"Wir haben super viel Spaß zusammen"

SID
Oliver Roggisch und das DHB-Team zeigten gegen Island, was in ihnen steckt
© Getty

Oliver Roggisch gibt nach dem Sieg gegen Island und vor dem Spiel gegen Ungarn (18 Uhr im LIVE-TICKER) in seiner Kolumne Auskunft über das Innenleben der DHB-Auswahl. Die Themen: Schwedisches Bier, seine neue Rolle und die Frage: Wo läuft Handball?

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Liebe Handball-Freunde,

wie soll ich anfangen? Der Sieg gegen Island hat richtig Spaß gemacht. Das war eine unglaublich geschlossene Mannschaftsleistung von uns, jeder hat für den anderen gefightet. Die Abwehr stand sehr gut, Silvio Heinevetter hat überragend gehalten - und im Unterschied zu den Niederlagen gegen Spanien und Frankreich haben wir auch unsere schlechte Phase gut überstanden. Als die Isländer den Ausgleich gemacht haben, haben wir den Kopf nicht verloren und sind einfach wieder davongezogen.

Außerdem haben wir unser Tempospiel gut aufziehen können. Pascal Hens hat bei unserer kleinen Besprechung nach dem Frankreich-Spiel noch mal angesprochen, dass wir die zweite Welle und schnelle Mitte noch viel besser nutzen müssen, wenn wir im Angriff ein kleines Problem haben. Das haben wir super umgesetzt.

Wir haben so viele Tore aus der zweiten Welle und im Gegenstoß gemacht, damit macht man sich das Leben natürlich einfacher. Aber auch im Positionsangriff haben wir druckvoller gespielt und sind viel mehr in die Tiefe gegangen. Wir haben nicht so viel parallel gespielt mit tausend Kreuzungen, sondern haben das gemacht, was uns stark macht.

Kritik am Trainer? Absoluter Schwachsinn

Und dann kommt jemand wie Holger Glandorf in der zweiten Halbzeit ins Spiel und bringt so eine fantastische Leistung. Jeder, der ins Spiel kam, hat eigentlich gestochen. So was zeichnet eine gute Mannschaft aus. Der Sieg hat gut getan, weil es ja auch viel Kritik gegeben hat.

Erst mal möchte ich sagen, dass wir mit Kritik umgehen können müssen, das ist normal als Sportler. Wir haben in der zweiten Halbzeit gegen die Franzosen schlecht gespielt, aber teilweise war die Kritik zu scharf. Uns wurden Sachen in den Mund gelegt, die wir so nicht gesagt haben. Es wurde formuliert, dass manche Spieler den Trainer kritisiert hätten - absoluter Schwachsinn.

Von daher war der Sieg schön. Wir konnten den Ruhetag genießen, gewinnen macht einfach viel mehr Spaß. So wollen wir jetzt weitermachen. Man muss unsere WM bis jetzt auch realistisch einschätzen. Wir mussten vor dem Turnier davon ausgehen, dass wir momentan mit Frankreich und Spanien nicht auf Augenhöhe sind. Gegen Spanien haben wir dann 50 Minuten gut gespielt und hätten den Sieg denke ich auch irgendwo verdient gehabt. Über 60 Minuten gesehen waren wir meiner Meinung nach die bessere Mannschaft.

Super Charaktäre in der Mannschaft

Wir wollten gegen die beiden Großen einen Big Point landen, das ist uns leider nicht gelungen. Wenn die Frankreich-Niederlage nicht so hoch ausgefallen wäre, hätte wohl auch niemand etwas Negatives gesagt. Die Art und Weise, wie wir das Spiel da abgegeben haben, war nicht gut. Das wissen wir.

Danach haben wir uns zusammengesetzt, das war keine weltbewegende Krisensitzung, aber jeder hat seine Meinung gesagt und dabei sind gute Sachen rausgekommen. Wir haben uns gesagt, dass wir uns auf das konzentrieren müssen, was uns stark macht. Das haben wir gegen Island wie schon gesagt gut umgesetzt.

Jedem, der nach dem Frankreich-Spiel gedacht hat, dass es bei uns in der Mannschaft nicht stimmt, kann ich nur sagen: Wir haben überhaupt keine Probleme in der Truppe. Wir hängen hier jeden Tag 24 Stunden aufeinander - wenn es da nicht passen würde, würde sich das ganz schnell herauskristallisieren. Wir haben super Charaktäre in der Mannschaft und haben super viel Spaß zusammen.

Schwerste Gruppe aller Zeiten

Wenn dann wie gegen Frankreich mal negative Worte auf dem Feld fallen, weil wir alle angespannt und unzufrieden sind, dann ist das ganz normal. Das gibt es in jeder Mannschaft, ob im Verein oder in der Nationalmannschaft. Das gehört im Sport dazu. Das heißt nicht, dass es gut war. Wir hatten in der zweiten Hälfte eine schlechte Körpersprache und wenn man sich dann anmeckert, sieht das nach außen nicht gut aus, aber intern ist das nach dem Spiel vergessen.

