Videoanalyse: "Der 1. FC Köln ist das Vorbild"

Von Interview: Jochen Tittmar
Videoanalyst Marcel Daum glaubt, dass die Trainingsüberwachung immer wichtiger werden wird
© Eintracht Frankfurt

Mit Beginn der aktuellen Saison wurden Spieldaten wie Laufwege oder Passquoten öffentlich gemacht. Für Videoanalysten sind diese Werte die Grundlage ihrer Arbeit. Marcel Daum ist bei Eintracht Frankfurt für die visuelle Auswertung zuständig. Im Interview gibt der Sohn von Christoph Daum konkrete Einblicke in die Videoanalyse, beschreibt sein Aufgabengebiet und spricht über die Intensität seiner Arbeit.

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SPOX: Herr Daum, seit wann hat sich die Videoanalyse überhaupt im Fußball etabliert?

Marcel Daum: Das lässt sich nicht auf einen genauen Zeitpunkt festlegen. Das ist sehr abhängig vom Trainer. Einige haben früher, andere später damit angefangen. Früher, in den 80er Jahren, hatte die Analyse eine andere Form. Da wurde mit Kreide auf einer Tafel herumgemalt, Bewegtbilder waren Mangelware.

SPOX: Sind Sie mit Videoanalytikern anderer Vereine in Kontakt und tauschen sich aus?

Daum: Ja, wir haben mittlerweile alle drei Monate ein Treffen. Ausrichter ist die DFL. Da kann jeder Analyst kommen, wenn er Zeit hat. Meist sind wir zwischen 20 und 25 Jungs, die alle bei den Profivereinen der 1. und 2. Liga arbeiten. Dort tauschen wir uns aus und reden über Verbesserungen, gerade was das Tracking und die jeweiligen Auswertungen der Daten betrifft. Das ist schon sehr hilfreich. Ich habe zu einigen, die ich noch aus Kölner Zeiten kenne, auch privaten Kontakt.

SPOX: Besteht da nicht eine Gefahr, zu viel Know-how zu verraten?

Daum: Nein, letztlich liegt es an jedem selbst, was er aus den Daten macht. Ich verrate ja niemandem im Detail die Taktik von Armin Veh. Wir reden über Software und neue Methoden.

SPOX: Gibt es einen Verein, bei dem die Abteilung Videoanalyse das große Vorbild für Sie darstellt?

Daum: Der 1. FC Köln und sein Sportslab. Ich habe selbst dort gearbeitet und kenne die Abläufe. Was Boris Notzon dort in solch kurzer Zeit aufgebaut hat, ist sehr vorbildlich. Man kann natürlich über die Datenmenge, die dort produziert wird, streiten. Letztlich herrscht beim FC in diesem Bereich aber die nötige Kontinuität, die wir hier in Frankfurt auch anstreben.

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SPOX: Armin Veh gab vor seinem Amtsantritt zu, die 2. Liga nicht auswendig zu kennen. Sie sollen ihm zuarbeiten und Spieler wie Mannschaften näher bringen. Wie sieht Ihr Aufgabengebiet genau aus?

Daum: Mein Kollege Ralf Weber sichtet die Spiele live. Er fährt immer zu unserem nächsten Gegner und schaut sich dort die letzten drei oder vier Spiele im Stadion an. In der Zwischenzeit bereite ich den Schnitt vor, mache die Laufdatenauswertung oder filme unser Training. Im Anschluss schreibt Ralf seinen Bericht, der die Basis unserer Arbeit darstellt. Wir setzen uns dann gemeinsam hin, schneiden das Spiel im Detail auseinander und erstellen für den Trainer ein etwas längeres Video. Darin thematisieren wir Stärken, Schwächen, Standardsituationen, individuelle und mannschaftstaktische Abläufe des Gegners. Zusätzlich machen wir auch ungefähr einmal pro Woche ein Einzelgespräch am bewegten Bild, um dem Spieler Feedback zu geben.

SPOX: Und das Video landet dann beim Trainer?

Daum: Genau, Armin Veh will immer alles im Detail über jeden einzelnen Spieler wissen. Für die Mannschaft wird das Video noch einmal auf 12 bis 15 Minuten gekürzt. Es wird entweder am Spieltag morgens oder am Tag zuvor am Abend gezeigt.

SPOX: Wenn ein Spiel vorbei ist, dauert es in der Regel sechs bis sieben Tage bis zur nächsten Partie. Wie sieht Ihr Arbeitsprozess innerhalb dieser Zeit aus?

Daum: Nehmen wir ein Spiel am Samstag als Grundlage: Sonntag wird der Laufdatenbericht erstellt, den die Trainer bekommen. Montags oder dienstags folgt die Spielnachbereitung, also die Videoanalyse unseres eigenen Spiels. Zwischenzeitlich beginnt die Vorbereitung auf den nächsten Gegner, dafür werden die letzten drei bis vier Spiele ausgewertet. Das Ergebnis wird Mitte der Woche dem Trainerteam präsentiert, damit man bereits Erkenntnisse in den Trainingsbetrieb mit einfließen lassen kann. Abschließend kommt das Kürzen des Gegner-Videos, das spezifisch und verständlich auf die Spieler zugeschnitten wird.

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SPOX: Welches Equipment muss sich ein Verein zulegen, um überhaupt eine Videoanalyse durchführen zu können und was kostet das?

