Zeitenwende in der Premier League

Von Interview: Haruka Gruber
Die neue Generation: Martinez, Lambert, Rodgers (v.l.). Rangnick (2.v.r.) wäre fast bei WBA gelandet
© Getty

Weg von den überbezahlten Fabio Capellos: Angeführt von Liverpools Brendan Rodgers übernimmt in England eine neue Generation die Macht. Auch Ralf Rangnick hätte fast dazugezählt - bis er sich entschloss, Sportdirektor von Red Bull zu werden. Uwe Rösler verfolgt als Erfolgstrainer des Drittligisten Brentford einen ähnlichen Weg und erklärt die Hintergründe des Umdenkens in der Chefetage.

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SPOX: Was früher fast undenkbar war, hätte Ralf Rangnick gelingen können: Als erster deutscher Trainer in der Premier League zu arbeiten. Erst hatte er zum engen Favoritenkreis bei West Bromwich gehört, dann wurde er bei Tottenham gehandelt. Grundsätzlich gefragt: Wie schwierig ist es für einen Nicht-Briten, in England einen Klub zu übernehmen?

Uwe Rösler: Bis zuletzt: sehr, sehr schwierig. Und dass, obwohl im Grunde jeder Mensch englisch sprechen kann. Hier gelten andere Gesetze als in vielen anderen europäischen Ligen. Alleine zu sehen bei Felix Magath, der seit Jahren den Traum verfolgt, eines Tages in der Premier League tätig zu sein. Ich selbst dachte ursprünglich, dass es einfacher wäre, einen Verein zu bekommen. Mir half es, dass ich in England früher ein recht bekannter Profi war und als Quasi-Engländer durchgehe, dennoch muss ich mich glücklich schätzen, dass mir mit Brentford ein guter und seriös geführter Drittligist eine Chance gab.

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SPOX: Warum gibt sich der englische Fußball so verschlossen?

Rösler: England ist immer noch die mit Abstand beste Liga der Welt. Nirgendwo ist es anspruchsvoller, die Liga zu gewinnen. Nirgendwo gibt es so viele Topklubs und so viele Stars. Ich finde, dass die Premier League richtig liegt mit ihrem Selbstverständnis. Das große Problem: In der Überzeugung der eigenen Dominanz baden die Engländer nur im eigenen Sud. Und wenn sie sich im Ausland umschauen, dann nur für jemanden mit einem repräsentativen Namen wie Fabio Capello. Ich sehe aber ein grundsätzliches Umdenken, das langsam einsetzt. Vor allem der deutsche Fußball gewinnt an Glaubwürdigkeit. Dass Ralf so nah dran ist an der Premier League, beweist es. Ralf genießt bei den englischen Fachleuten, bei denen, die den Besitzern die Entscheidungen ins Ohr flüstern, einen hervorragenden Ruf. Daher hätte man auf ihn als heißen Kandidaten bei West Bromwich wetten können. Früher war es nahezu undenkbar, dass ein Deutscher direkt einen Premier-League-Klub übernimmt.

SPOX: Es heißt, Rangnick selbst habe West Bromwich abgesagt, bevor er Red Bull die Zusage gab. Eine vertane Chance?

Rösler: Natürlich unterliegt West Bromwich gewissen Limitationen. Wenn man sich im Mittelfeld etabliert, wäre es ein großer Erfolg. Andererseits verfügt West Bromwich über tolle Fans und eine vorbildliche Vereinskultur mit einem gesunden Haushalt. Sie gehen nie zu viel Risiko ein, sondern wirtschaften klug. Von daher wäre West Bromwich sicherlich keine schlechte erste Adresse gewesen. Allerdings weiß das Ralf natürlich selbst am besten.

SPOX: Passt Rangnick in die Premier League?

Rösler: Absolut! Erstens: Er spricht fließend Englisch. Zweitens: Er bevorzugt das Manager-System und will alle Entscheidungen selbst treffen.

SPOX: Sie kennen beide Systeme: In Norwegen waren Sie klassisch als Trainer tätig, neben Ihnen gab es einen Sportdirektor. Beim englischen Drittligisten Brentford sind Sie als Manager beides: Trainer und Sportdirektor. Wie unterschieden sich die Modelle?

Rösler: Zunächst einmal: Als Trainer und Sportdirektor zu arbeiten klingt einfacher, als es tatsächlich ist. Ein Manager weiß zwar sogenannte Club Secretaries unter sich, die die zähen Details mit Spielerberatern und den Vereinen aushandeln. Doch der Manager muss zunächst die Rahmenbedingungen festlegen und seinen eigenen Kopf hinhalten, wenn etwas nicht klappt. Entsprechend ist der Aufwand. Als Trainer in Deutschland oder Norwegen denkt man bereits nonstop an den Job, in England hingegen ist es eine Stufe krasser. Es gibt keine Pause zwischen Hin- und Rückrunde, daher gibt jeder zehn Monate am Stück Vollgas, häufig ohne einen freien Tag zwischendurch.

SPOX: Klingt tough.

Rösler: In meinem ersten Jahr musste ich unheimlich viel und schnell lernen, sonst wäre ich noch schneller aus dem Job gewesen. Alleine das Loan- und Transfersystem ist unglaublich komplex. Ich unterlag beispielsweise dem Trugschluss, dass ich bis zum Saisonende auf meine besten Spieler bauen könnte, wenn im Januar das Transferfenster schließt. Nur: Das Ausleihfenster geht bis März - und so kam einer der Leistungsträger ins Büro und setzte mir praktisch die Pistole auf die Brust. Er sagte, dass er unbedingt gehen wolle und mich zu seinem neuen Verein verleihen solle, weil er dort im Sommer einen Zwei-Jahres-Vertrag bekommen würde. Man muss so etwas selbst erlebt haben, um wirklich zu verstehen, wie es in England läuft.