Wenn man jetzt die ersten Hauptrunden-Ergebnisse gesehen hat, sollte denke ich auch der Letzte kapiert haben, in was für eine Hammer-Gruppe wir hier geraten sind. Wahrscheinlich war das die schwerste Vorrunden-Gruppe, die es bei einer WM jemals gab. Die Spanier werden um eine Medaille und die Franzosen werden wieder um Gold mitspielen. Die kommen mit einigen neuen Nachwuchsspielern und man sieht kaum, dass ein Guillaume Gille und Daniel Narcisse fehlt. Die Franzosen sind überragend drauf.

Klar können wir jetzt den zehn Minuten gegen Spanien nachtrauern, die uns wohl das Halbfinale kosten, aber das bringt ja nichts. Natürlich wäre es schöner, ins Halbfinale zu kommen, aber von diesem Ziel haben wir uns erst mal verabschiedet. Wir schauen nach vorne und wollen kleinere Brötchen backen. Wenn wir das Hauptziel erreichen und uns für ein Olympia-Qualifikationsturnier qualifizieren, haben wir ein gutes Turnier gespielt. Auch wenn man sicher immer mehr rausholen hätte können.

Kein Problem mit neuer Rolle

Jetzt geht es noch gegen Ungarn und Norwegen, aber wir sollten gar nicht so sehr auf die anderen Mannschaften schauen. Wir müssen uns auf uns konzentrieren. Wenn wir noch mal so eine Leistung wie gegen Island abrufen können, sind wir schwer zu schlagen. Ungarn und Norwegen sind Mannschaften, die mit uns auf Augenhöhe sind. Es liegt nur an uns, so selbstbewusst müssen wir sein.

Was meine Rolle angeht: Sie ist sicher eine andere geworden. Dadurch dass ich nicht anfange, ist es ein anderes Spiel. Aber jeder, der hier dabei ist, hat die Aufgabe, seine Rolle im Team zu finden und sich damit auseinanderzusetzen. Das habe ich sehr schnell getan. Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, draußen zu sitzen, wenn die Abwehr gut steht und wir gewinnen. Dann bin ich auch zufrieden. Wenn sie nicht so gut steht, komme ich rein und versuche zu helfen. Das klappt ganz gut.

Ich bin nicht so egoistisch, dass ich in jedem Spiel 60 Minuten auf der Platte stehen muss. Wenn jemand einen guten Job macht, soll er auch seine Spielanteile bekommen. Mir macht es vor allem auch Spaß zu sehen, was von hinten nachkommt. Was für heiße, hungrige Spieler da sind, die sich super entwickelt haben. Wenn ich an Michael Haaß denke: Den kenne ich aus Essen, als er als 17-Jähriger ins Training kam. So eine Entwicklung wie bei ihm mitzuverfolgen ist super.

Das Bier ist ein bisschen teuer...

Bevor ich zum Ende komme, fällt mir ein: Gegen Island habe ich gar keine 2 Minuten bekommen. Das geht also auch, obwohl es ja eigentlich nicht meine Spielweise ist. Tja, man lernt nie aus.

Wenn man reinkommt, ist es gar nicht so einfach, ohne Strafen auszukommen, weil die Schiris in der 15. Minute oder so ihre Gelben Karten schon verbraucht haben, das sagen die auch ganz offen so. Da hat es mich dann bei dieser WM auch wieder ein paar Mal erwischt.

Kurz noch ein Wort zur Atmosphäre in Schweden. Von den Städten bekommt man leider nicht sehr viel mit. Wir machen zwar ab und zu einen Spaziergang, aber da werden dann extra Waldstücke ausgewählt, wo wir niemanden treffen. Viel kann ich also nicht sagen, aber die Leute sind auf jeden Fall alle sehr hilfsbereit und freundlich. Nur das schwedische Bier ist ein bisschen teuer...

Und mit der TV-Übertragung haben wir ein paar Probleme. Wir können relativ wenig sehen. Ich weiß nicht, ob unser Hotel die falschen Sender hat, aber das habe ich noch bei keinem Turnier erlebt. Ansonsten ist unser Hotel in Jönköping aber erste Sahne. Sicher eines der besten, in denen ich bis jetzt war. In diesem Sinne.

Euer Oliver Roggisch

Oliver Roggisch, 32, spielt seit 2007 bei den Rhein-Neckar Löwen. Der 1,99 m große Kreisläufer und Abwehrspezialist startete seine Karriere beim TuS Schutterwald, bevor es ihn zu Frisch Auf Göppingen zog. Weitere Stationen waren TuSEM Essen und der SC Magdeburg. Mit der Nationalmannschaft wurde er 2007 Weltmeister. Mehr Infos zum SPOX-Kolumnisten gibt's unter http://www.oliver-roggisch.de/.

DHB-Vizepräsident Horst Bredemeier im SPOX-Interview

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