Wie der Tod eines alten Verwandten

Von Jochen Tittmar
Das Ibrox Stadium in Glasgow ist seit 1899 die Heimat des Rangers Football Club
© Getty

Der schottische Traditionsverein Glasgow Rangers steht vor dem finanziellen Crash. Die Gründe dafür sind vielschichtig, Verantwortung will niemand übernehmen. Die Rolle von Klubbesitzer Craig Whyte wird besonders kritisch beäugt.

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139 Jahre Vereinsgeschichte. 54 nationale Meistertitel. 397 Partien im Old Firm gegen Celtic. Und all das soll nun bald aufhören? Unvorstellbar, nicht nur in Schottland.

Die Glasgow Rangers, die eigentlich Rangers FC heißen, sind pleite. Am Dienstag meldete Klubeigner Craig Whyte bei einem Edinburgher Gericht Insolvenz an. Den "Gers" droht der Sturz in die Bedeutungslosigkeit.

Ab sofort hält ein selbst ausgesuchter Zwangsverwalter - das Londoner Unternehmen "Duff and Phelps" - die Zügel des Klubs in der Hand. Der Vorstand ist vom Tagesgeschäft somit ausgeschlossen.

Der Traum vom Champions-League-Sieg

Was ist passiert? Warum die Finanzlage des Vereins dermaßen außer Kontrolle geriet, ist wie so oft in solchen Fällen vielschichtig.

Das große Ziel der 1990er Jahre, die Vormachtstellung gegenüber Rivale Celtic dauerhaft zu untermauern und nebenbei noch den großen Triumph in der Champions League mitzunehmen, scheiterte eklatant.

Allein in der dreijährigen Amtszeit von Coach Dick Advocaat investiert man fast 100 Millionen Euro in die Beine von Kickern wie Paul Gascoigne oder Brian Laudrup. Ex-Klubchef David Murray, seines Zeichens Stahlunternehmer, sagte damals in Bezug auf Celtic: "Für jeden Fünfer, den sie ausgeben, geben wir einen Zehner aus."

Steuerverfahren wie ein Klotz am Bein

Aus dieser Epoche hängt dem Klub zudem ein Steuerverfahren wie ein Klotz am Bein. Murray selbst, der von 1988 bis 2009 in hauptverantwortlicher Position arbeitete, ist sich keiner Schuld bewusst und sieht den Grund für die aktuelle Krise in Fehlentscheidungen, die "vor vielen Jahren" begangen wurden.

Doch nun erwarten die Rangers Nach- und Strafzahlungen in Höhe von rund 90 Millionen Euro. Das fordert die 2005 gegründete Steuer- und Zollbehörde "HMRC" (Her Majesty's Revenue and Customs), mit der sich der Verein in einem Rechtsstreit befindet.

Gegenstand des Prozesses: Die Rangers werden beschuldigt, über die vergangenen zehn Jahre zu geringe Steuern bei der Entlohnung von Angestellten gezahlt und zudem Spieler über ein fragwürdiges Fondsmodell bezahlt zu haben - ohne dabei Steuern abzuführen.

Zehn Punkte Abzug drohen den Rangers

Whyte, der im Mai 2011 aufgrund des exorbitanten Schuldenstands 85 Prozent der Klubanteile für den symbolischen Preis von einem Pfund erworben hatte, strahlt wenig Zuversicht aus: "Die Chancen, dass wir dem Ganzen entgehen können, sehen sehr dünn aus."

Entscheidet das Gericht gegen den protestantischen Traditionsverein, droht ein sofortiger Punktabzug von zehn Zählern. Die nationale Meisterschaft, die die Rangers zuletzt drei Mal in Serie gewannen, wäre angesichts von dann 14 Punkten Rückstand auf Celtic quasi entschieden.

Auch das Mitmischen in den internationalen Wettbewerben für die kommende Saison hinge am seidenen Faden. Auf die dortigen Einnahmen kann der Verein aber nur schwer verzichten. Das Geld, das die starre schottische Liga abwirft, ist zu gering.