SPOX: Trotz all des Lernens verlief Ihr erstes Jahr erfolgreich. So erfolgreich, dass der Zweitligist Hull City, noch vor zwei Jahren in der Premier League, eine Verpflichtung von Ihnen erwog.

Rösler: In Brentford sollte ich mit dem gleichen Budget und dem fast identischen Kader eine bessere Platzierung erreichen und einen besseren Fußball zeigen. Beides ist uns gelungen - auch wenn wir knapp die Playoffs verpasst haben, in denen wir um den Aufstieg in die zweite Liga hätten spielen können. Umso mehr freut es mich, wenn das Erreichte von anderen Klubs gesehen wird.

SPOX: Sie sprechen, als ob Sie als Niemand angefangen hätten. Dabei zählen Sie in Norwegen zu den angesehensten Trainern. Ist das nichts wert?

Rösler: Nein, man muss von unten anfangen und sich hocharbeiten. Am Anfang geht es in England sehr viel darum, Netzwerke und berufliche Freundschaften zu Premier-League-Managern aufzubauen, die einem vertrauen, damit diese einem für wenig Geld gut ausgebildete Talente ausleihen.

SPOX: So geschehen mit Evertons Manager David Moyes und dessen Jugendnationalspieler Jake Bidwell.

Rösler: Genau. Ich bekomme Jake, dafür kümmere ich mich ordentlich um ihn, verschaffe ihm Einsatzzeiten und gebe David ordentliches Feedback. Wenn das klappt, rufen die Klubs von sich aus an und fragen, ob ich nicht den einen oder anderen Jungen haben möchte.

SPOX: Kann es sein, dass diese Art des Reputationsaufbaus heute wichtiger ist als früher? Es wäre sonst nicht denkbar gewesen, dass Liverpool für die kommende Saison einen international unbekannten Mann wie Brendan Rodgers als neuen Manager vorstellt.

Rösler: Das stimmt. Rodgers arbeitete anfangs als Trainer der Chelsea-Reserve und ging zu Reading, wo er allerdings entlassen wurde. Danach kam er bei Swansea City unter und leistete einen solch tollen Job und ließ einen so attraktiven Fußball spielen, dass Liverpool aufmerksam wurde. Dabei gehören die Reds zu jenen Teams, die sonst nur nach Namen gehen. Aber selbst Liverpool muss neben dem fußballerischen Renommee auch auf das Geld achten. Ein Capello verdient sechs, sieben Millionen Euro im Jahr, jemand anders vielleicht nur ein, zwei Millionen Euro.

SPOX: Schwebt Ihnen eine Karriere wie die von Rodgers vor?

Rösler: Ein bisschen mehr Ähnlichkeiten gibt es vielleicht zum früheren Dortmunder Paul Lambert. Er fing als Ex-Profi ebenfalls niederklassig bei Klubs wie Livingston, Wycombe und Colchester an. Nach drei Jahren bei Norwich City übernimmt er nun Aston Villa. Vielleicht ist dieser Weg nicht der schlechteste, um das Handwerk von Grund auf zu erlernen.

SPOX: An Wigans Roberto Martinez lassen sich die beiden neuen Trends in England illustrieren: Er setzte sich durch, obwohl er a) aus Spanien stammt und b) kein schillernder Star ist. Sie kennen ihn: Wer ist Roberto Martinez?

Rösler: Ein absoluter Supertyp, und das in jeder Hinsicht. Ein Fußball- Intellektueller, von dem jeder lernen kann. Ein Mensch, der unglaublich hilfsbereit ist. Ein klassischer Aufsteiger, der sich aus dem Keller gerackert hat. Wenn er signalisiert, dass er von Wigan weggehen will, kann er sich den Verein aussuchen. Villa bekam schon eine Absage.

SPOX: Ein Muster fällt auf: Es werden zwar junge oder unbekannte Manager gefördert - doch diese besitzen in der Regel keine englische Staatsbürgerschaft. Nur drei von 20 Premier-League-Klubs werden von Engländern verantwortet. Ist die Ausbildung derart furchtbar?

Rösler: Nein, nein. Ich machte in Deutschland meinen B- und A-Trainerschein sowie in Norwegen die Pro-Lizenz. Von daher besitze ich Vergleichswerte - und die englische Ausbildung ist sicherlich nicht schlechter. Sie ist sogar sehr umfangreich. Ich sehe eher einen kulturellen Grund: Zurzeit dominieren die schottischen Manager die Liga. Alex Ferguson, David Moyes, Steve Clarke, Tony Pulis, Paul Lambert - das alles sind Schotten. Und viele schottische Manager haben etwas Besonders an sich. Sie strahlen Härte, charakterliche Festigkeit und eine Winner-Mentalität aus, die sonst selten ist. Womöglich spielt das eine Rolle.

SPOX: In den vergangenen Jahren scheiterten viele nicht-britische Trainer in England: Andre Villas-Boas, Capello, Carlo Ancelotti, Luiz Felipe Scolari, Juande Ramos. Jose Mourinho hingegen war wesentlich erfolgreicher. Was lässt sich von ihm lernen?

Rösler: Leider nichts, weil Mourinho sich nicht nur the special one nennt, sondern tatsächlich der Außergewöhnliche ist. Er ist einzigartig: Der Umgang mit den Spielern, sein emotionaler Zugang zu ihnen, der Fußball-Sachverstand, die Konsequenz, die Akribie, am eigenen Spielstil zu arbeiten, das alles ist atemberaubend. Mourinho wird in jeder Liga der Welt erfolgreich sein.

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