Universum geht unter

Von Benny Semmler
Dariusz Michalczewski (l.) und Klaus-Peter Kohl freuen sich 1997 über den Sieg gegen Virgil Hill
© Getty

Seit 25 Jahren ist Klaus-Peter Kohl ein Teil der deutschen Boxgeschichte. Doch das Fehlen von Top-Boxern, veraltete Trainingsmethoden und strategische Fehler lassen es im Universum-Boxstall kriseln.

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Vor einem Vierteljahrhundert wagt sich Klaus-Peter Kohl an die erste professionelle Boxveranstaltung in Deutschland heran.

Die eher unbekannten Brüder aus der Familie Rocchigiani sollen die Alsterdorfer Sporthalle füllen - doch am Ende des Abends muss der gelernte Speditionskaufmann eine finanzielle Pleite hinnehmen. Das dicke Geschäft bleibt aus, Kohl verliert 150.000 D-Mark - gewinnt jedoch den Gedanken, einen Boxstall zu gründen.

Die Universum Box-Promotion. Es folgt ein rasanter wie gigantischer Aufstieg: 270 Veranstaltungen, 2100 Kämpfe, 200 Weltmeisterschaften, dreistellige Millioneneinnahmen. Die Kampfabende werden in 35 Länder übertragen. In Deutschland wollen bis zu zehn Millionen Zuschauer die Auftritte der Boxstars sehen.

Doch in vier Monaten droht dem Superstall der Niederschlag: Das ZDF wird den auslaufenden Kontrakt (bis 31. Juli 2010) nicht verlängern. Zudem plagen Universum Kompetenzlöcher in der Führungs- und Trainingsarbeit. Am Schlimmsten: Es fehlen die Stars. SPOX zeichnet den Stillstand des einstigen Schwergewichts im Box-Business nach.

Fehlen von Top-Boxern

Mit einer internen Klassifizierung zwischen A-, B- und C-Kämpfern bemühte sich das ZDF in der Vergangenheit um garantierten Spitzensport. A-Kämpfer wie Dariusz Michalczewski, Witali und Wladimir Klitschko, Regina Halmich und schließlich Felix Sturm verwöhnten den Boxzirkus jahrelang mit traumhaften Quoten. Selbst Luan Krasniqi und Thomas Ulrich waren Kämpfer der so genannten A-Kategorie - sie holten die Massen ans Fernsehgerät.

Doch die Genannten gehören der Generation Gestern an. Universum gehen die A-Boxer aus: Alexander Dimitrenko, Ruslan Tschagajew, Witali Tajbert und Sebastian Köber stoßen beim ZDF und dem Publikum auf wenig Interesse. Von allen Boxern will sich Universum in den kommenden Monaten trennen.

Dazu kommt: Mit Jürgen Brähmer, immerhin amtierender WBO-Weltmeister im Halbschwergewicht, hat Kohl zwar ein sportliches Argument im Ärmel. Nur ist der Mecklenburger aufgrund seiner unrühmlichen Vergangenheit vielen ZDF-Leuten ein Dorn im Auge.

Der zweite Problemfighter ist WBC-Titelträger Sebastian Zbik. Trotz einer makellosen Bilanz steht der Saubermann in puncto Popularität im Schatten der Gewichtskollegen Felix Sturm und Sebastian Sylvester (Sauerland).

Uneinigkeit beim ZDF

Vor Monaten bastelten die Parteien an einem Nachfolgekontrakt, der Universum pro Abend immerhin zwei Millionen Euro einbringen sollte. Nur rechneten die Vertragsmacher zu dem Zeitpunkt mit einem Felix Sturm, der als Garant für Quote schlichtweg wichtig war. Doch Sturm will bekanntermaßen nicht mehr für Universum in den Ring steigen.

Und so sind die Verlängerungsgedanken inzwischen vom Tisch. Das ZDF wird im Juli drei Kampfabende durchdrücken, um so schnell wie möglich die Zusammenarbeit beenden zu können. Da half es auch nichts, dass sich Sportchef Dieter Gruschwitz lange für das Boxen im Zweiten einsetzte. Denn die Gemeinde der Boxgegner im eigenen Haus wuchs stetig: Ex-Chefredakteur Nikolaus Brender, Sportvize Michael Ohr und verschiedene Mitglieder des ZDF-Fernsehrats - Gruschwitz' Argumente zerbröselten im Laufe der Jahre.