45 Millionen Kosten, 35 Millionen Einnahmen

Etwaige Sparmaßnahmen sind bereits getroffen: Kürzlich verkaufte man Stürmer Nikica Jelavic für rund 6,5 Millionen Euro an den FC Everton. Neben weiteren Abgängen auf Spielerseite dürfte es auch den Klub-Mitarbeitern an den Kragen gehen. Whyte verpfändete darüber hinaus bereits die Dauerkarteneinnahmen der nächsten vier Jahre. Wie die "BBC" schreibt, ist selbst ein Verkauf des Ibrox Stadium und des Trainingsgeländes Murray Park nicht mehr ausgeschlossen. Fest steht: Die Sanierung wird vor nichts Halt machen.

Whyte betonte zu Wochenbeginn, dass man die Kosten bereits auf 45 Millionen Pfund herunter gefahren habe. Derzeit übersteigen die Einnahmen auf dem schottischen Markt jedoch nicht die 35-Millionen-Grenze.

Wäre nicht all das schon schlimm genug für die treuen Rangers-Anhänger, so wirft auch die undurchsichtige Person Whyte reihenweise Fragen auf.

Welche Rolle spielt Craig Whyte?

Der 40-Jährige gilt als sehr umtriebiger Geschäftsmann, der zahlreiche Firmen überwacht. Dazu zählt neben den Rangers selbst auch "Liberty Capital". Ein Unternehmen, das finanziell in Schieflage geratene Firmen aufkauft, saniert und anschließend profitabel veräußert.

Glasgow Rangers: Der aktuelle Kader der "Gers"

Die Tatsache, dass er den Verein nun in die Insolvenz führen wird, legt man vielerorts als Erpressungsversuch gegenüber der Steuerfahndung aus. Sollte es zu einem Insolvenzverfahren kommen, verschiebt sich die Reihenfolge der Gläubiger, so dass HMRC hinter Whyte rutscht. Die Steuer- und Zollbehörde müsste somit eine Umschuldung abnicken und auf den Löwenanteil ihrer Forderungen verzichten. Whyte wäre im Recht, vor HMRC Ansprüche anzumelden.

Zweites Szenario: HMRC beharrt auf den Forderungen und Whyte lässt den Verein in sich zusammenfallen und startet unter neuem Namen von vorne. So bliebe Whyte Besitzer des Stadions und des Trainingsgeländes - HMRC würde keinen Pfennig sehen.

Whyte: "Habe praktischste Lösung gewählt"

Um diese Horrorvision und damit die Insolvenz abzuwenden, bleibt noch bis Mitte nächster Woche Zeit. Eine Einigung mit der Steuerfahndung scheint jedoch unwahrscheinlich, Whyte lässt sich vom Kräftemessen offenbar nicht beeindrucken.

"Ich habe die praktischste Entscheidung gewählt, um die langfristige Zukunft des Vereins zu sichern", sagte Whyte am Dienstag. "Das Management ist weiterhin optimistisch, dass zusammen mit der HMRC eine einvernehmliche Lösung gefunden wird", hieß es bei "Duff and Phelps".

"Mehr Fragen als Antworten"

Ob dieser traurigen Posse fiel das Medienecho in Großbritannien naturgemäß drastisch aus. "Die Nachricht fühlte sich an wie die vom Tod eines alten und kranken Verwandten: unvermeidlich, aber trotzdem ein Schock", meinte der "Scotsman".

Andy Kerr, Präsident der Vereinigung der Rangers-Anhänger, sprach von einem niederschmetternden Tag, der "mehr Fragen als Antworten" offen lässt.

Am besten brachte es jedoch Graeme Souness, schottische Spielerlegende und Ex-Coach der "Gers", auf den Punkt. Die Finanz- und somit Existenzkrise seines Ex-Vereins sei "der Preis für die Jagd nach dem Traum".

Für alle, die den Rangers Football Club mit Herzblut begleiten, hat sich der Traum aufgrund der jüngsten Ereignisse jedoch schlagartig verändert. Sie träumen jetzt allein vom Überleben.

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