Auf der Suche nach sich selbst

Noch nicht oft im Zusammenspiel: Isco, Ronaldo und Bale
© getty

Die Statistiken lesen sich nicht schlecht und in der Champions League hat Real Madrid eben erst einen Torerekord gebrochen. Und dennoch ist man im Umfeld der Königlichen unzufrieden mit den Auftritten der Mannschaft unter Carlo Ancelotti. Die Probleme des Italieners sind bekannt - und sie sind lösbar.

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Die Erlösung kam am Wochenende. Nach Tagen, Wochen und Monaten des Elends und der fortwährenden Enttäuschungen. Die ersten sprachen schon von einem Fluch, der so eine gewaltige Wirkung habe, dass sich die Mannschaft einfach nicht befreien könne.

Und als alle schon aufgegeben hatten: Hallo, Erfolgserlebnis!

Am 8. Spieltag der Saison 2013/2014 gab es die ersten Punkte für Real Madrid Castilla. Die zweite Mannschaft der Königlichen, die in der spanischen Segunda Division spielt, steckt in einer so ernsten Krise, dass sich im Heimspiel gegen den CD Lugo selbst Präsident Florentino Perez dazu berufen fühlte, ins Estadio Alfredo di Stefano zu kommen.

Trainer Alberto Toril muss trotz des umjubelten 2:0-Siegs um seine Zukunft bei den Madrilenen bangen, sollte nun nicht eine Siegesserie die acht Pleiten zum Auftakt vergessen lassen.

Gute Statistiken bei Real

Ganz so ernst ist die Lage für Carlo Ancelotti bei Weitem noch nicht. 19 Punkte nach acht Liga-Spielen und zwei Champions-League-Erfolge mit zehn geschossenen Toren, ein Rekordwert in der Meisterliga-Historie, lesen sich als erste Kostprobe des Italieners wahrlich nicht schlecht.

Wäre da nicht die Art und Weise vieler Auftritte Madrids.

Alleine drei Siege fuhr Real dank glücklicher Tore in der Nachspielzeit ein: Gegen Betis, zuletzt in Levante, als man bis zur 89. Minute gar in Rückstand war oder beim 2:1 in Elche mit tatkräftiger Unterstützung des Schiedsrichters, der in der sechsten Minute der überzogenen Nachspielzeit exklusiv ein elfmeterreifes Foul an Pepe sah.

"Wir sind nicht besorgt", sagt Ancelotti. "Es braucht Zeit, um Veränderungen vorzunehmen. Das passierte mir schon bei PSG. Die Mannschaft wird bald gut spielen." Doch die Anhänger mögen nicht warten und kein "bald" hören, schon gar nicht nach einer Saison ohne Titel. Sie wollen jetzt ein Real sehen, das ihnen Spaß macht und Erfolg hat.

Regelmäßig Pfiffe

Stattdessen sehen sie zu, wie nicht nur der FC Barcelona einen Startrekord mit acht Siegen feiert, sondern auch Lokalrivale Atletico Madrid. Beide sind Real entwischt und dass Ancelotti kürzlich Atletico als die "bessere Mannschaft" bezeichnete, kam erwartungsgemäß nicht gut an. Dass man prompt auch das Heimspiel gegen die Simeone-Truppe verlor, beschönigte die Sache nicht wirklich.

Nicht nur beim 0:1 gegen Atletico gab es Pfiffe, selbst nach Siegen tun die Zuschauer ihren Unmut kund. "Dass die Fans wütend sind, ist für mich eine Motivation. Ich will, dass die Menschen ins Santiago Bernabeu kommen, um ein gutes Spiel zu sehen", sagt Ancelotti verständnisvoll.

Dass Real-Fans noch zu selten ein gutes Spiel sehen, hat Gründe. Da ist die Suche nach dem richtigen System. Ancelotti hat auch nach 100 Tagen Amtszeit noch nicht die Formation gefunden, die als das ultimative Real-Madrid-System gelten kann. Real ist auf der Suche nach sich selbst.

Die Suche nach dem System

In der Vorbereitung probte Real mal im 4-4-2, dann auch mal im 4-2-3-1 - und das mit Erfolg. "Im Sommer hatten wir keine Schwierigkeiten", sagt Sergio Ramos, aber als das Pflichtspiel-Programm begann, war von einer funktionierenden Real-Mannschaft nichts mehr zu sehen.