Daum: Die Kosten kann man nicht pauschalisieren. Wären wir hier beim FC Bayern oder in Hoffenheim, könnten wir natürlich noch deutlich mehr realisieren. Grundsätzlich ist es recht simpel: Man braucht Laptops, PCs, entsprechende Software und Dinge, die die Arbeit vereinfachen. Wir verfügen auch über einen Beamer in unserer Kabine, um erarbeitete Taktiken vor dem Spiel digital und übersichtlich den Spielern vor Augen zu halten.

SPOX: Und was ist mit den Kameras unterm Stadiondach?

Daum: Vor der Saison hat die DFL alle Stadien der 1. und 2. Liga mit Kameras ausgerüstet, um die Laufdaten aufzunehmen. Mit einer speziellen Software werten wir dann die Lauf- und Scoutingdaten im Detail aus.

SPOX: Wie lange dauert es, bis die Auswertung eines Spiels abgeschlossen ist?

Daum: Bei einem Samstagsspiel geht da der komplette Sonntag und Montag drauf.

SPOX: Wie viele Seiten an Material kommen zusammen?

Daum: Unzählige. Das ist sehr, sehr viel Stoff, es sind unglaublich viele Werte, die da erhoben werden. Unsere Aufgabe besteht darin, diese auf das Wichtigste zu komprimieren und Trainer und Konditionstrainer einen ordentlichen Bericht mit den prägnantesten Fakten und Grafiken vorzulegen.

SPOX: Wie eng ist grundsätzlich Ihr Kontakt zum Trainer?

Daum: Armin Veh hat ja noch einen Haufen anderer Dinge zu erledigen, so dass Co-Trainer Reiner Geyer viel häufiger bei uns ist, sagen wir zwei- bis viermal die Woche. Er möchte sich meist verschiedene Dinge noch einmal in Ruhe anschauen. Der Armin nimmt sich für die Gegneranalyse dann aber richtig viel Zeit.

SPOX: Arbeiten Sie nur nach den Anweisungen des Trainers oder kann es auch sein, dass ein für Sie interessanter Fakt auftaucht und man darauf hinweist?

Daum: Klar, das kann schon vorkommen. Mit der Zeit merkt man aber auch, was für den Trainer wirklich interessant ist und weist darauf hin.

SPOX: Wie läuft denn die Videoanalyse in der Halbzeit während eines Spiels ab?

Daum: Wir machen bei der Eintracht momentan keine Halbzeitanalyse an Bewegtbildern. Auch das ist vom Trainer abhängig. Mein Vater hat das zum Beispiel gemacht. Da geht man fünf Minuten vor der Pause in die Kabine und stellt das zusammen. Das sind maximal drei Szenen, die auch wirklich aussagekräftig sind, um die Spieler nicht mit Bildern zu überfrachten. Dann macht man den Beamer an und es geht los.

SPOX: Ist es richtig, dass es Programme gibt, mit deren Hilfe man Spielszenen katalogisieren kann?

Daum: Das stimmt. Es gibt einige Anbieter. Wir benutzen unter anderem das Programm "VT.Performance", das wir von "Impire" beziehen. Dabei werden uns Timecodes zur Verfügung gestellt. Das heißt, dass ein einziges Spiel in etwa 2000 Spielszenen vorgeschnitten ist. Die Timecodes lade ich in das Programm hinein, so dass das Spiel schon auseinander geschnitten ist. So muss ich nur noch die Videodatei einfügen. Man kann beispielsweise hingehen und sagen, dass man alle Freistöße, Torschüsse oder Pässe haben will und bekommt diese dann im Handumdrehen.

SPOX: Das sind aber alles quantitative Werte, oder?

Daum: Genau, dadurch weiß man noch nichts über den Spielaufbau oder das Verschieben des Gegners. Deshalb muss man jedes Spiel noch einmal alleine anschauen und für sich auseinandernehmen. Das Programm dient quasi als Hilfe dazu.

SPOX: Die Spielerdaten haben seit dieser Saison auch den Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Was halten Sie davon?

Daum: Das ist ein großes Thema unter uns Analysten. Ich wüsste nicht, was ein Ottonormalverbraucher mit diesen Daten anfangen soll. Unser großer Kritikpunkt ist, dass nun auch andere Ligen die Möglichkeit haben, kostenlos auf diese Daten zurückzugreifen und somit ihr Scouting vereinfachen können. Welches Unternehmen gibt schon seine eigenen Daten heraus? Ich denke, da werden noch konstruktive Gespräche folgen.

SPOX: Lassen Sie uns einen Ausblick in die Zukunft wagen: Wo steht die Videoanalyse in zehn Jahren?

Daum: Es wird in den nächsten Jahren bestimmt noch viele Veränderungen geben. Die Trainingsüberwachung wird immer mehr in den Vordergrund rücken. Wir bei der Eintracht wollen mittelfristig eine Datenbank aufbauen, in der alle Analyse-, Scouting- und medizinischen Daten zusammenfließen. Im Grunde gibt es keine Grenzen, aber für manche Vereine bleibt es eine Kostenfrage.

SPOX: Wie oft schauen Sie sich eigentlich Fußballspiele in Ihrer Freizeit nach Feierabend an?

Daum: Jeden Tag. (lacht) Ich verfolge auch sehr genau die türkische Liga und schaue mir die Highlights aus allen erdenklichen Ligen an. Das ist für mich eine Leidenschaft und nicht nur ein Beruf.

2. Liga: Tabelle, Spieltage und Statistiken

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