Operation Europa: Endlich ausgeknausert?

Von Gunnar Göpel
Real Sociedad hat sich am letzten Spieltag durch einen knappen Sieg für Europa qualifiziert
© getty

Der königliche Segen. Eine goldene Ära. Oder der finanzielle Absturz. Real Sociedad hat eine bewegte Geschichte vorzuweisen. Mit der Qualifikation für die Champions-League-Playoffs könnte nun aber das Ende des Knauserns gekommen sein - dank eines altbekannten Erfolgsrezepts.

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Wir schreiben den 1. Juni 2013 um 21:22 Uhr. Es ist der 38. Spieltag der Primera Division und der Schlusspunkt einer ereignisreichen Saison in Spanien. Links am Sechzehner tankt sich der 26-jährige Imanol Agirretxe in den Strafraum, schlägt einen Haken, lässt Ze Castro aussteigen und schießt mit links auf das Tor von Deportivo La Coruna. Daniel Aranzubia kann den Ball zwar noch parieren, am langen Pfosten steht Antoine Griezmann jedoch völlig blank und vollstreckt aus spitzem Winkel gegen den Lauf des geschlagenen Schlussmanns.

Der zehnte Saisontreffer des Franzosen ist gleichzeitig der letzte in der Partie Deportivo La Coruna gegen Real Sociedad San Sebastian. Während die einen Nordspanier den schweren Gang in die erneute Zweitklassigkeit antreten müssen, dürfen die anderen die Champions-League-Qualifikation feiern. Freud und Leid - so nah beieinander.

Wird von spanischer Fußballtradition gesprochen, dann fallen in der Regel die Namen Barcelona, Madrid und La Coruna. Dass eine Talentschmiede aus der 187.000 Einwohner großen Stadt San Sebastian die sechstmeisten Spieler in die spanische Nationalmannschaft entsandt hat, wissen wenige.

Das Experiment Europa passt in das Bild einer sportlichen wie finanziellen Achterbahnfahrt und hat für die Region eine enorme Tragweite. Um das Ausmaß dieses Erfolges für die Kulturhauptstadt Europas 2016 fassen zu können, muss ein Blick in die Vergangenheit des spanischen Urgesteins geworfen werden.

Tradition im Koffer der Wanderarbeiter

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verließen viele junge Männer die baskische Hafenstadt San Sebastian in Richtung England. Auf der Insel heuerten einige in Fabriken an, andere schufteten in Stahlwerken. Die gut betuchten studierten an renommierten britischen Universitäten. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie infizierten die Region an der französischen Grenze bei ihrer Heimkehr mit einem ganz speziellem Fieber: dem Fußballfieber.

Die neue Sportart begeisterte die Basken, sodass nach Athletic Bilbao ein weiterer Verein entstand: Der San Sebastian Recreation Club, 1903 gegründet, wurde jedoch nicht offiziell anerkannt.

Der Wille, an Wettbewerben teilnehmen zu dürfen, war so groß, dass die Gründungsväter ihre Mannschaft unter dem Namen eines, bei den Behörden angemeldeten, Radsportvereins registrierten und somit am königlichen Pokal teilnehmen durften.

Erfolge und des Königs Segen

Die Copa del Rey gewann die Mannschaft bereits im Jahr 1909. Doch der Erfolg hatte einen Makel. Man hatte zwar den ersten Titel gewonnen, allerdings nicht unter einem eigenen Namen. Der Drang nach Autonomie führte zu einer formellen Gründung der "Sociedad San Sebastian". Die Sommerresidenz des damaligen spanischen Monarchen Alfons XIII. befand sich in San Sebastian, und so wurde dem Verein wenig später durch den König die Bezeichnung "Real" verliehen. Die Geburtsstunde von Real Sociedad San Sebastian.

Obwohl der Verein, wie auch der baskische Rivale aus Bilbao, ein Gründungsmitglied der Primera Division ist, verbrachte San Sebastian viele Jahre in der sportlichen Bedeutungslosigkeit. Die Zukunft des Vereins stand unter einem schlechten Stern. In den schwierigen dreißiger Jahren wurde San Sebastian erst recht nicht von finanziellem Glück geküsst.

