nowitzki aus der deutschen Nationalmannschaft hätte sein können.

Weiss: Zunächst einmal: Dirk hat nicht offiziell seinen Abschied verkündet. Ob und wann er es macht, ist ihm überlassen. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass er bei der diesjährigen EM nicht sein letztes Länderspiel absolviert hat. Viel bitterer ist es, dass die FIBA Europe eine große Chance vertan hat, den Basketball an sich nach vorne zu bringen. Es wäre ein Meilenstein gewesen, im Jahr 2015, genau 70 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, gemeinsam ein Groß-Event in Europa mit einem Vier-Nationen-Konzept zu organisieren, das es vorher noch nie gab. Das hätte die FIBA Europe auch erkennen müssen, stattdessen denken einige nur fiskalisch.

Eine Liebeserklärung zum Schluss: Das vorerst letzte Nowitzki-Länderspiel

SPOX: Ist die FIBA Europe tatsächlich willkürlich?

Weiss: Nur ein Beispiel: In der angesprochenen Mail vom 7. Dezember hieß es plötzlich, dass zu den erforderlichen acht Millionen Euro auch die Umsatzsteuer von 19 Prozent hinzukommen würde, so dass es nicht mehr acht Millionen sondern über neun Millionen sind, die wir zu tragen haben. Oder: Es wurde ein Passus hinzugefügt, in der die FIBA Europe jederzeit Änderungen vornehmen kann und sich der Ausrichter daran zu halten hat. Die FIBA Europe wollte einen Persilschein - und bekommt ihn nun von der Ukraine.

SPOX: Stimmt der Eindruck, dass sich die FIBA Europe immer weiter dem Osten zuwendet? Die EM fand 2009 in Polen und 2011 in Litauen statt. Für 2013 bekam Slowenien den Zuschlag, 2015 folgt die Ukraine.

Weiss: Das geht noch weiter. Alle sechs Junioren-Europameisterschaften von der U 16 bis U 20, egal ob männlich oder weiblich, finden nächstes Jahr in Osteuropa statt. Das schlängelt sich immer weiter: Eine Herren-EM bringt Image und Geld für den Ausrichter, so dass er sich auch eine U-20-EM leisten kann, auch wenn sie mindestens eine halbe Million Euro kostet. Die westeuropäischen Länder sind dazu nicht bereit, weil sie ohnehin keine Herren-EM bekommen. Wie absurd die Situation ist, zeigt die Bewerbung der Ukraine: Sie sicherte der FIBA Europe zu, alle Jugend-Europameisterschaften von 2012 bis 2020 auszutragen. In Osteuropa unterzeichnen die Politiker blind jeden Vertrag, um ein sportliches Highlight zu bekommen. Solange die FIBA Europe nur nach dem Geldkonto schaut, haben wir keine Chance gegen diese Phalanx an Ländern aus dem Osten, die den Verband mit Euros zuschütten. Das macht mich traurig.

SPOX: Sie sind nicht nur der Präsident des DBB, sondern auch der Vizepräsident der FIBA Europe. Ist es an der Zeit, dass Sie sich darüber Gedanken machen, die Spitze des europäischen Basketballs zu übernehmen?

Weiss: Das ist zurzeit nicht diskutabel, darum geht es auch nicht. FIBA-Europe-Präsident Olafur Rafnsson denkt ähnlich wie wir und zeigt vollkommenes Verständnis für unseren Rückzug. Viel wichtiger als Personalfragen ist die Klärung einer Grundsatzentscheidung: Wollen wir eine Vision entwickeln und den Basketball in Europa weiterentwickeln? Oder soll es weiterhin nur um das schnelle Geld gehen? Ich werde die Missstände weiterhin in jeder Sitzung ansprechen und vermutlich wird das meiner Karriere sogar abträglich sein. Aber mir geht es darum, mit gutem Gewissen jederzeit in den Spiegel schauen zu können. Mir haben viele Leute gesagt: "Ihr habt bewiesen, dass ihr einen Arsch in der Hose habt, gut so!" Das ist ein kleiner Trost.

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