"Die Profis sind endlich wieder mit Herz dabei"

Von Interview: Merja Schubert
Fußball, 2. Liga, Kaiserslautern, Wojtek Czyz, Paralympics

Es ist das Jahr 2001, als sein großer Traum wahr zu werden scheint. Der damals 21-jährige Wojtek Czyz erhält einen Amateur-Vertrag bei Fortuna Köln. Doch dann passiert das Unglück: Bei seinem letzten Spiel für den alten Verein springt der gegnerische Torwart in einem Zweikampf in ihn hinein - ein Foul mit schweren Folgen.

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Als wäre die Verletzung nicht schon schwer genug, machen völlig überforderte Sanitäter und Ärzte auch noch eine Reihe von Fehlern. Czyz Bein, in dem so ziemlich alles kaputt ist, was kaputt gehen kann, ist nicht mehr zu retten.

Eine Woche später muss sein linker Unterschenkel amputiert werden - der Traum vom Profi-Fußball ist geplatzt. Doch Czyz gibt nicht auf und beginnt seine zweite Karriere, ehe die erste überhaupt richtig anfing.

Inzwischen ist der gebürtige Pole eines der populärsten Gesichter im deutschen Behinderten-Sport. Nach dem Dreifach-Erfolg in Athen 2004 holte der Youngster bei den Paralympics in Peking seine vierte Goldmedaille. Und das trotz einer von Rückschlägen geprägten Saison.

Nur eines geht noch über seinen eigenen Sport: Der 1. FC Kaiserslautern! Im Interview mit SPOX erzählt der 28-Jährige, welches Gefühlschaos man als FCK-Fan ertragen muss, warum die Roten Teufel dennoch momentan die 2. Liga beherrschen und was ihn mit Miroslav Klose verbindet.

SPOX: Zu allererst herzlichen Glückwunsch! Sie haben in Peking ihre vierte Goldmedaille gewonnen und dazu noch einen sagenhaften Weltrekord im Weitsprung aufgestellt. Können Sie ein wenig beschreiben, wie man sich fühlt, wenn man vor knapp 100.000 Menschen Geschichte schreibt?

Czyz: Das war so bombastisch und einfach nur geil! Zumal nach meiner Vorgeschichte bei der Saison-Vorbereitung - auf einen Schlag ist die ganze Anspannung von mir abgefallen. Es war einfach unbeschreiblich schön.

SPOX: Wie angesprochen lief Ihre Saisonvorbereitung ja ziemlich schief. Sie mussten sich mehreren Operationen unterziehen, sind am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt und kurz vor den Paralympics haben Sie sich auch noch den Mittelfuß gebrochen. Woher nehmen Sie nach all den Rückschlägen die Kraft?

Czyz: Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe viel meinem Umfeld zu verdanken. Ob das jetzt hier in Kaiserslautern ist durch meine Freunde, meine Sponsoren, oder in Köln an der Hochschule - das ist natürlich etwas, was mir ganz viel Kraft gibt. Ohne dieses Umfeld wäre ich ganz sicher nicht da, wo ich heute bin. Die Kraft, die ich dieses Jahr aufgebaut habe, ist wirklich darauf zurückzuführen.

SPOX: Sie sind ja bekennender Fan vom 1. FC Kaiserslautern. Ein Verein, der bekannt ist für Extreme. Letztes Jahr kurz vor dem Abstieg, jetzt wieder Tabellenführer - wie erleben Sie als Fan dieses Auf und Ab?

Czyz: Das ist die pure Emotion und das war der FCK schon immer. Das Schöne ist jetzt, dass die Profis endlich wieder mit Herz dabei sind und das ist für diese Region das Allerwichtigste. Man kann verlieren, man kann auch mal schlecht spielen - solange man sieht, dass der Wille da ist. Und wenn wir als Fans sehen, dass das Herz der Spieler für den FCK schlägt, dann ist auch die Unterstützung da.

SPOX: Welche Rolle spielt denn dabei die Rückkehr von Stefan Kuntz, wenn man an den momentanen Erfolg des FCK denkt?

Czyz: Stefan Kuntz hat zusammen mit Milan Sasic den Fußball hier einfach wieder begreiflich gemacht. Die Zuschauer spüren, dass da etwas aufgebaut wird. Deswegen stehen wir auch heute auf dem ersten Platz.

SPOX: Sie sind eng mit Miroslav Klose befreundet, der ja früher für den FCK spielte. Wie kam diese Freundschaft zustande?

Czyz: Man kannte sich schon vom Hörensagen. Als ich dann mein Bein verlor, hat er sich gemeldet und gefragt, ob er mir irgendwie helfen kann und dass er für mich da sei. So hat sich bis heute eine Freundschaft entwickelt. Wir freuen uns, wenn wir uns sehen und unternehmen ab und zu was zusammen.