Die Folge: Während ARD-Übertragungen von anerkannten Experten wie Henry Maske und Sven Ottke begleitet werden, ein Michael Buffer mit seiner ihm eigenen Art zum Spektakel im Ersten beiträgt, ist die Boxerei im Zweiten zum ideenlosen Anhängsel des "Sportstudios" mutiert.

Die Zahlen dazu: Über sechs Millionen schalten regelmäßig bei Abrahams ARD-Auftritten ein, erstaunliche 4,3 Millionen Zuschauer sahen zuletzt einen Marco-Huck-Kampf im Ersten. Für Universums erfolgreichsten Boxer der vergangenen Jahre, Zsolt Erdei, interessierten sich zuletzt gerade noch 2,6 Millionen. Mit dem jüngsten Klitschko-Fight holte RTL in der Spitze 13,7 Millionen Zuschauer.

Fehlender alternativer Businessplan

Klar ist: Von einst knapp 50 Boxern sollen lediglich sieben Profis die Zukunft stemmen. Sebastian Zbik, Susi Kentikian, Jürgen Brähmer, Ina Menzer, Denis Boytsov, Jack Culcay und Rachim Tschachkijew. Ein Zsolt Erdei soll bereits in Verhandlungen mit Sauerland stehen, Kandidaten wie Tschagajew und Dimitrenko sind intern schon länger auf dem Abstellgleis.

Der Plan für 2010 plus X: Klasse statt Masse. Doch wen interessiert das noch? Universum steht künftig ohne (festen) TV-Partner da - und nur der garantiert lukrative Geschäfte (150 Millionen in den letzten acht Jahren) und ein Massenpublikum. An der Spitze des Stalls tüfteln sie an neuen Erlösmodellen.

Kohl: "Wenn es nicht mehr den einen Sender gibt, der unseren Umfang finanzieren kann, müssen wir ein Netzwerk aus verschiedenen Sendern weltweit stricken." Einen ernstzunehmenden Plan haben sie (noch) nicht. Dass Kämpfe exklusiv im Internet angedacht sind, ist kein Geheimnis mehr und einen Versuch wert.

Jedoch scheinen die diskutierten neun Euro für einen Kampf mit Sebastian Zbik oder Denis Boytsov eher größenwahnsinnig. Neu ist dagegen das Interesse des Senders RTL an Jürgen Brähmer. Das könnte passen.

Veraltete Trainingsmethoden

Pratzenarbeit, Kondition bolzen, Sparring, sechs Wochen lang bis zum Kampf. Die Vorbereitungszeit wird seit jeher und bei nahezu allen der über 40 Boxer identisch abgewickelt.

Innovationsarmut ist ein augenscheinliches Defizit. Wenngleich das Verhältnis vier Trainer auf 40 Boxer ebenfalls keine Idealkonstellation darstellt. In der Praxis ist ein Trainer für mitunter mehrere WM- und Aufbaukämpfer verantwortlich - zeitgleich. Dieser Zustand - so wird intern diskutiert - führte in der jüngsten Vergangenheit zu überraschenden Niederlagen (Alexejew, Dimitrenko, Balzsay).

Individuelle Trainingsmethoden, wie beispielsweise eine Leistungsdiagnostik (Analyse diverser Körperwerte), finden nur in Ausnahmefällen (längere Verletzungspausen) statt. Immerhin: Universum hat das Problem der eingestaubten Trainingsmethodik erkannt - nur die Maßnahmen warten. Die erste personelle Änderung ist jedoch vollzogen: Fritz Sdunek und Universum gehen nach 16 Jahren getrennte Wege.

Führungsvakuum

Eigentlich wollte sich Chef Klaus-Peter Kohl sukzessive zurückziehen und das Steuer an  Schwiegersohn und Spotlight-Geschäftsführer Dietmar Poszwa abgeben. Doch der scheint im großen Box-Business noch nicht so recht angekommen.

Strategische Fehler werfen ihm viele Insider vor. Sein größter Fauxpas: Sein Boxstall Spotlight floppte. Nun tuscheln sie bei Universum: Der Boss soll dem Jungen in letzter Zeit deutliche Takte ins Ohr geflüstert haben - vom heftigen Karriereknick des Schwiegersohns ist die Rede.

Kohl, der aus gesundheitlichen Gründen das Tagesgeschäft längst abgeben wollte, sucht also noch immer nach dem richtigen Nachfolger.

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