WM

Die gnadenlose Löw-Lokomotive

SID
Einer der "Lokomotiven": Thomas Müller erzielte das zwischenzeitliche 3:0 für den DFB
© Getty

Das Ausland verneigt sich - und auch CNN-Korrespondent Pedro Pinto muss zugeben: Deutschland ist besser als gedacht. Es gibt jedoch eine Achillesferse. im zweiten Teil seiner WM-Kolumne schreibt der Star-Reporter über "Lebenseinhaucher" Jogi Löw.

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Am Sonntagnachmittag meinte ein deutscher Journalist frustriert  zu mir: "Nahezu jede Nationalmannschaft hat einen eigenen Spitznamen. Nigeria hat seine Super Eagles, Italien die Squadra Azzurra, Frankreich Les Bleus. Nur uns fehlt einer. Wir sind einfach 'die Nationalmannschaft'. Fällt dir vielleicht was ein?"

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine zündende Idee, aber nach dem ersten Auftritt der Deutschen bei dieser WM, bei dem sie mit einer Glanzvorstellung Australien förmlich überrollten, fiel mir sehr schnell eine adäquate Bezeichnung für dieses gleichermaßen physisch starke wie technisch versierte und vor allem absolut gnadenlose Team ein: die Lokomotive.

Zugegeben, die Socceroos sind jetzt nicht gerade die stärkste Mannschaft und waren durch die Rote Karte für Tim Cahill zusätzlich geschwächt, aber dieses 4:0 war fast schon schmeichelhaft!

Hätte Deutschland ihnen noch einige Tore mehr eingeschenkt, sie hätten sich nicht beschweren können.

Löw haucht neues Leben ein

Was wir Sonntagabend in Durban gesehen haben, war eine hervorragend organisierte deutsche Auswahl, die mit formidablem Offensivfußball zu begeistern wusste.

Schnell und präzise war ihr Passspiel, während die Australier stets einen Schritt zu spät kamen und quasi nicht stattfanden. Lukas Podolski und Miroslav Klose, denen bei ihren Einsätzen in der Bundesliga in der abgelaufenen Saison addiert gerade einmal fünf Tore gelangen, stellten nun endlich wieder ihren Torriecher unter Beweis.

Man muss Coach Joachim Löw gratulieren - er hat einem Team wieder neues Leben eingehaucht, das viele Experten und auch ich selbst nicht zu den großen Favoriten gezählt hatten.

Ballack-Ausfall wird kompensiert

Besonders beeindruckt hat mich, dass es der Mannschaft offensichtlich gelungen ist, den Ausfall von Kapitän Michael Ballack, schließlich auch ein langjähriger Schlüsselspieler im Mittelfeld, vollständig zu kompensieren.

Seiner Übersicht und Erfahrung wurde im Vorfeld von vielen Seiten entscheidende Bedeutung zugesprochen. Mit Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira, die am Sonntag eine starke Leistung in der deutschen Schaltzentrale zeigten, scheint man jedoch auch ohne Ballack ganz hervorragend aufgestellt zu sein.

Und auch von Mesut Özil erhoffe ich mir noch einige Highlights im Turnierverlauf. In einer Elf, die traditionell mehr mit mannschaftlicher Geschlossenheit als mit technischer Beschlagenheit zu überzeugen wusste, strahlt er mit seinen Fähigkeiten im Zentrum hinter den Spitzen ganz besondere Gefahr aus.

Fehlende Erfahrung die Achillesferse?

Was können wir also von der deutschen Lokomotive erwarten? Ich rechne damit, dass sie gut geölt bis ins Viertelfinale vordringen wird. Entgegen meiner ursprünglichen Meinung ist von dort an alles möglich.

Man wird jedoch sehen müssen, ob diese Mannschaft, die das jüngste deutsche Team seit der WM 1934 ist, auch über den Erfahrungsschatz verfügt, um wirklich um den Titel mitspielen zu können.

Ohne unken zu wollen - in einem umkämpften Match gegen eine Top-Mannschaft kann durchaus die internationale Erfahrung das Zünglein an der Waage sein.

Hier kommt die Lokomotive!

Nicht weniger als 13 Spieler nehmen an ihrem ersten großen Turnier auf internationaler Ebene teil, und zwölf Mitglieder des Aufgebots hatten vor der WM noch keine zehn Spiele für die deutsche Auswahl bestritten.

Auf der anderen Seite hatten jedoch sechs Vertreter bereits entscheidenden Anteil am Gewinn der U-21-Europameisterschaft im vergangenen Jahr. Mit Sicherheit kein schlechtes Omen.

Die Deutschen können sich auf jeden Fall über einen gelungenen Auftakt auf dem Weg zum vierten Stern freuen. Und für die nächsten Wochen gilt: Achtung, hier kommt eine Lokomotive, die schwer zu stoppen ist!

Wer wird Weltmeister? Jetzt die WM durchtippen!

Pedro Pinto ist Sports-Anchor bei CNN International in London. Gemeinsam mit dem CNN World Sport-Team berichtet der gebürtige Portugiese von Sportereignissen auf der ganzen Welt. Vor seiner Tätigkeit bei CNN in London arbeitete er im Hauptquartier des Senders in Atlanta und moderierte in seiner Heimat Portugal mehrere Sportsendungen. Im Laufe seiner Karriere hat Pinto zahlreiche Sport-Stars wie Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Roger Federer, Gianluigi "Gigi" Buffon oder die Fußballlegende Pele interviewt.  Für CNN International übernimmt Pinto die Berichterstattung über die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika (www.cnn.com/worldcup).