"Man muss für die Perfektion Dinge verändern. Es gibt neue Spieler und neue Strategien", verteidigt Cristiano Ronaldo den Trainer und spricht ihm sein Vertrauen aus: "Er macht eine phänomenale Arbeit. Die Verantwortung liegt bei uns."

"Wenn du schlecht spielst, ist Kritik normal", sagt Ramos. Und: "Wenn die Dinge nicht gut laufen, muss man sie überdenken." Als Seitenhieb auf den Trainer sollte dieser Satz nicht gesehen werden, zumal auch Ramos "großes Vertrauen" in Ancelotti hat.

Aber Ancelotti hat verstanden und er reagiert auch: Zuletzt stellte er auf ein 4-3-3 um, das zumindest offensiv deutlich ansehnlicher wirkte, als in vielen Spielen zuvor.

"Schneller, vertikaler, lauffreudiger"

Und Ancelotti wirkte damit auch einer großen Problematik entgegen. "Wenn wir gegen einen Gegner spielen, der uns die Kontrolle über das Spiel gewährt und sich hinten reinstellt, bekommen wir Probleme", analysierte er. "Wir müssen schleunigst daran arbeiten, schneller und vertikaler zu spielen, aber auch mehr zu laufen."

Ob es beim 4-3-3 bleibt, ist nicht sicher. Denn trotz der guten Offensive, bleibt die größte Sorge immer noch die Defensive. Neun Gegentore zu diesem Zeitpunkt kassierte Real zuletzt vor fünf Jahren. Ein Rückschritt im Vergleich zu Zeiten unter Jose Mourinho oder Manuel Pellegrini.

Selbst beim 6:1 bei Galatasaray zum Auftakt in der Champions League, das viele Probleme anfangs noch übertünchte, hatte Real großes Glück, in der ersten Hälfte nicht mehrmals in Rückstand zu geraten. Auch gegen Kopenhagen fehlte die "Balance", die Ancelotti immer wieder einfordert.

Nicht richtig eingekauft?

Der seit Wochen verletzte Xabi Alonso fehlt als Stabilisator. Neuzugang Asier Illarramendi ist nur bedingt ein adäquater Vertreter, zumal Ancelotti dem Youngster die Rolle noch nicht vollends zutraut, was auch die knappen Einsatzzeiten offenbaren.

Real verpasste im sommerlichen Wahn um Gareth Bale hier und da noch etwas Ausgewogenheit in den Kader zu bringen und den Qualitätsverlust nach neun - teils hochrangigen - Abgängen zu kompensieren.

"Ich finde die jetzige Mannschaft keineswegs besser und vor allem weniger ausgeglichen als die des letzten Jahres", sagt Real-Legende Mariano Garcia Remon, "in diesem Sommer wurden sportlich gesehen keine sinnvollen Investitionen getätigt." Dies gilt auch für die Sturmspitze, wo Karim Benzema nicht auf Touren kommt.

Die größte Investition hat ihre Wirkung dagegen noch nicht zeigen können. 100-Millionen-Mann Bale kämpft bisher mehr mit Verletzungen als mit den Fragen, auf welcher Position er Real helfen könnte.

Ronaldo kümmert sich um Bale

Bei Real gibt man ihm Zeit und mit Cristiano Ronaldo hat er einen ganz besonderen Bodyguard in der Mannschaft: "Er hilft ihm am meisten, geht sehr liebevoll und freundlich mit ihm um. Er ist ihm wirklich eine sehr große Hilfe, auch wenn Sergio Ramos und Luka Modric, den er ja schon länger kennt, ebenso für ihn da sind", sagt Bale-Berater Jonathan Barnett.

Sind Bale, aber vor allem auch Xabi Alonso wieder fit, kann Ancelotti seine Wunschformation aufstellen. Bis dahin wird weiter munter geprobt. "Wir haben alle drei Tage eine Aufgabe und die Chance, uns zu verbessern", sagt Real-Direktor Emilio Butragueno. Real sollte die Chance bald nutzen.

Der Kader Real Madrids