SPOX: Stimmt es, dass Sie gemeinsam zum Fischen gehen?

Czyz: Ja, das ist richtig. Dabei kann man einfach mal abschalten und die ganze Welt hinter sich lassen.

SPOX: Dass Sie ihr Bein verloren, war hauptsächlich die Folge einer Reihe von Fehlern, die bei der Erstversorgung begangen wurden. Wie haben Sie es geschafft, diesen Schicksalsschlag zu überwinden?

Czyz: Es ist natürlich nicht so, dass man sein Bein verliert und sagt: "So, weiter geht's". Es gibt einen Moment, in dem man am Boden zerstört ist und gar nicht weiß, wie es weitergehen soll. Aber da hat mich die Stadt Kaiserslautern wirklich unterstützt, der FCK hat sogar ein Benefiz-Spiel für mich organisiert. Das waren Sachen, die haben mich aufgebaut und mir die Motivation gegeben, einfach wieder Gas zu geben und den Menschen etwas zurückzugeben. Deswegen hat mich das Gefühl der Leere ganz schnell wieder verlassen. Ich hatte ein neues Ziel, und mit dem ging's wieder bergauf.

SPOX: Sie hatten vor Ihrem Unfall einen Amateur-Vertrag bei Fortuna Köln in der Tasche. Wie sehr hat Sie es getroffen, ihren Traum vom Profi-Fußball nicht mehr verwirklichen zu können?

Czyz: Natürlich war das traurig, aber ich habe meine Passion nun in der Leichtathletik gefunden. Das ist eine schöne Alternative, die ich auch nicht missen will.

SPOX: War die Umstellung vom Mannschaftssportler zum Einzelkämpfer als Leichtathlet nicht enorm schwer?

Czyz: Das ist in der Tat ein großer Unterschied. Man hat manchmal einfach einen schlechten Tag. Als Fußballer weiß man: Die Mitspieler helfen dir, die unterstützen dich. Jetzt bin ich auf mich alleine gestellt. Aber es hat auch seine Vorteile. Man ist selbst für sich verantwortlich, man hat alles selbst in der Hand.

SPOX: Wenn Sie heute in der Bundesliga grobe Fouls sehen wie z.B. den Kung-Fu-Tritt von Tim Wiese gegen Ivica Olic - bleibt Ihnen da nicht das Herz stehen?

Czyz: Ich kenne die Szene im Fußball und ich weiß, dass man da manche Dinge dramatisiert. Aber es gibt natürlich auch gewisse Situationen, wo man zusammenzuckt und denkt: "Hoffentlich ist da jetzt nicht so viel passiert". Zum Glück ist bis heute keine Szene in der Bundesliga annähernd so schlimm gewesen, wie es bei mir war. Aber ich hoffe natürlich immer, dass alles gut ausgeht.

SPOX: Sie haben trotz Ihres Unfalls das Studium an der Sporthochschule in Köln aufgenommen. Wie wichtig war das für Sie und wissen Sie schon, in welche berufliche Richtung Sie später gehen möchten?

Czyz: Das Studium war und ist ganz wichtig für mich, weil ich erkannt habe, dass ich trotz des Unfalls meinen Weg gehen und auch jetzt noch alles erreichen kann. Ich habe sehr gerne mit Menschen zu tun, motiviere sie und analysiere gerne, aber ich habe noch keine konkrete Vorstellungen. Möglichkeiten sind natürlich da, aber das warten wir mal ab, weil ich bis London 2012 weitermache und mich erst mal darauf konzentriere.

SPOX: Wenn jemand wie Kurt Beck Sie als Paradebeispiel für Lebensmut und Lebenskraft bezeichnet, was bedeutet das für Sie?

Czyz: Kurt Beck ist eine Person, die ich sehr schätze und der auch in seiner Art sehr vielen Menschen zur Seite gestanden und geholfen hat. Er hat in meinen Augen speziell für Rheinland-Pfalz ganz viel geleistet. Und da ist es für mich eine ganz große Ehre, wenn so eine Persönlichkeit mich so sieht. Solch eine Anerkennung aus diesem Munde macht mich natürlich sehr stolz.

SPOX: Was sagen Sie jungen Menschen, dievielleicht ein ähnliches Schicksal wie Sie durchleiden müssen?

Czyz: Es ist ganz wichtig, dass man begreift, dass nicht jedes Ziel verwirklicht werden kann. Es kann äußere Einflüsse geben, die unsere Ziele beschränken. Deswegen braucht man realistische Alternativen. Wenn man merkt: "Es geht nicht", dann geht man einfach einen anderen - vielleicht auch schwierigeren - Weg. Man darf sich auf keinen Fall unterkriegen lassen und muss sich immer neue Ziele suchen. Dann kommt man auch voran im Leben.

Hier geht's zum Kader vom 1. FC Kaiserslautern