1935 stieg der Verein am Rande einer Insolvenz erstmals ab. Es folgte eine Reihe von Auf- und Abstiegen. Erst mit Beginn der 80er-Jahre konnte der Verein im Glanz einer ruhmreichen Epoche weitere Erfolge einfahren.

Die goldene Ära

1981 und 1982 gewannen die "Txuri-Urdin" (Weißblauen) mit der wohl besten Mannschaft ihrer Vereinsgeschichte die Meisterschaft. Mit einer Serie von saisonübergreifend 38 Spielen ohne Niederlage stellte die Mannschaft von Trainer Alberto Ormaetxea einen bis heute gültigen Rekord auf. Das Team, angeführt von Torhüter Arconada und den Spielern Ufarte und Kortabarria, bestand hauptsächlich aus geformten Nachwuchsspielern.

Vereinsikone Luis Miguel Arconada steht auch heute noch sinnbildlich für den Erfolg. Drei Mal in Folge gewann der Keeper die "Trofeo Zamora" für die wenigsten Gegentore der Liga. In der Folge schrieben die Fans ihrem Helden ehrfürchtig einen Schlachtruf zu: "Uns wird nichts passieren, denn wir haben Arconada!".

Es blieben die einzigen Meisterschaften bis heute. Nach dem spanischen Supercup 1983 und einem weiteren Gewinn der Copa del Rey im Jahr 1987 versanken die Basken wieder im sportlichen Mittelmaß.

Abkehr von Altbewährtem

Die Erfolge blieben aus und es wurden erstmals Nicht-Basken verpflichtet. Des Weiteren mussten sich die Fans an eine neue Spielstätte gewöhnen. Das altehrwürdige Estadio Atotxa wurde verlassen und man zog in das 1993 fertiggestellte Estadio Municipal de Anoeta. Das 32.076 Zuschauern Platz bietende Rund erfüllt alle Anforderungen an ein Fünf-Sterne-Stadion der UEFA.

Mit Anfang der Jahrtausendwende gab es ein Umdenken und beinahe die zweite erfolgreiche Ära. Die jungen Talente aus dem eigenen Nachwuchs wie Xabi Alonso wurden mit hochkarätigen Stars aus dem Ausland verstärkt. Das Traumduo Nihat Kahveci (23 Tore) und Darko Kovacevic (20 Tore) ballerte Real Sociedad 2002/2003 zur Vizemeisterschaft. Es fehlten nur zwei Punkte zu Real Madrid und der ganz großen Sensation. Doch die Trauer über die verpasste Chance saß tiefer, als der Wille das Unmögliche möglich zu machen.

2004/2005 verließ das vielversprechende 22-jährige Talent Xabi Alonso für 16 Millionen Euro die Stadt in Richtung Liverpool. Mit Mikel Arteta wurde ein weiterer Youngster nach England weiterverkauft. Auch der Vorzeigesturm sollte sich kurze Zeit später trennen.

Sportlich und finanzieller Absturz

2006/2007 kam es, wie es kommen musste: Die Talentlese fiel bedeutend schlechter aus. Diese konnten die Stars nicht gleichwertig ersetzen und San Sebastian stieg nach 40-jähriger Zugehörigkeit im Oberhaus in die Segunda Divison ab.

Die Lage besserte sich dort aber keineswegs: 2008 konnte "Erreala", so der baskische Vereinsname in Fankreisen, die Spielergehälter nicht mehr zahlen und meldete Konkurs an. Doch das Wort "Aufgabe" existiert im Baskischen nur pro forma. Sie kämpfen nicht nur um ihre politische Unabhängigkeit, sondern auch um das Fortbestehen ihrer sportlichen Wurzeln.

Nach drei Jahren der Neustrukturierung gelang Real Sociedad zur Saison 2010/2011 der Wiederaufstieg. Finanziell immer noch klamm, beschränkten sich die Ausgaben auf das Nötigste.

Trainer Martin Lasarte nominierte Asier Illarramendiaus dem B-Team und führte ihn behutsam an die erste Mannschaft heran. Die Saison wurde auf einem sicheren 15. Tabellenplatz beendet.

Seite 2: Die Gegenwart - Die Taktik, die nach Europa führte